geschriebenes Glück

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Ich laufe mit dem großen, seltsam starken Wolf mit, denn er ist die einzige Orientierung, die ich habe. Sein Knurren und seine Aggressivität treiben mich weiter an, schneller, weiter, die selbe Angriffslust steigt in mir auf. Vier Beine rennen schneller als zwei, doch nicht so schnell wie die des großen Wolfs. Obwohl ich es bin, die ihm hinterherrennt, versucht mitzuhalten, fühlt es sich an, als wäre ich die Beute, die gejagt wird. Er hetzt mich, treibt mich vorwärts, wir sind auf der Suche, doch was suchen wir? Halt, da war etwas! Die Bäume scheinen an mir vorbei zu fliegen, ich werde immer schneller, dem Geruch hinterher. Es riecht nach... Beute. Ein Mensch! Einsam und allein im Wald. Er schläft. Langweilig, das ist zu uninteressant! Es wird meine Aufgabe, den schlafenden Menschen-Wanderer zu wecken. Es ist leicht, zu einfach! Er rennt, aber er rennt zu langsam. Ich presche an der Beute vorbei, um ihr den Weg abzuschneiden. Der Mensch dreht um und will in die andere Richtung davon, doch ich treibe ihn direkt in die Fänge des großen Wolfes. Mit Klauen und Zähnen stürze ich mich auf die Beute, doch der große Wolf schnappt nach mir und schleudert mich einige Meter von sich. Er will die Beute alleine töten, doch das ist nicht gerecht, sie gehört ebenso mir! Wütend stürze ich mich auf ihn, ich kämpfe, doch für ihn ist es nur ein Spiel. Ich muss warten, bis er die Beute getötet hat, ehe ich mich ebenfalls darauf stürzen kann. Und dann ist da nur noch das Blut und das Fleisch, und die Luft riecht nach der Angst des toten Menschens, und noch mehr Blut...

Ich zittere so stark, dass ich nicht aufstehen kann. Ein lautes Schluchzen entflieht meiner Kehle, hastig presse ich eine Hand vor den Mund. Greyback wird mich nicht weinen hören. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so schlecht gefühlt. Es kommt mir vor, als müsste ich mich gleich übergeben, mein ganzer Körper juckt und ich würde mir am liebsten den ganzen Schmutz und die Haut und meine Schuld gleich dazu vom Körper kratzen. Ich wollte das alles nicht, denke ich verzweifelt. Ich muss an den Muggel denken, der jetzt tot und auseinandergenommen irgendwo da draußen liegt. Warum müssen Muggel auch so eine Vorliebe fürs Wandern haben? Wissen sie nicht, wie gefährlich das ist?

Stumme Tränen rinnen über mein Gesicht und ich muss um Atem kämpfen. Wäre das alles doch nur nie passiert. Wäre ich doch kein Werwolf. Kein Todesser.

Zum ersten Mal keimt der wirkliche Wunsch in mir auf, nicht mehr am Leben zu sein.

Als ich es schließlich schaffe, mit schwachen Beinen aufzustehen, mache ich mich auf den Weg zurück zu Greybacks Hütte. Der Morgen ist kalt und ich friere so stark, dass mir die Zähne klappern. Zum Glück lässt mein wieder erwachter Orientierungssinn mich nicht im Stich und ich erreiche die Hütte schneller als erwartet.

Es ist ruhig, niemand scheint wach zu sein oder mich zu erwarten. So leise wie möglich betrete ich die Hütte und suche Schutz in meinem kleinen Zimmer. An einer Wand hängt ein ein zerbrochener, fleckiger Spiegel, und obwohl ich es nicht wirklich sehen will, betrachte ich mein milchiges Spiegelbild. Ich starre in mein Gesicht, ohne zu begreifen, dass das wirklich ich bin. Tiefe Schatten liegen unter meinen blutunterlaufenen Augen und mein eingefallenes Gesicht ist voller kleiner Schnitte und Kratzer, die ich mir vermutlich bei der Hetzjagd durch den Wald eingefangen habe. Mein Pullover ist an der Schulter gerissen, und darunter befindet sich eine größere Wunde. Ich erinnere mich daran, wie Greyback nach mir geschnappt hat und schaudere. Meine langen und normalerweise glatten Haare sind zerzaust und genauso verschmutzt, wie der Rest von mir.

Urplötzlich werde ich mir der Enge des kleinen Raums bewusst und eine neu aufkeimende Furcht schnürt mir die Luft ab. Abrupt wende ich mich von dem Spiegel ab und renne hinaus, nach draußen, ich brauche frische Luft. Ohne mich darum zu kümmern, wie laut oder leise ich bin, schlage ich die Tür der Hütte hinter mir zu und laufe, bis ich das Gefühl habe, wieder atmen zu können. Du kannst nicht vor dir selbst davonlaufen, denke ich, während mein leerer Blick sich in der Tiefe des Waldes verliert, das wirst du nie wieder los.

Hinter mir ertönt ein lautes Knacken und ich drehe mich alarmiert um, den Zauberstab bereit zur Verteidigung. Mit hektischem Blick suche ich den Wald ab, doch ich kann nichts entdecken. Mein Herz pocht laut und schnell in meiner Brust, als würde es mich zur Wachsamkeit ermahnen wollen. Auf ein Mal schwebt, leicht wie eine Feder, ein Blatt Pergament direkt vor mir auf den Boden. Mein Blick wandert nach oben und sucht die Baumkronen ab, doch außer einem Blätterrascheln ist nichts mehr zu vernehmen. Angespannt warte ich ab und schaue wieder auf das Blatt Pergament auf dem Boden. Was hat das zu bedeuten? Ist das eine Falle? Aber ich kann nicht widerstehen. Ich lasse den Zauberstab sinken und hebe das Pergament auf.

Es trifft mich wie ein Schlag in den Magen und mein Zauberstab gleitet mir aus den Fingern, als ich die Schrift sehe. Als ich erkenne, wessen Schrift das ist. Mit bebenden Fingern streiche ich den Brief glatt, denn das ist es, es ist ein Brief. Wie kann das möglich sein? Doch das Wie ist mir auch schon egal, als ich die Wörter hungrig mit den Augen verschlinge.

Isa,

dein Brief hat mich erreicht, auch wenn ich nicht sicher bin, ob du weißt, wie. Ich glaube, Jumps hat ihn irgendwo gefunden und ihn mir gebracht. Oder hat er dich besucht? Auf jeden Fall hat er mir versprochen, dir meine Antwort zu überbringen, wenn ich ihn ein bisschen schlafen lasse. Du bist vermutlich sehr weit weg von Hogwarts, denn Jumps schien ziemlich erschöpft zu sein, als er bei mir war.

Mir wird schwindelig, überglücklich presse ich den Brief an mich. Er ist wirklich von Draco. Aber was ist mit Jumps? Er war monatelang verschwunden. Wenn er hier war, warum hat er sich mir dann nicht gezeigt? Doch das schwindelig leichte Glücksgefühl verschwindet nicht, und ich lese weiter.

Aber wundere dich nicht, wenn er nicht lange bleibt. Glaub es oder nicht, aber Jumps hat eine Freundin gefunden. Die haben sich in einem der Gewächshäuser ein Nest gebaut und Professor Raue-Pritsche sagt, dass die da tatsächlich Eier ausbrüten. Verrückt, oder?

Ich weiß nicht, wie schnell dich mein Brief erreichen wird, aber in dieser Nacht, wo ich dir schreibe, ist Vollmond. Ich denke an dich, und ich weiß, dass es schrecklich sein muss. Aber du wirst das überleben. Bleib stark, Isa, bitte gib nicht auf. Du kannst das schaffen, und irgendwann wird der ganze Schrecken ein Ende haben. Wer weiß, vielleicht sehen wir uns ja bald schon wieder?

Wenn ich könnte, würde ich an deiner Stelle sein, damit du das nicht ertragen muss. Glaub mir, alles wird zu Ende gehen.

Ich liebe dich.

Draco

moon & miseryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt