abnehmender Mond

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~(Isa)

Im ersten Augenblick denke ich, dass ich eine Ritterrüstung trage, so eine, wie sie in Hogwarts überall herumstehen. Doch ich fühle mich dadurch nicht geschützt oder stark, ganz im Gegenteil: Die Rüstung macht mich steif und unbeweglich. Angestrengt will ich aufstehen, doch ich schaffe es nicht. Zu viel Gewicht liegt zu schwer auf mir. Erst als ich die Augen aufschlage, verstehe ich, dass die vermeintliche Rüstung mein eigener Körper ist, der wie gelähmt am Boden liegt. Ein angstvoller Gedanke bahnt sich den Weg in meinen Kopf: Was ist, wenn ich wirklich gelähmt bin?

Mühsam spanne die Muskeln in meiner Hand an und krümme meine Finger. Eine Welle aus Erleichterung spült den Gedanken weg. Ich bin nicht gelähmt. Probeweise spanne ich alle Muskeln in meinem Körper an, und, siehe da, es funktioniert. Behutsam richte ich mich auf. Sofort dreht sich alles in meinem Kopf. Tief atme ich ein und aus, schließe die Augen und öffne sie wieder. Das Bild vor mir wird klarer. Verwundert starre ich auf meine Hände. Es ist nicht nur die Tatsache, dass meine blasse Haut von roten Flecken übersät ist – ich bin überrascht, dass ich überhaupt Hände habe. Aber wieso? Ist es nicht normal, dass man Hände hat? Wo bin ich überhaupt? Ich betrachte weiterhin meine Finger und die seltsame Farbe und denke an Erdbeeren, Rost und... Blut. Was habe ich getan?

Wie schon beim letzten Mal brechen die Erinnerungen wie ein einstürzendes Haus über mir zusammen. Erschrocken schnappe ich nach Luft.

„Dauert das bei dir immer so lange?", fragt eine spottende Stimme. Alarmiert springe ich auf, auf der Suche nach der Stimme. Augenblicklich schreit mein Körper auf vor Schmerz, die Flammen in meinen Muskeln lassen mich taumeln. Hilfesuchend lehne ich mich gegen die kalte Wand, was eine Wohltat für meine Haut ist. Stöhnend lege ich meine Stirn an die Wand und warte, bis der Schwindel wieder nachlässt. Dann versuche ich es noch einmal und wende mich, vorsichtiger diesmal, dem Ausgang der Stimme zu. Unnatürliches Licht fällt durch die weit geöffnete Tür und lässt Greyback wie eine muskulöse Silhouette aussehen. Einen Moment kann ich ihn nur anstarren, während verwaschene Bilder ohne Ordnung durch meinen Kopf rasen. Ich bin verwirrt, manche der Bilder ergeben keinen Sinn für mich. Während ich den älteren Werwolf ansehe fällt mir auf, dass er sich mit der Schulter am Türrahmen abstützt und nur ein Bein richtig belastet. Mein Blick wandert zurück zu meinen Händen und dem zinnoberroten Blut. Langsam dämmert es mir: Das ist nicht mein Blut.

„Das habe ich dir tatsächlich nicht zugetraut." Greyback lacht sein hasserfülltes Lachen. „Scheint so, als hätte ich mich getäuscht. Es war deine Entscheidung und du wolltest kämpfen. Also werde ich dich von nun an nicht mehr zu den Kindern, sondern zu den Kämpfen schicken. Wir werden ja sehen, wie du dich dort schlagen wirst..." Er spuckt mir die Drohung regelrecht vor die Füße, ehe er sich abwendet und die Tür sich mit einem lauten Schlag schließt.

Geschockt lasse ich mich an der Wand zu Boden rutschen. Ich habe es geschafft. Ich habe Greyback – als Wolf – bei dem Kampf übel mitgespielt. Natürlich hat er mich stärker verletzt, so gewaltig wie er bin ich nicht. Aber trotzdem habe ich ihn verwundet, zurückgeschlagen, ihm Schmerzen bereitet. Doch ich fühle mich alles andere als gut, selbst dann nicht, als ich an die Kinder denke, die mittlerweile hoffentlich woanders sind. Ich habe bloß Greybacks Drohung im Kopf. Er wird mich mit den anderen Menschen hier hier kämpfen lassen. Ich erinnere mich grob an Geschichte der Zauberei, wo wir einmal über Werwolfkämpfe gesprochen haben: Tag für Tag, den ganzen Monat lang, haben Werwölfe als Menschen trainiert um sich und andere dann an Vollmond zu zerfleischen. Ein ersticktes Schluchzen bahnt sich durch meine Kehle und ich verstecke das Gesicht in den Händen. Das werde ich niemals überstehen. Ich gebe mir selbst zwei Wochen, spätestens dann wird es zu Ende sein mit mir.

moon & miseryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt