Wie sich herausstellt, ist der Untergrund ein großes Netz an Tunneln direkt unter dem Herzen Londons. Durch einen versteckten, magischen Eingang bring Greyback mich eine metallene Leiter hinunter, die in einen muffigen, schlecht beleuchteten Gang führt. Zunächst ist es wie ausgestorben, und nur Greybacks und meine Schritte hallen wieder. Es gibt keine Fenster oder Sonstiges, nur diesen schmalen, modrigen Korridor. Ein beklemmendes Gefühl packt mich und die Wände scheinen mit jedem Schritt etwas näher zu rücken. Nach ein paar Abbiegungen stoßen wir auf eine schwere Metalltür, welche Greyback mit der Schulter auf stemmen muss. Ein beißender Gestank schlägt mir entgegen, es riecht nach zu vielen Menschen auf zu engem Raum. Tatsächlich befinden sich in dem Gang hinter der Tür, der ein wenig breiter ist als der Erste, eine Menge Menschen. Sie stehen in kleinen Grüppchen herum, sitzen oder liegen sogar auf dem Boden. Es sind Frauen und Männer jeden Alters und ohne bestimmtes Muster, doch sie alle sehen auf eine gemeinsame Weise mitgenommen aus. Die meisten sind sehr dünn, tragen schmutzige Kleidung und haben ungewaschenes Haar, ganz zu schweigen von den Verletzungen. Viele haben ein blaues Auge oder blaue Flecken an den Armen, drei oder vier haben bandagierte Körperteile. Sobald die verwahrlosten Menschen Greyback erblicken, weichen sie bis an die Wand zurück und die Gespräche brechen ab. Ohne langsamer zu werden, schreitet Greyback durch den Gang, ungeachtet der vielen Personen. Wer ihm nicht schnell genug ausweicht, wird beiseite gestoßen. Ein schlafender Mann liegt quer auf dem Boden und ich sehe, wie Greyback ihm auf die Finger tritt. Ich gebe mir größte Mühe, mitzuhalten.
Die Menschen beäugen mich misstrauisch, ich spüre ihre Blicke, doch sobald ich jemandem in die Augen sehe, weichen sie meinem Blick aus. Ich bin eine Fremde, dazu noch eine Fremde, die dem Werwolf Greyback hinterherläuft, der offensichtlich sehr gefürchtet wird.
Ich senke den Blick und versuche, niemanden anzusehen. Ab und zu tauchen weitere Türen auf oder Abzweigungen, wo der Gang in verschiedene Richtungen geht. Bald habe ich in den immer gleichen Gängen die Orientierung verloren, doch Greyback scheint genau zu wissen, wohin er geht. Schließlich bleibt er an einer Tür stehen, die sich für mich nicht von den anderen unterscheidet, und öffnet sie. Ich folge ihm in den unbeleuchteten Raum und die Tür schlägt hinter mir zu. Nur ein kleiner Lichtspalt fällt unter dem Türschlitz durch. Ich weiß, dass ich eigentlich Angst verspüren sollte, weil ich alleine mit Greyback irgendwo in der Dunkelheit eingesperrt bin, doch als ich in mich hinein horche und nach Gefühlen suche, empfinde ich... nichts. „Das, was du eben gesehen hast", ertönt Greybacks Stimme wie aus dem nichts, „Die Menschen. Vermutlich kann dein kleiner Kopf sich das schon denken... Sie alle gehören mir. Es sind Werwölfe. Jeder Einzelne von ihnen. Mindestens die Hälfte von denen habe ich persönlich zum Wolf gemacht. Alle anderen...", er lacht, „Wurden auf meinen Befehl hin verwandelt. Ich behalte sie alle hier, lasse sie ausbilden, zum Kämpfen und zum Jagen... Ich lasse sie gegeneinander antreten. Sowohl als Mensch, als auch als Wolf. Aber du..." Ich höre, wie er in der Dunkelheit umher geht. Wie ein hungriger Hai zieht er seine Kreise um mich. „Du hast dabei keine Chance. Das sind Werwölfe. Echte Werwölfe, nicht dieser billige Abklatsch eines gewöhnlichen Wolfes zu dem du dank des verfluchten Wolfbanntranks geworden bist. Trotzdem will ich dich eine Weile hier behalten. Aber da du nicht als richtiger Werwolf taugst, wirst du dich eine Zeit lang um unsere Welpen kümmern. Aber vorerst bleibst du noch hier drin, du solltest die Möglichkeit nutzen und dich... ausruhen."
Greyback verlässt den Raum und ich bleibe alleine in der Finsternis zurück. Ich würde gerne darüber nachdenken, was er gesagt hat, was er mit den ,Welpen' meinte, und wie lange ich wohl hier bleiben muss. Doch ich bin viel zu müde und erschöpft. Ich rolle mich auf dem kalten, harten Boden zusammen und schließe die Augen.
~
Das Gefühl der Zufriedenheit ist längst verflogen. Weitesgehend vermeide ich es, mein Zimmer zu verlassen. Einerseits aus Angst vor Bellatrix, die sich vermutlich immer noch rächen will, und andererseits, weil sie mich wieder an Isa erinnert hat. Greyback hat mich gewarnt, dass ich sie womöglich nicht mehr in einem Stück sehen wiedersehen werde. Ich hoffe, dass Greyback sie noch nicht gefunden hat und auch nicht finden würde – selbst wenn das bedeuten würde, dass ich sie nicht mehr wiedersehen würde. Wenigstens versuche ich, mir das einzureden, dabei will ich im Moment nichts mehr, als sie zu sehen. Wie lange ist es jetzt her, dass wir getrennt wurden? Schließlich ist es bereits Mitte Dezember. Es kommt mir vor, als wäre es im Malfoy Manor genauso kalt wie draußen. Noch während ich bedrückt aus dem Fenster schaue, fallen erste Schneeflocken und bittersüße Gefühle steigen in mir auf. Ich liebe Schnee. Zumindest tat ich das früher, als Schnee bloß Schnee war und mich nicht an die wahre Kälte in meinem Leben erinnert hat.
Auf dem Korridor ertönen Schritte. Mein nervöser Blick wandert durch den Raum und bleiben an der Tür hängen. Die Schritte stoppen direkt davor, doch anstatt dass die Tür sich öffnet, wird ein Brief unter der Tür durch geschoben.
Der Brief ist knapp, hat keinen Absender und beginnt ohne Anrede.
Am 24. Dezember werden wir für zwei Tage zu euch kommen. Das heißt, du wirst sie wiedersehen... oder das, was dann von ihr übrig ist. Falls etwas übrig bleibt. Nicht jeder überlebt den Untergrund und niemand übersteht ihn vollkommen unversehrt. Du willst sicher sehen, was aus deinem hübschen Mädchen geworden ist? Oder lieber doch nicht? Denn so hübsch ist sie nicht mehr, das ist sicher. Sie wird sich sicher freuen, dich zu sehen... oder auch nicht. Auf ein nettes Wiedersehen...
Ich presse eine Hand auf den Magen. Nie hätte ich erwartet, dass Greyback mir eine Nachricht schreiben würde. Ich wusste nicht einmal, dass der stinkende Hund überhaupt schreiben kann. Er hat Isa also gefunden und sie in den Untergrund gebracht – was auch immer der Untergrund ist. Isa lebt. Doch laut Greyback ist sie in schlechter Verfassung. Was er wohl damit meint, dass sie nicht mehr so hübsch ist wie früher?
Eins steht fest: Es wird das düsterste Weihnachten werden, das ich je erlebt habe.
Aber zuerst muss ich herausfinden, was der Untergrund ist.
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moon & misery
Фанфіки(Abgeschlossen!) Eine Geschichte um Draco Malfoy und Iris-Isabelle van Greenskape, die im siebten Schuljahr untragisch beginnt. Iris-Isabelle, die lieber Isa genannt wird, ist schockiert, als sie erfährt, dass sie zusammen mit Draco Malfoy Schulspre...