Veränderungen

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Mit geschlossenen Augen lasse ich die Eindrücke auf mich wirken. Ich spüre kühle Schatten und die kalte Luft riecht nach Kiefernholz und Nadeln. Ein Windhauch lässt die Bäume knarren und hört sich merkwürdig vertraut an. Langsam öffne ich die Augen. Zuerst erkenne ich die Hütte nicht wieder – dann fällt es mir schlagartig ein. Erschrocken schnappe ich nach Luft und ziehe die Schultern hoch. Gänsehaut kriecht über meinen Rücken als ich mich an meine allererste Flucht erinnere, vor nicht allzu langer Zeit...

„Willkommen zurück", knurrt Greyback.

Mir ist unwohl dabei, wieder hier zu sein. „Ich dachte", sage ich halblaut, „man sucht uns. Ist es dann nicht dumm, hierher zurückzukommen?"

Greyback lacht. „Das ist genau der Trick. Niemand hält mich für so blöd, dass ich jetzt hier hin komme. Keiner wird hier nach mir suchen."

Ich runzele die Stirn, erspare mir aber den Kommentar, dass vermutlich eine Menge Leute Greyback für so blöd halten. „Warum sind wir hier?", frage ich stattdessen. Die Erinnerungen an diesen Ort lassen mich stärker frieren als der kalte Wind.

Greyback stapft auf mich zu. Mit einem Grinsen fragt er: „Hast du Angst?"

„Nein", erwidere ich störrisch, ohne ihn anzusehen, und wiederhole meine Frage.

„Bald ist wieder Vollmond", sagt Greyback genüsslich. „Und..." Aus schmalen Augen mustert er mich. „Es wird sich einiges verändern."

Ich versuche, nicht allzu beunruhigt auszusehen. Ist das nun gut oder schlecht?

Greyback fährt fort. „Dass du bis hierhin überlebt hast zeigt, dass du mehr drauf hast, als ich anfangs dachte." Er zuckt mit den Schultern, als wäre es keine große Sache. „Daher wirst du jetzt von mir lernen. Kämpfen. Jagen. Töten. Ich gebe zu, am Anfang war es ganz lustig, mit dir zu spielen. Aber jetzt ist es langweilig. Vielleicht bist du doch zu gebrauchen."

Sprachlos starre ich ihm hinterher, als Greyback sich umdreht und mit schweren Schritten in seine Hütte stiefelt.

Ich finde mich in meinem alten Zimmer wieder, in dem noch immer der fleckige Spiegel hängt. Neugierig mustere ich mich. Meine blonden Haare sind länger als je zuvor und haben mehr Knoten als Merlins Bart. Doch das stört mich nicht – je länger ich mein Spiegelbild ansehe, desto mehr Kampfgeist steigt in mir auf.

Ich kann nichts an meiner Situation ändern. Aber ich kann das Beste daraus machen. Wenn Greyback mir tatsächlich etwas beibringen will, dann werde ich lernen. Ich habe so viel durchgemacht, doch jetzt wird sich etwas ändern, beschließe ich. Ich recke das Kinn und setze ein überhebliches Gesicht auf. Ein starkes Gesicht. Mit mutigen Augen.

Es steht mir gut.

Die Sonne geht oft auf und wieder unter, an jedem einziehenden Abend betrachte ich mich eingehend im Spiegel. Jedes Mal sehe ich anders aus.

Greyback hatte Recht damit, dass er mir etwas beibringt: Ich werde schneller und stärker und wenn mich jetzt jemand angreifen würde, könnte ich mich verteidigen – mit oder ohne Magie.

Als ich am Morgen nach Vollmond erwache, stiehlt sich ein triumphierendes Grinsen auf mein Gesicht. Es war ganz und gar nicht schrecklich; im Gegenteil. Mit geschlossenen Augen dämmere ich noch ein wenig in den Eindrücken und Erinnerungen. Meine Pfoten trommeln laut über den Boden, mit jedem Sprung werde ich schneller und schneller. Nichts und niemand kann mich aufhalten. Wirre Bilder des nächtlichen Waldes tanzen vor mir und ich spüre wieder die Hitze und die Aufregung in meinen Adern pulsieren.

„Beeindruckend, gestern Nacht", sagt Greyback höhnisch grinsend, „Zumindest für einen so kleinen Wolf wie dich."

„Stimmt", entgegne ich ungerührt, und lasse eine kleine Flamme aus meinem Zauberstab züngeln, um mir die Finger zu wärmen. „Für einen großen Wolf wie dich war es keine große Leistung, muss ich ehrlich sagen."

Greyback knurrt amüsiert. „Würdest du gerne zurück?"

Ich halte inne. „Was meinst du?"

„In deine Schule."

Langsam lasse ich den Zauberstab sinken und betrachte die feinen Muster in seinem Holz. Schließlich blicke ich zu Greyback. „Was soll das heißen?"

„Wenn du so weiter machst, brauchst du bald wieder anderes zum Lernen. Hab gehört, in der Schule lernt man. Vielleicht lasse ich dich irgendwann gehen, wenn du stark genug geworden bist."

Schockiert schaue ich ihn an. Eine kleine Hoffnungsflamme in meinem Inneren lodert auf und ich nehme mir vor, noch härter an mir zu arbeiten.

moon & miseryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt