Müde lasse ich mich in meinen Sessel sinken, streife meine Jacke ab und öffne die obersten beiden Knöpfe meines Hemds. Mit einem Seufzer fahre ich mir durch die ordentlich frisierten Haare und seufze gleich noch ein weiteres Mal. Den Rest des Tages habe ich genauso verbracht wie den Morgen und den Mittag: indem ich ziellos durch das ganze Haus gelaufen und nach Möglichkeit jeder Person ausgewichen bin. Einmal wäre ich fast in eine Unterhaltung zwischen Greyback und Isas Vater geplatzt, bei der Greyback irgendetwas von verschwundenen Kindern erzählt hat. Überhaupt schien es Greyback zu gefallen, ebenso wie ich das Anwesen zu erkunden, denn auf ihn bin ich öfter gestoßen, wobei ich jedes Mal, wenn ich ihn gesehen hatte, sofort wieder umgedreht bin. Ich glaube, ich habe den Werwolf noch nie so munter und gut gelaunt erlebt. Wo er Isa gelassen hat, weiß ich nicht. Eigentlich wollte ich ihr doch helfen; auch wenn Helfen für gewöhnlich nicht meine Stärke ist. Aber wenn sie jeden außer Greyback umbringen will, der ihr zu nah kommt, wird daraus vermutlich nichts.
Plötzlich fühle ich mich so einsam wie nie, und mir wird zum ersten Mal klar und eiskalt bewusst, wie sehr ich Isa vermisse. Ich habe sie in Erinnerung als eine starke Persönlichkeit, ich weiß, dass sie lustig ist und frech und schnell eifersüchtig wird, wenn es um Personen geht, die ihr nahe stehen. All das scheint weggewischt, wie ausradiert.
Ein einzelnes, leises Klopfen an der Tür unterbricht meine Gedanken. Widerwillig erhebe ich mich aus meinem Sessel. Wer will mich denn so spät noch sehen? Es muss schon nach Mitternacht sein.
Lautlos öffne ich die Tür – und weiche sofort ein Stück zurück. Das spärliche Mond- und Sternenlicht, das durch mein Fenster dringt, taucht Isas helle Haare und ihr blasses Gesicht in einen dünnen Silbermantel. Ich bin froh, dass in der Dunkelheit nicht ganz zu sehen ist, wie übel ihr Gesicht zugerichtet ist. Obwohl es dunkel ist, realisiere ich plötzlich, dass Isas Gesicht nicht mehr so vollkommen ausdruckslos ist wie es heute Nachmittag der Fall war. Leise Verwirrung schwimmt in ihren Augen, während sie mich schweigend mustert. Ihr Blick wandert über mein Gesicht, bleibt an meinen Augen hängen und wandert weiter, wie auf der Suche nach etwas Vertrautem. Es kommt mir vor, als tasteten hauchzarte Fingerkuppen mein Gesicht ab, führen über meine Wangen, meine Stirn und meinen Mund. Schließlich schaut Isa mir wieder in die Augen.
„Sag etwas", flüstert sie, und es klingt wie eine Bitte.
„Ich habe dich vermisst", erwidere ich, genau so leise wie sie. Isa blickt mich an, als hätte ich ihr ein Geschenk gemacht. „Willst du", ich zögere, „rein kommen?"
Sie wirft einen Blick über die Schulter, dann nickt sie. Schweigend lasse ich sie eintreten und schließe leise die Tür. Mit lautlosen Schritten geht sie an mir vorbei zum Fenster. „Ich dachte nicht, dass ich die Sterne noch einmal wiedersehen würde", sagt Isa mit erschreckend sachlicher Stimme, während sie den nächtlichen Himmel betrachtet.
Etwas unbeholfen bleibe ich in der Mitte des Raumes stehen und frage: „Willst du darüber... mir erzählen was... also, nur wenn du möchtest." Früher hätte Isa vielleicht über mein Gestottere gelacht, heute dreht sie sich nicht einmal um.
„Greyback hat erst vor zwei Wochen angefangen, mich zu den Kämpfen zu schicken", berichtet sie mit tonloser Stimme. „Viele von den... Menschen sind schon seit Ewigkeiten im Untergrund. Manche von ihnen wollten sterben, wenn sie kämpfen. Manche wollten töten. Die Meisten wollten beides."
„Und was wolltest du?", frage ich sanft.
„Aufgeben", antwortet Isa simpel, „Nicht mehr aufstehen. Nicht mehr kämpfen. Nicht mehr sein." Ich spüre, dass da noch etwas ist, das sie sagen will, also bleibe ich stumm. „Ich wollte nicht zu einer weiteren Waffe in Greybacks Armee werden, die auf seinen Befehl hin schießt", sagt sie schließlich. Dann fügt sie hinzu: „Aber dafür ist es zu spät. Jetzt... will ich gar nichts mehr."
„Es ist nicht-", setze ich an, doch Isa schneidet mir das Wort ab. „Zu spät? Doch, das ist es." Endlich dreht sie sich zu mir um. „Ich weiß, dass ich vorhin meinen Vater getroffen habe. Ich weiß, dass ich ihn hasse. Aber es hat sich nicht so angefühlt. Ich hatte den Drang, dir den Arm zu brechen, weil ich nicht dich gesehen habe, sondern nur eine weitere Bedrohung. Ich will nichts mehr. Und was willst du, Draco Malfoy?"
Wie sie meinen Namen ausspricht. Als wäre ich ein Fremder. „Ich will meine Isa wieder haben", antworte ich leise. „Bitte", füge ich hinzu und mache einen Schritt in Isas Richtung, „Ich weiß, dass du noch irgendwo da bist. Allein die Tatsache, dass du hier her gekommen bist, beweist das."
Isa verschränkt die Arme wie ein Schild vor dem Körper. „Ich muss in zwei Tagen wieder... dort hin zurückkehren. Es ist besser, jetzt alles aufzugeben, als zu warten. Ich bin nur gekommen, um... um mich zu verabschieden. Ich werde nicht mehr wiederkommen, Draco Malfoy." Isa bewegt sich in Richtung der Tür, doch ich bin schneller als sie.
Mit entschlossener Miene baue ich mich vor der Tür auf. „Vergiss es. So schnell lasse ich dich nicht gehen."
Einen Meter von mir entfernt bleibt Isa stehen. „Geh zur Seite. Ich komme so oder so an dir vorbei. Aber das willst du nicht wirklich."
„Das willst du nicht wirklich", verbessere ich sie, „Ich bewege mich kein Stück. Du wirst mich schon zusammenschlagen müssen, wenn du hier raus willst."
„Und du wirst deinen Zauberstab brauchen, um mich davon abzuhalten."
„Ich würde dich nie mit Magie angreifen, solange du unbewaffnet bist."
Unruhig tritt Isa von einem Fuß auf den anderen, ehe sie ein missgelauntes Knurren von sich gibt, sich abwendet und in meinem Zimmer beginnt, auf und ab zu tigern. „Du willst mich nicht verletzen", sage ich leise. Mit dem Rücken zu mir bleibt Isa auf der anderen Seite des Raums stehen.
Unschlüssig mache ich eine Pause, bevor ich mit behutsamer Stimme erkläre: „Ich komme jetzt zu dir. Ist das... in Ordnung?" Ich warte auf ihr Nicken, ehe ich mich in Bewegung setze. „Sag mir, wie ich dir helfen kann", bitte ich sie so eindringlich, dass es fast wie ein Flehen klingt. Isa weicht meinem Blick aus.
„Ich kann nicht mehr unterscheiden, wer mein Feind ist und wer nicht. Das einzige Gefühl, das übrig geblieben ist nach dieser ganzen Zeit ist die Angst. Ich weiß, dass Greyback dich in der Zeit, in der ich weg war, besucht hat. Er hat mir das Messer mit deinem Blut gezeigt. Aber trotzdem... du hast keine Ahnung, wie brutal er sein kann." Ich nicke. „Du hast Recht. Ich habe keine Ahnung. Vertrau mir, ich würde dir nie weh tun. Ich weiß, dass ich das früher oft getan habe. Aber nicht länger. Der Teufel persönlich könnte mir befehlen, dich zu verletzen, und ich würde es dennoch nicht tun." Als ich keine Antwort bekomme, sage ich: „Bitte sieh mich an." Langsam hebt Isa den Kopf und schaut mich an. Ihre blauen Augen sehen gleichzeitig verletzt und gefährlich aus wie zersprungenes Glas. „Ich weiß, dass du mir nicht vertrauen kannst. Und ich will dich auch nicht um dein Vertrauen bitten, denn die Personen, die um Vertrauen bitten müssen, sind oft diejenigen, denen man am wenigsten vertrauen kann. Aber bitte lass mich dir zeigen, dass ich es ernst meine." Zögerlich hebe ich die Hand. „Darf ich?" Wieder nickt Isa. Sie schließt die Augen und zieht die Schultern hoch, als erwartete sie einen Schlag. Doch stattdessen fahre ich vorsichtig mit den Fingerspitzen über ihr Gesicht, ziehe ihre Konturen nach und streiche über die Male an ihrem Hals.
„Greyback hat mir eine Nachricht zukommen lassen", erzähle ich mit ruhiger Stimme, „in der er mir berichtet hat, wo du bist. Außerdem schrieb er, du wärst mit Sicherheit nicht mehr so hübsch wie früher. Aber das ist nicht die Wahrheit. Du bist genau so schön wie immer und du wirst es immer sein. Egal wie kaputt dein Gesicht und dein Körper ist, egal wie zerstört dein Geist ist, ich werde dich immer schön finden."
Als Antwort greift Isa nach meinen Händen und hält sie fest. Ihre Finger erkunden meine Haut, bis sie schließlich loslässt und mit scheuer Stimme sagt: „Du musst das nicht tun."
„Aber ich möchte es."
(Als Dankeschön für 3k reads kommt heute schon ein neues Kapitel ^^ viieeelen Dank :) Ich hoffe, meine Fanfiction gefällt euch auch weiterhin so gut :D)
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moon & misery
Fanfiction(Abgeschlossen!) Eine Geschichte um Draco Malfoy und Iris-Isabelle van Greenskape, die im siebten Schuljahr untragisch beginnt. Iris-Isabelle, die lieber Isa genannt wird, ist schockiert, als sie erfährt, dass sie zusammen mit Draco Malfoy Schulspre...