Bücher

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Starr vor Schreck beobachten ich und Isa die sich vor uns abspielende Szene, die sichtlich eskaliert.
Hoffentlich werde ich später nicht dafür verurteilt, dass ich nicht zu verhindern versucht habe, dass der Riesen-Idiot sich Hagrid mitsamt seinem dummen Hund geschnappt und auf und davon gemacht hat. Beunruhigt sehe ich zu, wie einige am Rande des Geländes stehende Bäume in Flammen aufgehen, nachdem der Wildhüter etliche unkontrollierte Zauber aus seinem seltsamen, geblümten Schirm in alle Richtungen gewirkt hat.
„Ich wusste gar nicht, wie nützlich so ein rosa Regenschirm sein kann", sagt Isa atemlos neben mir, „Da sind bestimmt Teile von einem Zauberstab drin."
„Ich könnte wetten, dass das alles andere als legal ist!", erwidere ich düster. „Außerdem-"
„Welche Probleme gibt es nun schon wieder?"
Erschrocken drehe ich mich um. Snape, ein vor Wut schäumender Snape, steht direkt hinter mir. Für wen und in welchem Ausmaß kann ich zwar noch nicht beurteilen, doch ich bin sicher, dass es sehr großen Ärger bedeutet.
„In mein Büro! Und zwar ALLE hier" ergänzt der Schulleiter mit einem Blick in Richtung der Lehrer bei der Hütte des ehemaligen Wildhüters.

„Ihr alle hattet eine sehr einfache Aufgabe" zischt Snape über seinen Schreibtisch in Dumbledores ehemaligem Büro. Mit einem unangenehmen Gefühl der Schuld mustere ich das Portrait des scheinbar friedlich schlafenden alten Mannes. Hätte ich doch damals schneller gehandelt! Obwohl ich weiß, dass ich keinesfalls derartige Gedanken hätte haben sollen, keimt in mir der Wusch auf, Dumbledore wäre damals, in der einen Nacht auf dem Astronomieturm, schneller zum Punkt gekommen und hätte das Angebot, mich und meine Familie in Schutz zu nehmen gebracht, bevor die anderen Todesser die Widerstände am Treppenansatz überwunden hatten. Eine solche, einzigartige Möglichkeit, irgendwie vollständig aus der Todessersache herauszukommen, wird sich nie wieder bieten.
Das schießt mir durch den Kopf, während ich für ein kleinen Moment den Blick über die verschiedenen Portraits schweifen lasse. Schließlich muss ich wieder auf den aktuellen Schulleiter konzentrieren, um nicht zu verpassen, was denn nun eigentlich dort unten auf den Ländereien geschehen ist.
„Scheinbar", fährt Snape nach wie vor sehr aufgebracht fort, „Sind selbst die leichtesten Aufgaben für Sie schwierig zu bewältigen! Sechs Zauberer und Hexen gegen einen bloß zur Hälfte ausgebildeten Halbriesen, dennoch haben Sie versagt!"
„Wenn ich Sie kurz unterbrechen darf", sagt Isa leise, mit einer selten gehörten Schüchternheit in der Stimme, "Was ist denn nun eigentlich geschehen?"
Snape richtet seinen kalten schwarzen Augen auf Isa. Rasch senkt sie den Kopf.
„Dem Wildhüter war sicherlich noch nie sehr zu vertrauen... Doch damit, dass er so weit gehen würde, hat niemand gerechnet. Heute Nachmittag berichtete mir eine vertrauenswürdige Quelle", einen Moment huscht sein Blick zu mir, „Von unangenehmen Unruhen aus der Hütte. Ich schickte, wie ich glaubte, zuverlässige Magier nach dort unten, die nach dem Rechten sehen sollten."
Mit einer an einen Raubvogel erinnernden Bewegung dreht er ruckartig den Kopf zur Seite und fixiert Alecto Carrow. „Vielleicht können Sie uns ja noch einmal für unsere Schulsprecher wiederholen, was Sie dort vorgefunden haben."
Carrow nickt langsam. „Sicher, selbstverständlich, Schulleiter."

Angesichts des geschehenen Versagens scheint Snape selbst die sonst so stumpfen Carrows einzuschüchtern.
„Ich- Also... Der...Jaah, der Wildhüter, er, äh, hat eine sehr komische Harry-Potter-Freundschafts-Party verun- uhm, ich meine, veranstaltet."
Mutig aber dumm. Etwas zu dumm ...
„Über so etwas kann man echt nur den Kopf schütteln", bringt Isa es schließlich auf den Punkt, „Ziemlich lächerlich, sowas. Aber, wenn ich fragen darf, was genau habe ich damit zu tun?" „Oder ich", ergänze ich.
Mit fast schon offensichtlichem Genervtsein schwenkt Snape seine lange Hakennase wieder in Richtung von mir und Isa. „Als Schulsprecher liegt selbstverständlich die Pflicht, die anderen Schüler von gewissen Ereignissen zu unterrichten, bei euch. Daher sollten Sie beide idealerweise immer am Ort des Geschehens anwesend sein. Nun denn, wenn dies letztendlich doch noch in Ihren Köpfen angelangt ist, sind Sie entlassen."

Ich werfe noch einen vorsichtigen Blick über die Schulter, ehe ich die Bibliothek betrete.
Es ist noch ruhiger als es früher schon immer war, und das, obwohl nicht gerade wenige Schüler hier arbeiten.
Mit zügigen Schritten nähere ich mich dem Schreibtisch Madame Pince', der Leiterin der Bibliothek.
Elende Squib-Liebhaberin, denke ich verächtlich, während ich ein braves Lächeln aufsetze. Obwohl, in dem Alter kann man froh sein, überhaupt noch jemanden zu haben. Allerdings, so wie sie immer wütend wird, wenn man über Filch schlecht redet ... Ein echtes Schmunzeln schleicht sich in mein Gesicht.
„Was gibt es?", fragt die Bibliothekarin ungehalten. Im Normalfall würde ich eine derart unhöfliche Redensart seitens Personals nicht unkommentiert lassen, doch irgendetwas Gewöhnliches gab es in den letzten Monaten so gut wie gar nicht. Also lasse ich die freundliche Maske weiter ihre Arbeit tun.
„Guten Tag, Madame. Könnten Sie mir vielleicht bei der Suche ein paar bestimmter Bücher behilflich sein? Nun, ", fahre ich fort und hoffe, dass die falsche Verlegenheit nicht zu dick aufgetragen ist, „Selbstverständlich bin ich im Stande, einige der Bücher in diese Richtung eigenständig auszuwählen. Doch ... Wissen Sie, es ist gewiss sehr wichtig. Es wäre potentiell durchaus fatal, wenn ich mich vertun würde. Da ich kein Profi bin, wäre es bei mir leider möglich, dass mir ein Fehler unterläuft, daher wollte ich die Auswahl lieber Ihnen überlassen."
Pince mustert mich einen Moment scharf durch ihre Brille hindurch. „Um was handelt es sich?"
Instinktiv senke ich die Stimme, obwohl so oder so niemand in allzu verlässlicher Hörweite ist.

Erleichtert sehe ich zu, wie die Bibliothekarin davonstöckelt. Ich kann es noch, ich habe nicht verlernt, meine Worte so zu wählen, wie Vater es mir beigebracht hat. Erstaunlich, wie naiv und leichtsinnig viele Menschen auf vorgetäuschte Höflichkeit und Sympathie hereinfallen.
Ein wenig in Erinnerungen versunken muss ich daran denken, wie Vater, sobald es Besuch gab, immer so unglaublich ... freundlich wurde, selbst zu mir. Nur, um mir später mitzuteilen, was ich wieder falsch gemacht hatte. Mieser Heuchler ....
Genervt schaue ich mich um. Wo bleibt die denn so lange? Es kann ja wohl nicht so schwierig sein, ein paar Bücher herauszusuchen!
Erstaunlich, wie still alle Anwesenden einfach an den Tischen sitzen und lesen und schreiben.
Da ich nichts sonst zu tun habe, blicke ich mich weiter um.
Moment, ist das- Der Schreck klammert sich an meine Knochen, als ich bemerke, dass Isa nicht weit entfernt über einigen Aufzeichnungen sitzt. Sie darf mich nicht sehen, soviel steht fest. Ich habe keine Lust, mir sonst was auszudenken, weshalb ich hier bin. Es wäre ziemlich mies, wenn dann diese Bibliothekarin mit meinen Büchern auftauchen würde.
Isa fährt sich mit der Hand durch die Haare und sieht ziemlich ratlos aus.
Was immer du tust, denke ich, schau jetzt nicht zu mir rüber! Mach gefälligst deine Aufgaben!
Von der anderen Seite ertönt endlich das laute Klackern der Stöckelschuhe Madame Pince'. Wurde auch Zeit. Gerade, als ich die Bücher annehmen will, hebt Isa den Kopf. Ich erstarre, in der Hoffnung, sie würde mich übersehen, wenn ich nur still genug stehenbleibe. Komm schon, flehe ich sie in Gedanken an, schau woanders hin! Ansonsten wird das echt unangenehm für mich, na mach schon!
Doch meine Sorgen sprudeln unnötig auf. Statt zu mir starrt Isa bloß gelangweilt an die Decke.
Ohne den Blick von ihr zu lösen, nehme ich Madame Pince endlich alle Bücher ab und verschwinde ohne ein Wort aus der Bibliothek.

(Was denkt ihr, was für Bücher Draco so heimlich ausleiht?)



moon & miseryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt