Erlösung

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Ich glaube, diese Entscheidung habe ich bereits vor Monaten getroffen, und nach dem ersten Mal immer und immer wieder auf andere Art und Weise.

Und wenn wir dabei draufgehen: Weder Ich noch Draco werden sich noch einmal unfreiwillig dem dunklen Lord anschließen.

Ich lasse Jills Hand los und stoße auf meinem Weg durch die Menge Menschen zur Seite, doch es ist mir egal. Ich stürze fast, so eilig habe ich es. Ich renne die Vortreppe hinunter und über die kurze freie Fläche, die Draco bereits überquert hat. Heftiger als geplant rausche ich gegen ihn und strauchele – doch er fängt mich auf. Erschrockene graue Augen starren in meine. „Isa?"

„Draco!" Ich lache atemlos, doch höre sofort wieder auf. Wenn wir Pech haben, sind wir in drei Sekunden tot. „Tu das nicht!" Meine Stimme ist schrill und heiser. Trotz meiner noch immer schmerzenden Kehle rede ich hektisch weiter. „Du willst das doch gar nicht wirklich. Geh nicht. Geh da nicht hin. Bleib bei mir, komm zurück, bitte geh nicht! Du hast eine Wahl! Bitte, Draco!"

Er sieht mich an und ich verschränke meine Finger mit seinen. Langsam nickt er. „Isa." Er flüstert meinen Namen. „Lass uns zurück gehen."

Erleichtert schnappe ich nach Luft, aber noch ist es nicht geschafft: Alle Augen ruhen auf uns, besonders die des Dunklen Lords. Ich rechne jede Sekunde mit einem grünen Lichtblitz, der unser beider Leben auslöscht – doch bevor es dazu kommt, schallt eine weitere Stimme über den Platz.

„Jungen, hilflosen Menschen Angst einjagen – Jah, das können Sie!" In diesem Moment könnte ich Professor McGonagalls Umhangsaum küssen. Sie ermöglicht es uns, zurück zu kommen, indem sie die Aufmerksamkeit auf sich lenkt.

Ich renne blind los und ziehe Draco hinter mir her, doch bald ist er es, der mich leitet, bis die Menge uns verschluckt.

„Meine Güte!", sagt Professor Slughorn gedämpft, der plötzlich vor uns steht. „Sie beide sind todesmutig! Das sind Slytherinschüler, auf die ich stolz bin! Gehen sie rein, schnell – sonst leben sie nicht mehr lange!" Im Schutz der vielen Menschen geleitet er uns ins Innere von Hogwarts.

Draco und ich verziehen uns ins Treppenhaus und lassen uns auf den Stufen nieder. Zitternd atme ich durch und lege meinen Kopf an Dracos Brust. Sein Hemd riecht versengt und irgendwie nach Rauch. „Du lebst", murmele ich.

Draco presst mich an sich. Auch sein Körper bebt. „Noch. Ich habe so ein Gefühl, dass es noch nicht vorbei ist. Isa..." Er schiebt mich auf Armeslänge von sich weg und sieht mich ernst an. „Danke. Dass du mich vor mir selbst beschützt hast."

Ich nicke schwach. „Das war verdammt nett von den beiden Professoren, uns zu beschützen, nicht? Sie wollten bestimmt ein Zeichen setzen."

„Oder sie wollten uns wirklich helfen."

„Kann sein." Ich lehne mich wieder an ihn.

Draco streicht durch mein Haar. „Was ist eigentlich mit deinem Hals passiert?", murmelt er. „Das sieht übel aus."

„Das war Greyback." Ich schlinge die Arme um ihn. „Er... wollte mich umbringen. Er hat versucht, mich zu erwürgen."

Dracos Körper spannt sich merklich an. „Er hat was? Wie... Wie hast du es geschafft, ihn abzuschütteln?"

Ich lächele müde. „Eigentlich hast du mich gerettet. Ich habe es geschafft, die Kette von dir von meinem Hals zu reißen und habe mit der Steinspitze nach ihm gestochen. Und dann hat er mich losgelassen."

Du hast was?"

Verwirrt sehe ich in Dracos Gesicht. „Ihn mit dem Stein gepiekst." Ich zucke mit den Schultern.

„Oh", macht Draco.

„Was ist denn los?"

Draco räuspert sich. „Wenn du ihn wirklich getroffen hast..." Leichte Röte kriecht in sein Gesicht. „Jedenfalls... Der Stein war verflucht. Ich... ich dachte mir, dass du mal in eine Situation kommst, wo du dich verteidigen musst. Und der Fluch ist ziemlich... ähm. Tödlich."

Erschrocken sehe ich ihn an. „Der war – was? Heißt das, ich habe Greyback... umgebracht? Warum hast du mir nichts davon gesagt."

Verlegen weicht Draco meinem Blick aus. „Ich wollte, dass du nicht zögerst, ihn zu benutzen. Es konnte eigentlich nichts schief gehen, weil ich außerdem einen Zauber auf den Anhänger gelegt habe: Er hätte nie einer Person etwas getan, die du nicht ernsthaft verletzten wolltest. Ich... Wenn ich ehrlich bin, dann bin ich froh, dass du ihn benutzt hast."

Ich starre dumpf nach vorn. Greyback. Tot. „Ich..." Das ist ein merkwürdiges Gefühl, aber die Vorstellung, dass der Werwolf mir oder Draco oder sonst wem nie wieder etwas antun wird, missfällt mir nicht. „Ich bin auch froh."

Draco legt einen Arm um mich und ich streiche mit den Fingern sanft über seine Brust.

Plötzlich dringen laute Geräusche zu uns.

„Was ist da los?", fragt Draco und springt auf. Ich tue es ihm gleich und er greift nach meiner Hand.

Gemeinsam rennen wir in die Große Halle – wo ein Kampf tobt. Draco ist mindestens so verwirrt wie ich. Denn es ist kein großer Kampf, an dem alle beteiligt sind – es ist nur ein Kampf. In der Mitte der großen Halle.

„Ist das...", sagt Draco lahm.

„Harry Potter?", frage ich verdutzt.

Der Gryffindor und Voldemort höchstpersönlich umkreisen sich wie zwei Raubtiere im Zentrum der großen Halle, beobachtet von Schülern und Lehrern und anderen – doch Todesser sind weit und breit nicht zu sehen.

„Er ist es!", jubele ich leise.

„Versuch, es zu bereuen, Tom", sagt Potter mit provozierend ruhiger Stimme. Voldemort sieht aus, als würde er jeden Moment explodieren vor Wut.

„Wovon redet er?", fragt Draco leise und ich zucke mit den Schultern.

Es dauert nicht lange, bis der Dunkle Lord tatsächlich explodiert – oder wenigstens sein Zauberstab.

Ich zucke zusammen, als grünes Licht gleißend den Raum erhellt, doch dabei bleibt es nicht: Aus Potters Zauberstab schießt ein roter Lichtblitz und die beiden Zauber treffen in der Luft zusammen.

Die gesamte Große Halle scheint die Luft anzuhalten und auch ich verfolge gebannt, wie der rote Strahl den roten langsam aber stetig aufzufressen scheint, weiter und weiter auf Voldemort zuknistert... und schließlich auf seinen Körper trifft.

Wie in Zeitlupe wirbelt sein Zauberstab in die Luft, und der Dunkle Lord selbst scheint für einen Moment wie erstarrt, bis er langsam nach hinten kippt und endgültig auf den Boden schlägt.

Einen Wimpernschlag ist es so leise, dass man Staub wirbeln hören könnte.

Dann brechen Schreie aus, doch es sind keine, die von Angst erzählen – es sind Jubelrufe.

„Er ist tot", brüllt irgendjemand enthusiastisch.

Draco schlingt vor Freude die Arme um meine Taille, hebt mich hoch und wirbelt mich im Kreis herum. Lachend halte ich mich mit einer Hand an ihm fest und wische mir mit der anderen Tränen der Erleichterung aus dem Gesicht.

Es ist vorbei.

Plötzlich sehe ich meine Zukunft gleißend hell vor mir – vor mir und Draco. Endlich müssen wir keine Angst mehr haben. Endlich bin ich Greyback los und Voldemort ist tot.

Endlich dürfen wir uns lieben, ohne dass irgendjemand dazwischen redet.

moon & miseryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt