Verhaltene Stimmen wabern aus der Großen Halle und zielstrebig gehe ich darauf zu, wobei ich niemanden ansehe. Ich suche nur zwei ganz bestimmte Personen, der Rest darf mir gestohlen bleiben.
An der Schwelle zur Großen Halle bleibe ich stehen. Mein Herz setzt aus.
Dort liegen Leichen. Nebeneinander und ordentlich aufgereiht liegen die Opfer der Schlacht auf dem Boden, umringt von den Lebenden. Ich überwinde mich und betrete den großen Raum, der erschreckend bedrückend wirkt. Ich gehe schneller und schneller und kann mich nicht entscheiden, ob es ein gutes oder schlechtes Zeichen ist, dass ich noch keine der beiden Menschen entdeckt habe.
Ganz hinten in der Großen Halle finde ich schließlich wenigstens einen – oder eine.
Der dunkle Wasserfall aus Haaren fällt ihr zerzauster über den Rücken als üblich, aber wenigstens ist Jill keine von denen, die tot am Boden liegen. Stattdessen kniet sie bei den Verwundeten und scheint ein junges Mädchen mit einem blutigen Arm gerade zu versorgen.
Als ich meine Freundin entdecke, stoße ich einen leisen Schrei aus und fange fast an zu rennen. Jill bemerkt mich, steht rasch auf und wir fallen uns um den Hals – ich vergrabe das Gesicht in ihrem Haar und atme tief durch. Als wir uns lösen sieht Jill mich mit funkelnden Augen an. „Du lebst! Aber – was ist mit deinem Hals passiert?"
Ich kann nicht anders, als sie anzulächeln. „Ich lebe. Du lebst. Das andere ist doch egal."
Jill erwidert mein Lächeln, wenn auch müde, und drückt meine Hand.
Ich blicke über die Schulter, kann aber noch immer keinen Toten entdecken, der ansatzweise so blond ist wie mein Freund. Also frage ich Jill: „Hast du Draco gesehen?"
Sie zieht die Augenbrauen zusammen. „Nein, tut mir Leid, Isa. Aber..." Sie macht eine ausladende Handbewegung zu den Verletzten und dann zu den Leichen. „Er ist nicht hier", sagt sie leise. „Ihm geht es gut."
Angestrengt versuche ich aus ihren dunklen Augen zu lesen, ob sie mich bloß beruhigen will, oder ob sie das tatsächlich so meint. „Was soll ich jetzt tun?", frage ich schließlich.
Jill streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. An ihren Fingerspitzen klebt getrocknetes Blut. „Du kannst weiter nach ihm suchen. Oder du bleibst hier und hilfst mir mit den Verletzten."
Ich muss ihn finden, will ich schreien, aber dann fällt mein Blick auf das Mädchen mit dem verletzten Arm. Sie ist bestimmt nicht älter als vierzehn und wenn sich nicht bald jemand um die Wunde kümmert, wird dort eine Narbe bleiben. „Ich helfe dir."
Mittlerweile klebt auch an meinen Fingern Blut von den schier unzähligen Verletzten, aber dank Jill, ein paar anderen und mir werden es immer weniger.
Auf einmal kommt Bewegung in die Menschen in der Großen Halle. Die, die dichter am Durchgang zur Eingangshalle stehen, springen auf eilen nach draußen und immer mehr folgen.
„Was ist los?", frage ich stirnrunzelnd.
Jill stellt sich neben mich und beobachtet das Geschehen mit schmalen Augen. „Keine Ahnung. Die Stunde... ist gerade erst vorbei. Aber... ich höre keinen Kampf, du etwa?"
Ich schüttele den Kopf.
Der Ausdruck großen Schreckens tritt auf Jills Gesicht. „Harry Potter ist tot", flüstert sie.
Erschrocken sehe ich sie an. „Wie bitte?"
„Das ist die einzige Erklärung. Ich wette, draußen marschieren gerade wieder die Todesser auf – und wenn sie nicht angreifen und kämpfen, kann das nur bedeuten, dass es dazu keinen Grund mehr gibt. Komm!" Sie greift nach meiner Hand und gemeinsam laufen wir den anderen hinterher nach draußen. Vor dem Schlossportal haben sich bereits eine Menge Leute versammelt, und auf der anderen Seite des Hofes warten die Todesser. Mein Blick schweift über die vielen Personen und bleibt an Rubeus Hagrid, dem Wildhüter, hängen. Der riesige Mann trägt etwas, jemanden...
„Oh nein!" Jill schlägt die Hand vor den Mund und jegliche Farbe weicht aus ihrem Gesicht.
Er ist tot.
„Harry Potter ist tot!"
Schreie werden laut, doch Voldemort lässt sie augenblicklich verstummen.
„Harry Potter ist tot", wiederholt er und die Todesser brechen in Gelächter aus. „Es ist zu Ende. Der Zeitpunkt, sich mir anzuschließen, ist gekommen. Schließt euch mir an, und euch wird kein Leid mehr geschehen."
Die Stille ist ohrenbetäubend. Bis sie von der dünnen, brüchigen Stimme eines Mannes zerrissen wird: „Draco."
Augenblicklich ist es vorbei mit meiner inneren Betäubung. Draco? Wer hat das gesagt?
„Draco, komm zu uns." Es ist Lucius Malfoy. Er steht in der vordersten Reihe bei den Todessern, den Arm halb erhoben.
Nun ist auch Narzissas leise Stimme zu vernehmen. „Komm, Draco."
Er lebt? Draco ist hier irgendwo?
Eine Gestalt löst sich aus der Menschenmenge auf der Seite, auf der auch ich stehe. Dracos platinblondes Haar leuchtet regelrecht zwischen all dem Staub und Verderben, als er langsam auf seine Eltern zugeht.
Einen Moment kann ich ihn nur anstarren. Geht er, weil er will, oder weil er nicht will, dass seinen Eltern seinetwegen etwas passiert, wenn er sich weigert? Ich kenne die Antwort. Ich will nicht zulassen, dass er das tut, ich kann es nicht zulassen.
Ich muss eine Entscheidung treffen.
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moon & misery
Fanfiction(Abgeschlossen!) Eine Geschichte um Draco Malfoy und Iris-Isabelle van Greenskape, die im siebten Schuljahr untragisch beginnt. Iris-Isabelle, die lieber Isa genannt wird, ist schockiert, als sie erfährt, dass sie zusammen mit Draco Malfoy Schulspre...