Werwolfkämpfe

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„Heute es ist soweit."

Ich nicke nur. Eigentlich dachte ich, dass ich noch etwas Zeit habe, doch offensichtlich habe ich mich verschätzt.

„Das wird dann wohl unsere letzte Schicht hier", stelle ich fest.

Sed nickt. „Sobald du wieder in deinem Raum bist, wird Greyback dir einen Besuch abstatten. Und dann sieh zu, dass er auch bei dir bleibt."

„Das wird nicht sehr schwierig sein", erwidere ich finster, „Ich bin mir sicher, dass Greyback mich liebend gern fertig machen will. Viel Glück nachher", füge ich noch hinzu.

Ich werde von einem fremden Werwolf nach einiger Zeit wieder in mein schwarzes Zimmer gebracht. Unbeaufsichtigt darf ich mich hier nicht bewegen. Als ich alleine in der Dunkelheit eingesperrt werde und das Schloss der Tür klickt, beginnt mein Herz zu rasen und will sich gar nicht mehr beruhigen, dabei ist Greyback noch nicht einmal hier. Schon seit einer kleinen Weile habe ich den Werwolf nicht zu Gesicht bekommen. Vermutlich hat er selbst auch viel zu tun. Angespannt warte ich auf ihn. Die bloße Angst, Greybacks Gesicht wiederzusehen, ist beinahe so groß wie die Angst vor den folgenden Schmerzen. Der Geist vergisst schnell, wie Schmerzen sich anfühlen, doch nie wird das Gesicht vergessen, welches eben diese Schmerzen verursacht hat. Mit geschlossenen Augen stehe ich da, während ich alle Gedanken aus meinem Kopf vertreibe und mich nur auf meinen Plan konzentriere. Sobald Greyback diesen Raum betritt, werde ich sagen, dass ich kämpfen will. Dass dieser Ort meinen Kampfgeist hat erwachen lassen. Und dass ich weiß, dass er mir das nicht zutraut, ich ihm aber das Gegenteil beweisen werde. Ich bin fest überzeugt, dass Greyback auf den Vorschlag eingehen wird.

Ich höre, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht und die Tür mit einem Knarren aufgeht.

Langsam öffne ich die Augen.

~

Bereits seit Stunden hocke ich in der hintersten Ecke der malfoyschen Bibliothek auf einem der Lehnstühle und verschlinge ein Buch nach dem anderen – so wie die letzten Tage auch. Obwohl es draußen schon Nacht wird und mir die Bücher schwere Übelkeit bereiten – besonders die detaillierten Zeichnungen und Skizzen – kann ich nicht damit aufhören. Es sind Bücher über Werwolfkämpfe, von denen es vor 388 Jahren noch gar nicht so wenige gab: Manche fanden statt, um die Oberschicht der Zauberergemeinde zu unterhalten, andere wurden durch Rivalitäten zwischen richtigen Werwolf-Rudeln ausgelöst. Offenbar ging es dabei stets sehr rau und brutal zu und ein Kampf wurde erst für beendet erklärt, wenn genug Blut geflossen oder der Tod gekommen war.

Ich starre auf die leicht vergilbten Seiten vor mir und die Wörter verschwimmen vor meinen erschöpften Augen, als würde Wasser über die Schrift laufen. Ich ertappe mich dabei, wie ich den selben Abschnitt schon zum sechsten Mal lese, ohne dass auch nur ein Wort meinen Verstand erreicht. Ich zwinge mich zur Konzentration und lese den Absatz ein siebtes Mal.

Manche der gewaltigen Kämpfe dienten auch nur dem Zweck der Abstumpfung. Viele der betroffenen Personen (Werwölfe) konnten sich nicht damit abfinden, für immer verunstaltet zu sein. Manche der Überlebenden, die zu ihren Erfahrungen befragt wurden, gaben an, dass sie hofften, während der Kämpfe zu sterben. Den Tod im Ring zu finden war zu der Zeit eine Art letzter Glanz in dem armseligen Leben der Werwölfe. Andere berichteten, dass die regelmäßige Gewalt und Schmerzen dazu führte, dass der Geist abstumpfte und die Personen bald nur noch ihren verletzten Körper wahr zu nehmen schienen und so die Qual im Geiste verschwand.

Ich frage mich, ob Isa es genau so empfindet. Greyback teilte in seinem Schreiben mit, dass es Isa vielleicht auch nichts mehr bedeuten würde, mich zu sehen. Ich lege das Buch beiseite und versenke den Blick in den Flammen der brennenden Kerzen um mich herum. Ob der Schmerz sie so stark betäubt? Ob die ewige Qual so groß ist, dass sie ihren Geist verliert oder sogar freiwillig erstickt? Ich hoffe es nicht. Isa hatte immer so eine hartnäckige Kämpfernatur, dass es oft schon nervig war. Greyback kann sie nicht brechen. Er darf es nicht. Er darf es einfach nicht. Mit einem Mal steigt Ungeduld in mir auf, sie schwappt in meinen Kopf wie eine große Welle. Es ist nicht mehr lange bis zum 24. Dezember – wenn Isa wirklich so kaputt sein wird, wie Greyback es prophezeit hat, werde ich sie in den Arm nehmen und so lange fest halten und nicht gehen lassen, bis sich all ihre zersplitterten Teile wieder zusammenfügen – und ich werde jeden töten der versucht, sie mir wieder wegzunehmen.

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