eine alte Freundin

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Eine Hand am Geländer gehe ich langsam und mit schweren Schritten die Treppe hinunter.
Was mich erwartet weiß ich nicht. Was passieren wird weiß ich nicht. Ich weiß nicht einmal, ob ich morgen früh noch leben werde.

Sobald wir in Sichtweite der Versammlungshalle sind, verschnellert Greyback seinen Schritt, zieht mich hinter ihm her. Was tun wir hier? Führt er mich direkt zum dunklen Lord? Oder gibt es eine Versammlung? Bitte nicht. Alles, nur das nicht. Allerdings, was habe ich denn erwartet, als Greyback mich nach einer scheinbaren Ewigkeit aus meinem Zimmer geholt und durch halb Malfoy Manor geschleift hat? Das einzige, das er zu mir gesagt hat, war, dass ich Glück gehabt hätte. So fühlt es sich aber nicht an, hätte ich fast gesagt, trotzig, wie ein kleines Kind.
Nein. Glück schmerzt nicht bei jedem Schritt, es raubt auch nicht den Atem, weil man kaum Luft bekommt. Glück lässt nicht zu, dass man sich Blut aus dem Auge wischen muss, weil irgendein Werwolf einen auf Marmorboden schleudert und man eine glücklicherweise kleine Verletzung über dem Auge bekommt. Dabei habe ich es jetzt selbst so gedacht, glücklicherweise. Vielleicht bedeutet Glück auch nur, dass es immer viel schlimmer gehen könnte.
Viel Zeit, darüber nachzudenken, bleibt mir wahrscheinlich nicht.
Und trotz allem, was passiert ist, will ich möglichst wenig Schwäche zeigen. Ich kann nicht. Mein letzter Stolz lässt das nicht zu.
Vielleicht werde ich gleich dem dunklen Lord gegenüber treten, vor versammelter Todesserschaft getötet oder schlimmeres. Und gerade deshalb ignoriere ich die Schmerzen, die noch immer an mir zerren und hebe den Kopf, strecke den Rücken durch und richte meine Schultern gerade und stolz. Ich erinnere mich daran, die Schritte nicht schleifen zu lassen und weder zu hastig noch zu zögerlich zu gehen. Greybacks verächtlicher Blick entgeht mir nicht.
Er stößt die Rechte der beiden Flügeltüren auf.
Ich bin bereit.

~


Ich schweige. Hatte ich jemals einen besten Freund? Vielleicht noch Blaise, wenn man es nicht zu genau sieht. Jill scheint zu verstehen, dass ich vielleicht etwas brauche um nach ihrer Geschichte wieder ganz klar im Kopf zu sein, denn sie steht auf und schlendert betont abgelenkt durch die Regale.
Ich bin froh, dass sie darauf bestanden hat, mir in der Bibliothek alles zu erzählen und nicht irgendwo mitten im Korridor. Hier ist es nichts Besonderes, nachdenklich durch die Gegend zu starren und zu reden, hier falle ich nicht auf.
Ich denke wieder daran, was Jill mir erzählt hat. Verzweifelt versuche ich mich daran zu erinnern, wie Isa früher aussah. Vielleicht in der zweiten oder dritten Klasse fürs erste. Wieso kann ich mich nicht erinnern? Ich kannte sie doch damals schon, wir waren in einer Klasse.
Doch eine Vorstellung einer jungen Isa scheint nicht mehr in mich hinein zu passen.
Isa mit weniger Schmerz in den Augen, oder wie sie lacht. Habe ich sie je lachen sehen? Vielleicht. Aber nicht in den letzten Wochen, da bin ich mir sicher. Isa mit weniger scharfen Gesichtszügen oder weniger Verzweiflung in der Stimme, wenn sie mit mir redet. Eine freimütige Isa, die nicht ständig über die Schulter schaut, nach Bedrohung. Sie, ohne Erinnerung in ihrem Gesicht zu lesen, Erinnerung an Todesser, an den Tod, an alles, das sie verzweifeln lässt.
Und erst recht kann ich mir keine Isa vorstellen, die als kleines Mädchen lachend durch das Ministerium rennt und sich zusammen mit einer Freundin vor Erwachsenen versteckt.
Ich wünschte, ich hätte sie gekannt, als sie unverurteilt von der Welt war, wie wir sie heute kennen. Völlig frei, unbeschwert. Mein Vater hätte sie so gehasst. Fast amüsiert mich der Gedanke, wie Vater über kleine Unruhestörer im Ministerium klagt, bis mich der Gedanke plagt, was er in seiner Todesserrolle ihr gegenüber vielleicht schon zu verantworten hat. Auch wenn er uns damals gerettet hat, in den Kerkern von Malfoy Manor. Früher hat er sich bereits ausgezeichnet gut mit Isas Vater Andrew verstanden. Ich schätze, das war noch nie eine gute Kombination.
Ich schaue mich nach Jill um. Als sie mich bemerkt, kommt sie zurück und setzt sich wieder mir gegenüber.
Obwohl ich weiß, wie kindlich die Frage klingen wird, richte ich mich wieder an sie: „Isa war sehr glücklich früher, oder?" Und genau das ist es, was ich jetzt hören will. Dass sie immer so überschwänglich war und so fröhlich, wie ich es nicht geschafft habe mir vorzustellen.
Jills Blick senkt sich auf den Tisch vor ihr. Fast will ich meine Frage zurücknehmen.
„Ich weiß nicht, ob ich es gemerkt hätte, wenn sie traurig gewesen wäre. Wahrscheinlich nicht. Isa hatte damals schon immer Probleme, irgendwelche Schwächen einzugestehen. Es könnten die Tage gewesen sein, an denen sie so übermütig war, dass selbst ich Bedenken hatte. Es würde zu ihr passen, schlechte Dinge auf diese Weise zu vertuschen. Oder die Tage, an denen sie meinte, dass sie müde war, weil sie sich in der Nacht mit den Hauselfen gestritten hatte." Ganz kurz schaut sie mir in die Augen, ich entdecke Unsicherheit darin.
„Was ich aber sicher sagen kann ...", sie zögert erneut, „Manchmal hat sie ein geschwollenes Auge gehabt oder Schrammen im Gesicht, am Hals und an den Armen. Mir hat sie gesagt, dass sie ständig aus dem Bett fällt, weil sie immer so lebhaft träumt." Auf einmal fängt Jill an zu kichern, das letzte, wonach mir gerade zumute wäre. „Wenn du ihr das nächste Mal begegnest, frag sie, ob sie Seher-Blut hat. Einmal hat sie gesagt, sie wäre in einem Traum von einem Werwolf und einem Bergtroll über einen Berg gejagt worden und ein Drache wäre vom Himmel gefallen und hätte sie gerettet."
Erschrocken stelle ich fest, dass ich mich fühle, als müsste ich tatsächlich gleich anfangen zu weinen. Wieso habe ich das nicht gewusst? Warum hat Isa nie mit mir über sowas geredet? Diese Beziehung zwischen uns muss verdammt oberflächlich sein. Scheint, als kenne ich sie doch nicht so gut wie ich gedacht hatte.
„Hast du ihr das geglaubt?", frage ich schnell, „Das mit den Träumen?"
„Manchmal", antwortet Jill, „Besonders am Anfang. Aber ... auch als kleines Kind fallen einem irgendwann Dinge auf, die sich zusammenhängend mit anderen wiederholen. Vielleicht merkt man sowas auch gerade als kleines Kind. Ich weiß es nicht. Was ich aber sicher weiß, ist, dass sie an jedem Tag, wo sie erzählt hat, aus dem Bett gefallen zu sein, nach unseren Touren durch das Ministerium nie zurück wollte. Isa wollte immer noch schnell, das machen und dies, und noch schnell einmal dort hin und da, irgendwie wollte sie immer rauszögern, dass wir beide irgendwann jeweils zu den Arbeitsplätzen unserer Eltern zurückgehen. Ich war mir an solchen Tagen oft ziemlich sicher, dass ihr Vater längst nach ihr suchen ließ, weil es schon so spät war. Am Tag danach war sie manchmal nicht da, oder sie sah noch schlimmer aus."
Ich stütze das Kinn auf meine Hände. Ich habe das früher immer anders gehandhabt. Wenn ich eine Auseinandersetzung mit meinem Vater gehabt hatte, war ich in der Zeit danach immer besonders nachgiebig und folgsam. Ich habe nie auch nur daran gedacht, mich vor ihm zu verstecken oder zu fliehen. Ich wusste, das konnte ich nicht. Danach wäre alles vermutlich nur schlimmer gewesen.
Vielleicht ist das der wirklich grundlegende Unterschied zwischen mir und Isa.
Ich gebe schneller auf als sie. Im Gegenzug funktioniert meine Methode besser, um weiteren Strafen aus dem Weg zu gehen. Sehr viel besser.
Ich glaube, mein Vater wusste ganz genau, wie er was bei mir erreichen konnte. Er hingegen ... er war für mich immer so ... so unberechenbar, mit seinen schwankenden Launen, den immer neuen Erwartungen, Ansprüchen, Forderungen, Wünschen, ... Mir kam es vor, als hätte er sich jeden Tag etwas Neues ausgedacht für mich.
Ich kann nicht umhin, ihn mit Isas Vater zu vergleichen.
Vater war, soweit ich das beurteilen kann, eher darauf bedacht, nach außen hin alles perfekt aussehen zu lassen, als Andrew. Er ist so ein Heuchler.
Es waren sehr oft Leute aus dem Ministerium bei uns. Ich weiß nicht, wann genau ich angefangen habe, das bewusst wahrzunehmen, allerdings habe ich mich immer gefragt, weshalb Vater so freundlich wurde, sobald andere Leute bei uns waren. Zu fragen habe ich mich jedoch nicht getraut.
„Jetzt du." Jill reißt mich aus meinen Gedanken. „Was ist mit mir?" Sie seufzt. „Ich habe dir erzählt, warum ich wissen will, was mit Isa ist. Und du scheinst ziemlich überzeugt, also bist du jetzt dran, zu sagen, warum ich dir das jetzt alles erzählen musste."
Nachdenklich blicke ich sie an. Endlich schaut Jill mir auch etwas länger als für einen Augenblick ins Gesicht. „Kann man dir vertrauen?" Jill ignoriert die Frage. Sie ist überflüssig. „Also gut", gebe ich schließlich nach. „Aber ich kann nicht garantieren, dass du danach glücklicher bist."


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