Antworten

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Trotz der Kerzen und des schummrigen Lichts ist mir immer noch kalt. Unruhig rutsche ich auf der unbequemen Bank hin und her. Gemeinsam mit Greyback sitze ich in einer winzigen Bar in der Nokturngasse und warten – auf wen, das weiß ich nicht. Jemand, der Greyback dabei helfen wird, der anderen Person die ich nicht kenne, eine Lektion zu erteilen. Was auch immer das heißen mag. Greyback hat seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen und mir befohlen, den Kopf zu senken. Als ob ich das nicht schon von alleine die ganze Zeit tun würde. Dennoch... die Art, wie er das gesagt hat, wirft Fragen in mir auf.

Mir graut schon davor, wenn wir das geplante Vorhaben umsetzen werden. Mein eigenes Leben ist längst ruiniert, vorbei, tot, aber weiter dabei mitwirken, andere Leben zu zerstören? Ich habe bereits mehr auf dem Gewissen, als mir lieb ist.

Eine knapp bekleidete Bedienung stellt stark riechenden Alkohol vor Greyback ab, zusammen mit etwas Brot.

Ich senke den Blick und starre auf meine ineinander verkrampften Hände, während ich den Duft des Brotes auszublenden versuche. Bei Merlin, habe ich Hunger... Aber ich habe Angst, es mir anmerken zu lassen. Mit Essen sah es in der letzten Zeit nie wirklich gut aus, aber die letzten Tage... Zuletzt etwas zu mir genommen habe ich im Malfoy Manor, und selbst da nicht besonders reichlich.

Greyback gibt ein ungehaltenes Knurren von sich. „Du sollst auch nicht verhungern." Zögerlich blicke ich auf. Er wirft mir einen abschätzigen Blick zu, ehe er sich seinem Getränk zuwendet. Keine Ahnung, ob ich das richtig verstanden habe, aber ich nehme meinem Mut zusammen und nehme mir etwas von dem Brot.

„Greyback."

Das alte Holz knarrt, als sich uns gegenüber eine Gestalt nieder lässt, die die Kapuze noch tiefer im Gesicht hängen hat als Greyback. Der sieht merkwürdig erleichtert aus und nickt der Person zu. Nach einem kurzen Blick durch den Pub enthüllt der Fremde sein Gesicht und offenbart kurze graue Haare und zerfurchte Haut. Er sieht... alt aus. Kein bisschen bedrohlich. Wäre da nicht dieses merkwürdige glänzen in seinen dunklen Augen. Als wüsste er etwas, das sonst niemand weiß, als... aber vielleicht bin ich auch bloß paranoid. Der Fremde erwidert meinen Blick und ertappt schaue ich weg.

„Es ist also sicher?", fragt Greyback gerade mit gesenkter Stimme. Mir ist nicht entgangen, dass er sich um irgendetwas zu sorgen scheint – was sehr untypisch ist.

Was sollte ihm schon Sorgen machen?

„Sonst wäre ich nicht hier", erklärt der ältere Mann. Sein Blick wandert von Greyback wieder zu mir. Dann fragt er: „Wann ist es denn passiert?"

Greyback fühlt sich sichtlich unbehaglich. „Gestern", antwortet er knapp.

„Gestern", wiederholt der andere nachdenklich. „Aber er war doch kein-"

„Nein", unterbricht Greyback ihn, „Weder das eine noch das andere. Trotzdem hatte ich Anweisungen. Du kannst dir nicht vorstellen...", er schüttelt den Kopf, „Ich will ja nicht untertauchen. Aber ein bisschen Abstand ist sicherer."

Ich habe keine Ahnung, worüber die beiden sich unterhalten, dennoch höre ich mit gespitzten Ohren zu. Es sieht fast so aus, als hätte Greyback Angst vor irgendetwas... oder irgendwem... aber wem? Voldemort? Weshalb sollte Greyback auf einmal Angst vor ihm haben?

„Nun", meint der Fremde, „Es geht mich ja nichts an. Ich war bloß neugierig. Aber kommen wir zum eigentlichen Geschäft: Ich erledige das, worum du mich gebeten hast. Aber dafür will ich, dass du bei Gelegenheit auch meine Organisation unterstützt. Du weißt, normalerweise mache ich sowas nicht. Das ist schmutzige Arbeit, Greyback. Und es ist schon schlimm genug. Ich halte nichts von deinen Methoden. Aber ich sehe auch, wie viel Macht du mittlerweile in der Branche hast, also... Sind wir im Geschäft?"

Branche", schnaubt Greyback abfällig. Er scheint etwas an Selbstbewusstsein zugenommen zu haben. „Geschäft... Wir leben in anderen Welten, Jones. Natürlich ist das schmutzig, aber was soll's? Du weißt doch aus eigener Erfahrung, wie schwer das ist."

Der alte Mann lächelt leicht. „Ja, das weiß ich. Und aus eben diesem Grund zwinge ich nicht irgendwelchen Leuten mein Schicksal auf, nur weil es mir gerade so passt. Dieses Mal ist eine Ausnahme. Ich möchte mich nicht mit dir streiten, Greyback. Ich will, dass wir zusammen arbeiten, egal, wie gegensätzlich unsere Moralvorstellungen sind. Also, sind wir..."

„Ja", knurrt Greyback, „Wir sind im Geschäft, wenn du es so nennen willst."

Der Fremde nickt und will schon wieder aufstehen, da hält Greyback ihn zurück. „Warte noch", meint er, „Die hat mich vorhin gefragt, warum wir das tun."

Ich zucke unmerklich zusammen. Stimmt, und auf diese Frage hatte Greyback keine Antworten für mich. Stattdessen sind wir hier gelandet.

Wieder spüre ich den neugierigen Blick des fremden Mannes auf mir. Er räuspert sich und sagt: „Das würde ich mich auch fragen, wenn ich mir so deine Arbeit ansehe, Greyback. Es ist wirklich kompliziert, da das Gute und den Sinn herauszulesen." Der Mann, Jones, lehnt sich vor und mustert mich. „Ich weiß, wie... grausam es scheinen mag – aber wir kämpfen bloß für unsere Rechte. Der Mann, dessen Frau wir – oder in diesem Falle ich – entführen und zum Werwolf machen werden, spricht sich seit Jahren gegen Werwölfe aus. Er ist leider ein recht hohes Tier im Ministerium und er ist der Ansicht, Werwölfe sollten keinen Platz in der Gesellschaft haben. Dem stimmen viele zu und das heißt im Klartext für uns, dass wir kaum eine Chance auf einen guten Beruf oder eine Ausbildung haben. Die Gesellschaft ist voll von Vorurteilen Werwölfen gegenüber."

„Kein Wunder", sage ich und bin im selben Moment noch von mir selbst überrascht. „Wenn Werwölfe herumlaufen und jeden beißen, der ihnen nicht passt – dann ist das nur verständlich."

Greyback sieht genauso überrascht von meinem frechen Ton aus wie ich mich fühle, doch in Jones' Gegenwart scheint er es nicht zu wagen, mich womöglich anzugreifen.

„Nun", erwidert Jones milde lächelnd, „Vielleicht hast du Recht. Aber wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben. Wenn der werte Herr aus dem Ministerium feststellt, dass er seine Frau auch als Werwolf noch schätzt und liebt, dann wird er das laut sagen. Viele werden sich von den Worten eines solch einflussreichen Mannes mitreißen lassen – gut für uns."

Langsam nicke ich. „Das verstehe ich." Meine Gedanken wandern zu Draco, der mich hoffentlich auch noch schätzt und liebt.

„Vor wem verstecken wir uns überhaupt?", frage ich, nachdem Jones verschwunden ist, „oder was?"

Greyback blickt mich aus schmalen Augen an. „Warum denkst du, wir würden uns verstecken?"

Um ihn nicht ansehen zu müssen, streiche ich meinen Pullover glatt und ritze dann mit meinen Fingernägeln Muster in das weiche Holz des Tisches. „Du hast Angst", sage ich, „Aber ich weiß nicht warum."

Greyback knurrt leise. „Willst du noch 'ne dicke Lippe, Kleine?"

„Nein", sage ich deutlich und schaue hoch, „Ich möchte eine Antwort."

moon & miseryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt