Wiedersehen

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~(Draco)

Natürlich ist nichts von weihnachtlicher Stimmung zu spüren, als ich am 24. Dezember durch die Korridore von Malfoy Manor streife. Wie ein Fisch in einem Glas ziehe ich immer gleiche Kreise durch das Anwesen, stets auf der Hut. Ich möchte niemanden sehen, nicht meine Eltern und auch sonst keinen Menschen. Es gibt nur eine Person, die ich erwarte. Ich pendle zwischen der Bibliothek, meinem Zimmer und der Eingangshalle hin und her, Stunde um Stunde verbringe ich voller Ungeduld.

Es ist bereits Nachmittag, als ich vom Treppenhaus Stimmen aus der Eingangshalle vernehme. Mit schnellen Schritten nehme ich die letzten Stufen, beuge mich über die Brüstung und schaue auf die Halle herunter.

Als ich die vier Personen erkenne, will ich die letzte Treppe hinunter, doch auf einmal steht meine Mutter vor mir. Mit einer sanften Hand und einem Kopfschütteln hält sie mich zurück. Unzufrieden bleibe ich stehen und beobachte die Szene von oben.

Vater und Andrew van Greenskape stehen nebeneinander und blicken die beiden anderen Gestalten abwartend an. Greyback macht sich keine Mühe, leise zu sprechen, und seine Stimme wandert durch die Halle zu mir nach oben. Vorsichtig fahre ich mit den Fingern über mein Gesicht, wo Greyback mich mit dem Messer verletzt hatte. Glücklicherweise ist von den Schnitten nichts mehr zu sehen.

„Ey, Malfoy", begrüßt der Werwolf meinen Vater mit seiner üblichen, charmanten Art. „Ich bin immer wieder neu überrascht, wie luxöriös ihr es hier habt."

„Luxuriös", verbessert Vater wie von allein, doch Greyback scheint ihn gar nicht wahrzunehmen. Er blickt sich sich scheinbar interessiert um. „Edel und teuer. Ganz nach deinem Geschmack, hm?" Doch Greyback scheint nicht gefunden zu haben, wonach er sucht, denn immer noch schaut er nach links und rechts und schließlich auch nach oben. Selbst von hier oben erkenne ich, wie sein Blick an mir hängen bleibt. Ein gelbes Grinsen ziert sein hässliches Grinsen, als er sagt: „Dein Sohn scheint mich ja bereits zu erwarten, Malfoy. Obwohl, vermutlich wartet er nicht auf mich..."

„Wo wir gerade davon sprechen", schaltet sich nun auch Andrew ein, „Ich habe meine Tochter auch lange nicht mehr gesehen."

Wütend umklammere ich das Geländer, sodass meine Knöchel noch weißer als sonst hervortreten. Als würde es diesen verdammten Heuchler interessieren, was mit seiner Tochter passiert. Wenn ich mich recht erinnere, hatte er kein Problem damit, Isa zu töten. Mein Blick wandert von Greyback zu der vierten Person in der Eingangshalle. Einige Meter hinter Greyback steht sie mit gesenktem Kopf und sieht sehr verloren aus, als wäre ihr auf dem Weg die Kraft ausgegangen oder sie hätte vergessen, wo sie eigentlich hin wollte.

„Also...", fährt Andrew fort, aber Greyback unterbricht ihn mit einem gebellten: „Komm schon, wo bleibst du?" Ohne richtige Reaktion setzt Isa sich in Bewegung, wie einstudiert setzt sie einen Fuß vor den anderen und bleibt einen halben Schritt hinter Greyback stehen. An ihrem Platz angekommen senkt sie wieder den Kopf. Eigentlich könnte man meinen, sie würde den hübschen Marmorboden interessant finden, doch wenn man genauer hinschaut, sieht es eher so aus, als würde sie sich vor Greyback klein machen.

Andrew macht einen zaghaften Schritt nach vorne, traut sich aber nicht näher an Greyback heran. Der stößt Isa an. „Los, sieh deinen Vater an." Isa hebt wie eine Puppe den Kopf, und obwohl sie in die Richtung ihres Vater blickt, scheint sie ihn nicht wirklich wahrzunehmen. Prompt macht Andrew wieder zwei Schritte rückwärts, und Vater räuspert sich unbehaglich.

Dann ist es still, bis Andrew fragt: „Was hast du mit ihr gemacht, Greyback?" Etwas in seiner Stimme sorgt dafür, dass eine Gänsehaut über meine Arme kriecht. Ich brauche einen Moment, bis ich erkenne, dass er entsetzt klingt. Aber so schlimm kann es doch nicht sein, oder? Was könnte mit Isa geschehen sein, dass sogar ihr Vater – der sie vor ein paar Monaten noch töten wollte – entsetzt ist?

Greybacks Lachen schallt laut in der Stille. „Oh, ich glaube, der Untergrund gefällt ihr nicht besonders. Vermutlich steht sie mehr auf diese Marmorfußböden und Edelholz."

„Ebenholz", murmelt mein Vater.

„Halt die Klappe, Malfoy", stöhnt Greyback, „Das ist doch alles das Gleiche. Wenn ihr uns jetzt entschuldigen würdet", fügt er spöttisch hinzu, „Wir müssen dem kleinen Malfoy noch einen Besuch abstatten. Komm", fügt er barsch an Isa gewandt hinzu. Reglos sehe ich zu, wie meine Mutter sich zu meinem Vater hinunter in die Eingangshalle begibt. Ich hingegen bleibe stehen und warte auf Greyback und Isa. Mit den Blicken folge ich ihnen, während sie die breite Treppe hinauf kommen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir das bloß einbilde, aber es kommt mir vor, als hätte Isa sich sogar Greybacks Schritten angepasst.

Wieder bleibt Isa einige Schritte hinter Greyback stehen, und ich muss mich zwingen, nicht zurück zu weichen, als er sich vorbeugt und mir zuraunt: „Ich hoffe, dir gefällt, was du siehst." Dann zerrt er Isa neben sich und befiehlt: „Du sollst ihn ansehen." Wie schon zuvor hebt Isa auf Kommando den Kopf und schaut in meine Richtung. Schockiert trete ich zurück, bis ich an das Treppengeländer stoße. Ich bekomme mit, wie Greyback lacht, doch ich habe nur Augen für Isa.

Das Problem sind nicht die Schnitte auf ihrer Haut oder die blauen Flecken und Prellungen, und auch nicht die Würgemale an ihrem Hals oder die Tatsache, dass sie abgemagerter ist als ich sie je gesehen habe. Es ist der Ausdruck in ihren Augen, der mich und vermutlich auch Andrew so schockiert hat. Es kommt mir vor, als blickte ich einer Leiche ins Gesicht, so ausdruckslos sind ihre Züge. Ihr Gesicht ist leer wie ein unbeschriebenes Blatt. Isa sieht mich an, doch ihr Blick scheint durch mich hindurch zu gehen. Vorsichtig strecke ich eine Hand nach ihr aus, ich weiß nicht, was ich erwarte, vielleicht will ich auch nur sehen, ob ihre Haut noch warm ist. Doch in dem Moment, in dem meine Fingerspitzen sie erreichen, packt sie mich plötzlich am Handgelenk. Ihre Finger schließen sich um meinen Arm wie ein Schraubstock und drehen ihn so ruckartig um, dass ein ziehender Schmerz durch meinen gesamten Arm und die Schulter geht. Erschrocken ziehe ich mich zurück. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Greyback sich stark amüsiert, doch ich konzentriere mich auf Isas Gesicht – vergeblich. Keine Regung ist zu erkennen.

„Was hast du denn erwartet?", fragt Greyback mit vor Belustigung triefender Stimme, „Das Mädchen habe ich zwei Wochen kämpfen lassen. Sie ist stärker, als sie aussieht und ein mageres Opfer wie dich hätte sie im Handumdrehen am Boden. Aber dazu hat sie meine Anweisung nicht. Trotzdem", er schüttelt den Kopf, „Ich an deiner Stelle würde lieber die Finger von ihr lassen. Ich fürchte, sie mag keine Berührungen, weißt du?" Immer noch lachend wendet Greyback sich ab und stolziert mit Isa im Schlepptau davon.

Wie vom Blitz getroffen stehe ich da und blicke ihnen hinterher.

moon & miseryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt