an den Ufern

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„Was willst du mir denn zeigen?", fragt Isa auf halbem Weg zu den Gewächshäusern.

„Eigentlich weißt du schon davon", sage ich mit geheimnisvoller Stimme, „Ich habe dir in einem Brief davon erzählt, weißt du nicht mehr?"

„Wann war das?", will Isa wissen und runzelt angestrengt die Stirn. Der kalte Wind zerzaust ihre Haare und sie stapft mit leicht verbissener Miene durch das hoch gewucherte Gras des Schlossgeländes, doch sie sieht genauso schön aus wie eh und je. „Also?", fragt sie ungeduldig.

„Ähm?" Ich blinzele und wende den Blick von ihr ab. „Achja, also... das war... vor ein paar Monaten vielleicht? Nicht all zu lange her", ergänze ich.

„Monate können sehr lang sein", sagt Isa mit Nachdruck.

Ich öffne den Mund um zu erläutern, dass der Unterschied von dreißig- und einunddreißigtägigen Monaten kaum bedeutsam und selbst der Februar nur wenige Tage kürzer ist als die anderen Monate, da begreife ich, was sie überhaupt meint und schließe den Mund wieder. „Ja", sage ich.

Schweigend erreichen wir die Gewächshäuser, von denen eins mittlerweile vollständig in scheinbar weiße Watte gehüllt ist. „Oh", macht Isa leise und blickt mit großen Augen auf das spinnennetzartige Gewebe.

„Es hat sich ausgebreitet", erkläre ich, während wir uns weiter nähern, „Am Anfang hat dieses Zeug sich nur innen ausgebreitet. Aber jetzt... Naja. Du siehst."

Isa nickt, plötzlich funkelt Aufregung in ihren Augen. „Ich habe ihn so vermisst", haucht sie.

Ich führe uns zu der Rückwand und öffne eines der Fenster mit meinem Zauberstab.

Ohne Scheu beugt sich Isa vor und späht in das Dickicht. „Jumps?", ruft sie leise. Einen Augenblick ist es still – bis Jumps, der kleine Drache, aus dem Gewirr geschossen kommt und regelrecht über Isa herfällt.

Mit verschränkten Armen und unterdrücktem Lachen beobachte ich die zwei. Isas ganzes Gesicht strahlt und scheint von Innen heraus zu leuchten, und Jumps – nun, er hat sich nicht verändert. Begeistert schleckt er Isa durchs Gesicht und schmiegt sich an ihren Hals, schnuppert an ihrem Haar und flattert aufgeregt mit den Flügelchen.

Aus dem Gewächshaus dringt ein zartes Geräusch. Jumps lauscht erstarrt und blickt zu Isa. „Na, geh schon!", sagt sie halb lachend. Jumps keckert fröhlich, dreht eine Ehrenrunde über unsere Köpfe und verschwindet wieder in seinem Nest.

Noch immer lachend dreht Isa sich zu mir um. Langsam weicht ihre Heiterkeit einem ernsten Ausdruck. Ihre von der Kälte rosa Wangen sehen zum Verlieben aus – würde ich Isa nicht sowieso schon lieben, würde ich spätestens jetzt damit anfangen.

„Ich will alles wissen", sagt sie, „Alles, was dir passiert ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Deswegen kann ich auch verstehen, wenn du alles wissen willst. Und ich... ich werde versuchen, alles zu erzählen." Entschlossen verengt sie die Augen. „Auch, wenn mir manches schwer fallen wird." Sie wendet sich ab und starrt in Richtung des schwarzen Sees.

Ich mache einen vorsichtigen Schritt auf sie zu. „Du musst mir nichts erzählen", sage ich mit sanfter Stimme.

Isa atmet tief durch. „Doch", sagt sie. „Das muss ich. Ich..." Sie zögert und nestelt an ihren Jackenärmeln herum. „Ich kann das... alles... nicht für immer mit mir herumtragen, verstehst du? Es ist schwer, darüber zu sprechen, ja..." Einen Augenblick verliert sich ihre Stimme im eisigen Wind, ehe sie fest fortfährt: „Aber es wird nur schwerer werden, mit jedem Tag, der vergeht. Es wird nicht besser werden, das tut es nie, also..." Ihre blauen Augen funkeln auffordernd. „Lass uns einen Spaziergang machen."

„Das wird aber ein langer Spaziergang", stelle ich fest.

Isa legt den Kopf schräg. „Dreieinhalb Runden um den gesamten See, was meinst du?"

Ich muss lachen. „Vielleicht nicht so lang... Komm."

Hand in Hand gehen wir auf die Ufer zu.

„Du hast ein ganz rotes Gesicht", stellt Isa kichernd fest, als wir nach dem sehr kalten und sturmgepeitschtem Spaziergang in unseren Schlafsaal zurückkehren. „Aber da kann ich dir wohl keinen Vorwurf machen..." Sie seufzt und blickt an sich hinunter auf ihre zerzausten Haare. „Ich sehe fürchterlich aus."

„Tust du nicht", sage ich sofort. Umständlich lege ich Schal und Mantel ab und nehme Isas Jacke. „He", sage ich überrascht, „Ist das eine von meinen?"

Isa blinzelt unschuldig.

Grinsend werfe ich die Jacke zu den anderen Sachen auf einen Stuhl.

„Du hast nicht zufällig eine Bürste, oder?"

Ich blicke mich um und denke, dass mein Kamm Isas lange Haare kaum überleben würde. „Moment", sage ich, und beschwöre mit meinem Zauberstab eine robuste Bürste. Isa nickt anerkennend.

Ich setze mich auf mein Bett und winke Isa zu mir, die sich mit dem Rücken zu mir vor mir niederlässt.

Eine ganze Weile sprechen wir nicht, während ich behutsam ihre blonden Haare bürste, bis sie wieder fast glatt sind.

Isa dreht sich zu mir um. „Danke", sagt sie leise.

„Gern geschehen", erwidere ich ebenso leise.

Sekunden vergehen, in denen ich sie nur anschaue – ihr einst so ebenmäßiges Gesicht wird durch die blassen Male und den ein oder anderen kleinen Kratzer kaum entstellt, im Gegenteil: Ich komme nicht umhin zu denken, dass sie irgendwie... verwegen aussieht. Ganz anders, als das brave Püppchen, das sie mal war. Ihre langen, dünnen Fingern verschränken sich mit meinen und plötzlich spüre ich Isas weiche Lippen auf den meinen, ich habe gar nicht bemerkt, dass sie sich zu mir geneigt hat, aber das ist egal... alles wird egal, in dem Moment, in dem ihre Haut meine berührt und ich ihren Herzschlag spüren kann. Sie duftet nach Wind und Wasser und Winter, ihre Fingerspitzen sind kalt doch der Rest von ihr ist so warm und mindestens so verlockend, wie ein gemütliches Bett nach einem anstrengenden Tag...

„Das wird deine Frisur wieder zerstören", murmele ich gegen ihren Kuss und ich fühle, wie sie grinst.

Isas Hände legen sich in meinen Nacken und sie zieht mich noch dichter zu sich heran, was ich mehr als bereitwillig geschehen lasse. Etwas in mir scheint zu explodieren, als sie sich an den Knöpfen meines Hemdes zu schaffen macht, fahrig taste ich ihre Konturen ab, küsse sie am Hals und merke, wie sie sich immer mehr fallen lässt...

„Oh, scheiße, man."

Wir fahren blitzartig auseinander, hastig streiche ich meine Haare glatt, während Isa ihr Oberteil zurechtrückt. Sie sieht wütend aus, ich bin einfach nur erschrocken, doch uns beiden scheint der gleiche Gedanke durch den Kopf zu gehen, den Isa sofort ausspricht. „Merlin, Blaise, was soll das denn?", fragt sie und wirft sich das lange Haar über die Schulter, „Was willst du?"

Blaise, der in den Raum geplatzt ist, grinst, verlegen und amüsiert zugleich. Ich könnte schwören, dass er mir zuzwinkert – doch dann wird seine Miene ungewöhnlich ernst. „Besser ich", sagt er an Isa gerichtet, „als der... der dich eigentlich sehen will. Du, ähm, hast Besuch."

Isa erhebt sich. „Besuch?" Argwöhnisch runzelt sie die Stirn.

„Nun", stammelt Blaise, „Snape hielt es für angebracht, naja, deinen Vater zu informieren, dass du wieder da... also..." Er scheint unter Isas eisigem Blick zu schrumpfen, murmelt etwas von „wartet in Snapes Büro", und schneit aus dem Raum.

„Alles... okay?"

Sie nickt eisern. „Ich gehe dann besser mal."

Noch bevor ich anbieten kann, sie zu begleiten, verlässt sie mit steifen Schritten unseren Schlafsaal.

moon & miseryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt