Nach einer Weile, die ich mit den Kindern verbracht habe, öffnet sich die Tür. Doch es ist nicht Greyback; stattdessen steht ein deutlich jüngerer Mann in der Tür, vielleicht zwei oder drei Jahre älter als ich. Anders als alle anderen Menschen, die ich hier unten gesehen habe, sieht er nicht verwahrlost aus. Im Gegenteil: Er sieht vielmehr verboten gut aus. Seine Haut ist braun gebrannt, wie bei einer Person, die bei jedem Wetter draußen ist. Seine blaugrünen Augen leuchten fast schon zu hell in seinem bronzefarbenen Gesicht, und die schwarzbraunen, leicht lockigen Haare trägt er zerzaust. Seine Schultern sind ebenso breit wie die von Greyback. Gedanken, die absolut nicht an diesen Ort passen, schleichen sich in meinen Kopf und ich ertappe mich dabei, wie ich den Fremden sowohl mit Greyback als auch mit Draco vergleiche – eine sehr seltsame Mischung. Doch trotz allem bin auch ich immer noch ein Mädchen, eine junge Frau, die es bemerkt, wenn jemand gut aussieht.
„Ähm, hallo", begrüße ich den Fremden leicht verwirrt.
„So überrascht?", fragt er mit einem Grinsen, das genauso wenig hierher gehören zu scheint wie sein gutes Aussehen. „Hat Greyback dir nichts von deiner Verstärkung erzählt?"
„Nein, das hat er nicht", erwidere ich vorsichtig. Was für eine Verstärkung?
„Ich bin auch ab und zu hier, um auf die Kinder aufzupassen." Mit großen Schritten durchquert er den Raum und streckt mir überschwänglich seine Hand entgegen. Etwas perplex erwidere ich den Händedruck. „Ich bin Sed", stellt er sich vor, ohne meine Hand los zu lassen. „Wie war dein Name noch gleich? Greyback hat es mir schon gesagt, aber..." Bei seinem lauten Lachen zucke ich fast zusammen, auch die Kinder werfen Sed verwirrte Blicke zu. Hier wird nicht gelacht. Sed tippt sich an den Kopf. „Hab's schon wieder vergessen. Aber das wirst du mir wohl verzeihen, oder?"
Er zwinkert mir zu. Für einen Moment starre ich ihn nur mit offenem Mund an, ehe ich meinen Namen murmele und mich vorstelle. Hat der mir gerade echt zugezwinkert? Irritiert wende ich den Blick ab. Dieser Sed ist ja verdammt gut drauf. Das ist echt... unheimlich. Sed setzt sich auf einen der Tische und lässt die Beine baumeln. „Du bist wohl nicht so gesprächig, kann das sein?" Ich zucke bloß mit den Schultern. Tatsächlich habe ich nicht gerade große Lust, mich mit dem viel zu gut gelaunten Sed zu unterhalten. „Jaah", fährt dieser fort, „Sowas in die Richtung hat Greyback auch schon erwähnt. Er meinte, ich soll gut aufpassen, dass du nicht weg läufst." Wieder lacht er, während ich nur auf meine Schuhe starre. „Man, man, man", sagt er gedehnt, „Du bist echt vor Greyback abgehauen? Ehrlich mal, ich weiß nicht, ob ich das dumm oder mutig finden soll. Darf ich was fragen? Was hast du dir dabei gedacht?" Seine Stimme klingt tadelnd, als wäre er enttäuscht von mir. „Das würde ich echt gerne nachvollziehen können", fügt er hinzu.
„Nein, das würdest du nicht", rutscht es mir heraus und ich bin überrascht von der Schärfe in meiner Stimme.
„Hey", sagt Sed und hebt abwehrend die Hände, „Es war doch nur eine Frage."
„Tja", erwidere ich gereizt, „Für mich war es aber mehr als eine Frage. Für mich war es die reinste Hölle."
Endlich hat Sed aufgehört zu grinsen. Mit ernstem Ausdruck beugt er sich dicht zu mir und raunt vertrauensvoll: „Es stimmt schon, Greyback kann sehr... heftig sein." Automatisch lehne ich mich ein Stück zurück, doch das motiviert Sed nur dazu, noch näher zu kommen. Mit seinen hellen Augen fixiert er mich. Als er seine nächste Frage stellt, klingt er schon vorsichtiger. Er senkt die Stimme und schaut mich, ohne zu blinzeln, an. „Was...", beginnt er langsam, „hat Greyback mit dir angestellt, als er dich wieder geschnappt hat?" Begierde strahlt aus seinen zu hellen Augen, von denen ich mich nicht losreißen kann.
„Er", stammele ich, „Er hat... versucht... nicht versucht, sondern eher mich glauben lassen, er würde mich ertränken." Bei der Erinnerung scheint sich mein Herz zu verkrampfen, doch Sed nickt und murmelt: „Faszinierend." Meinen entsetzten Blick scheint er nicht zu bemerken, stattdessen springt er auf und beginnt, sich mit den Kindern zu unterhalten.
Die Zeit im Untergrund vergeht, ohne dass ich es bemerke. In unregelmäßigen Abständen werde ich zu den Kindern geschickt, um dann wieder eine Weile in meinem Raum eingesperrt zu werden. Ich weiß nicht, wann Tag, und wann Nacht ist, oder ob bereits fünf oder erst drei Tage vergangen sind. Bis auf wenige Ausnahmen ist Sed bei jeder Schicht bei den Kindern anwesend. Jedes Mal unterhält er sich mit mir, als kannten wir uns schon seit Jahren.
Bei einer solchen Schicht fragt er urplötzlich: „Bist du eigentlich ein richtiger Werwolf?" Unbehaglich weiche ich seinem Blick aus. Ich habe keine Ahnung, wann der nächste Vollmond kommt.
„Ja und nein", murmele ich schließlich, „Ich verwandele mich jeden Vollmond, so wie alle anderen. Aber ich habe so schnell, nachdem ich gebissen wurde, den Wolfsbanntrank zugeführt bekommen, dass ich mich nur in einen gewöhnlichen Wolf verwandele. Wieso fragst du?"
Sed zuckt mit den Schultern und verzieht das Gesicht zu seinem üblichen Grinsen. „Ich finde das interessant. Schließlich bin ich selber kein Werwolf."
Überrascht hebe ich den Kopf. „Nicht? Wieso bist du dann hier?", hake ich nach.
„Greyback hat so seine Gruppe an Leuten hier, die sich nicht jeden Monat in Bestien verwandelt, damit am nächsten Morgen verwirrte Personen wieder eingesammelt werden können, weißt du?"
Stirnrunzelnd frage ich: „Aber... machst du das freiwillig? Bist du..." Mein Blick wandert an seinem linken Arm hinunter, doch Sed lacht bloß. Wie üblich.
„Nein, ich bin kein Todesser. Ich will mir nur ein paar einfache Galleonen verdienen. Das ist zumindest", und wieder lehnt er sich vertrauensvoll zu mir herüber, „Was ich den Leuten hier normalerweise erzähle." „Achja?" Skepsis macht sich in mir breit. „Und was ist dann der wahre Grund?" Er sieht mich an mit einem Blick, der irgendwie triumphierend scheint, bevor er langsam sagt: „Nach Allem, das Greyback dir angetan hat, würdest du ihn bestimmt gerne tot sehen, oder?"
Erschrocken schnappe ich nach Luft. „Ich..."
„Also", fährt Sed fort, „Ich würde ihn liebend gern tot sehen. Noch viel lieber aber wäre es mir, wenn ich ihn selbst töten kann." Mit großen Augen starre ich ihn an. Meint er das ernst? Es kommt mir vor wie eine Falle. „Wieso-", setze ich an.
Zum ersten Mal überhaupt verfinstert sich Seds Miene. „Meine Mutter war ein Werwolf", beginnt er zu erzählen, „Kurz vor ihrem Tod hat sie mir erzählt, wer sie zum Werwolf gemacht hat, und wer", er macht eine Pause, „wer mein Vater ist."
Mein erster Gedanke ist, dass Seds Mutter sehr hübsch gewesen sein muss, wenn Greyback sein Vater ist und Sed trotzdem so gut aussieht. Dann erst wird mir der Ausmaß dieser Worte bewusst.
„Oh Merlin", flüstere ich.
„Aber er weiß es nicht", fügt Sed hinzu, „Greyback wusste nie, dass er einen Sohn hat. Er weiß nicht, dass ich sein Sohn bin. Verflucht", stößt er aus, „Ich will gar nicht wissen, was dieser Hund meiner Mutter angetan hat, sodass sie schwanger wurde." Ein böser Schatten schleicht sich in seine Augen. „Ich kann mir gut vorstellen", sagt er und blickt mich fest an, „Dass du mir dabei helfen willst, Greyback zu töten."
Langsam nickte ich. Ein Schauer kriecht über meinen Rücken und meine Arme. Ich habe den einen Muggel getötet, doch einen Mord zu planen fühlt sich ganz anders an.
Sed hat mittlerweile wieder ein Grinsen im Gesicht. „Wusste ich es doch. Aber, bevor ich den Mord plane, gibt es noch etwas anderes zu erledigen." Er macht eine vage Bewegung in Richtung der Kinder. „Ich will sie hier raus bringen. Aber das ist nicht so einfach. Es gibt hier zu viele Augen und Ohren, aber nur einen Tag, an dem es funktionieren könnte." Sed senkt die Stimme. „Vollmond. Greyback will die Welpen an Vollmond bewachen. Ein bisschen mit ihnen... spielen. Jeder hier wird sich in einen verstandlosen Wolf verwandeln. Nur einer nicht." Er hebt das Kinn, wie in einer trotzigen Geste. „Ich. Ich könnte es mit einem knappen Dutzend Welpen aufnehmen, aber nicht mit Greyback. Er muss abgelenkt sein. Irgendwo anders. Und da kommst du ins Spiel."
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moon & misery
Fanfiction(Abgeschlossen!) Eine Geschichte um Draco Malfoy und Iris-Isabelle van Greenskape, die im siebten Schuljahr untragisch beginnt. Iris-Isabelle, die lieber Isa genannt wird, ist schockiert, als sie erfährt, dass sie zusammen mit Draco Malfoy Schulspre...