der Ruf des Dunklen Mals

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Die nächsten Wochen verbringen wir die meiste freie Zeit in der Bibliothek. Wir – Isa, Blaise, Isas Freundin Jill, und ich.

Gemeinsam lernen wir oder tun wenigstens so, um hinter vorgehaltener Hand plaudern und über die Carrows herziehen zu können.

Manchmal, wenn wir in dieser Gruppe zusammensitzen, kann ich fast vergessen, was in den Ferien bei mir Zuhause geschehen ist, oder all die anderen Schrecken die ich – und Isa – in den letzten Jahren durchmachen mussten. Fast. Die Erinnerungen rücken in den Hintergrund und verblassen in meinem Hinterkopf... bis ich wieder einen Erstklässler sehe, der auf Befehl der Carrows gefoltert und verletzt wurde; bis ich bemerke, dass Isas Blick in die Ferne rückt und sie seltsam zerstreut und abwesend schreckhaft wird oder wann immer mir die gedrückte Stimmung auffällt, die wie ein rauchiger Nebel durch ganz Hogwarts weht.

Es ist wie ein hübsch bestickter Vorhang, der ab und zu flattert und dahinter verborgene, hässliche Wahrheiten erkennbar werden.

Während draußen der Mai herbei schleicht, ist im Schloss nichts von aufkommender Wärme zu spüren.

Im Gegenteil: Je länger wir hier sind, desto kühler scheint es zu werden und selbst Blaise, der immer ein Grinsen auf Lager hat, und Jill, die sonst mit der Nase in den Wolken steckt und gut gelaunt dem Wind hinterherjagt, sind bedrückt und lächeln nicht halb so viel wie früher.

„Hast du manchmal auch das Gefühl, das hier ist gar nicht mehr Hogwarts?", fragt Isa eines Tages Anfang Mai.

Wir sitzen am Schreibtisch in unserem Schlafsaal und ich helfe Isa bei den komplizierten Verwandlungshausaufgaben.

„Ich weiß genau, was du meinst", sage ich, streiche ein Wort in ihrem Aufsatz durch und ersetze es durch ein neues.

Plötzlich flackert ein brennendes Ziehen in meinem linken Unterarm auf und ich zucke zusammen.

„Was war das?", fragt Isa und starrt ihren Arm an. Sie hat es also auch gespürt, das kann nur eins heißen... „Das Dunkle Mal", stellt sie leicht verwirrt fest, „Aber es war kein Ruf, oder?"

Ich schüttele den Kopf. „Das ist anders. Jetzt..." Nachdenklich reibe ich mir den Arm. „Es kam mir eher so vor, wie wenn ein anderer Todesser das Mal berührt, um – um ihn zu rufen."

Isa springt auf. „Aber..." Mit großen Augen sieht sie mich an. „Das würde heißen... Wir haben doch den Befehl, ihn nur zu rufen, wenn... wenn wir Potter haben. Und wenn wir es so deutlich gespürt haben..." Sie ist leichenblass und in ihren Augen liegt ein Schock, den ich noch nicht ganz begreife.

„Dann...?" Schließlich verstehe auch ich. „Es... Es hat sich angefühlt, als sei es hier ganz in der Nähe, oder?"

Isa nickt langsam.

„Aber das ist unmöglich. Er kann nicht hier sein. Das wäre Selbstmord.. Es sei denn..." Ich sehe Isa an und in ihrem Gesicht dämmert der selbe Gedanke wie bei mir.

„Es sei denn, Potter hat eine Möglichkeit gefunden, den Dunklen Lord zu besiegen – und will, dass er hier nach ihm sucht. Merlin. Hogwarts würde in einer Schlacht versinken."

„Das sind doch nur Spekulationen", versuche ich sie zu beruhigen, „Wir wissen doch gar nicht..."

Die Tür geht auf und Blaise, leicht außer Atem, steckt den Kopf zur Tür herein. „Alle Schüler sollen sich in der Großen Halle versammeln", verkündet er, und ist schon wieder weg.

Isa sieht mich ernst an. „Auf geht's", sagt sie leise.

Die Große Halle ist brechend voll und trotzdem still wie ein Grab.

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