durch den Schleier

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Plötzlich wendet Isa den Blick ab und seufzt. „Ich sollte vermutlich gehen", murmelt sie, „Es ist spät, und du willst sicher schlafen."

„Halt!", rutscht es mir vielleicht etwas zu laut heraus.

Isa zuckt zusammen und mir bleibt nicht verborgen, wie sie für einen Moment die Hände zu Fäusten ballt.

„Entschuldige", flüstere ich, selbst erschrocken. „Ich meinte nur... Du musst nicht gehen. Du kannst auch hier bleiben. Ich meine, ähm... Du, also, nur wenn du möchtest. Es ist ja so, vielleicht, äh, möchtest du nicht so alleine sein. Also, was ich eigentlich sagen will, du kannst auch, nur wenn du willst, hier bleiben. Also hier schlafen. Meine ich. Mein Bett ist ja breit genug. Wir müssen uns nicht einmal berühren. Oder so. Oh Merlin. Das klingt komisch. Ich meine-"

„Ich würde gerne bei dir schlafen... wenn dir das nicht unangenehm ist." Isas eigentlich vertraute Stimme klingt fremd mit so viel Schüchternheit darin.

„Nein", versichere ich ihr, „Natürlich nicht. Ich bin froh, wenn ich dich in meiner Nähe habe. Also... gut. Du bist bestimmt müde. Soll ich die Vorhänge zu machen oder auflassen?"

„Lass sie auf!", antwortet sie blitzartig.

„Okay?", erwidere ich leicht verwirrt.

Isa lässt den Kopf hängen. „Tut mir Leid", entschuldigt sie sich kleinlaut, „Da... im Untergrund... wurde ich zum Schlafen immer in so einen komplett unbeleuchteten Raum gesperrt und... Aber mach die Vorhänge ruhig zu."

„Schon gut", sage ich beschwichtigend, „Du musst mir das nicht erklären. Ich finde es mit offenen Vorhängen auch schöner."

Ohne mir die Mühe zu machen, mich umzuziehen, lege ich mich auf die eine Seite den Bettes, so dicht wie nur möglich an den Rand. Ich beobachte, wie Isa zuerst beinahe andächtig über den Stoff streicht, ehe sie sich auf dem Bett niederlässt.

„So einen gemütlichen Schlafplatz hatte ich schon lange nicht mehr", murmelt sie.

„Dann wurde es aber mal wieder Zeit", erwidere ich trocken.

„Draco?"

„Hm?"

„Streck deine Hand aus."

Über diesen Befehl muss ich schmunzeln, tue aber was sie sagt. In der Mitte zwischen uns legt Isa ihre Hand auf meine. Sie will mich nicht festhalten, nicht wirklich, aber sie muss wissen, dass ich da bin.

„Eines Tages werde ich dir alles erzählen, was passiert ist", wispert Isa, „Ich habe interessante Menschen getroffen und hübsche Orte gesehen und schöne Geschichten gehört. Aber ich kann noch nicht darüber reden, weil es manchen der Personen Unglück gebracht hat, dass sie mich getroffen haben. Und weil ich schreckliche Sachen getan habe. Aber auch eine Gute. Aber all das ist mit Schlechtem verbunden und deshalb will ich nicht darüber nachdenken. Noch nicht."

„Nimm dir die Zeit, die du brauchst."

Eine lange Weile liegen wir da und niemand sagt ein Wort. Ich spüre, wie Isas Hand auf meiner liegt und sie sich ab und zu bewegt. Mit einem Mal steigt die feste Überzeugung in meinen Kopf, dass ich alles dafür tun werde, damit wir mehr Zeit bekommen. So viel, wie wir eben brauchen.

Aus der Stille heraus sagt Isa plötzlich: „Danke."

Ich antworte nicht und frage auch nicht, wofür sie sich bedankt. Isa weiß so oder so, dass ich sie verstehe.

Am nächsten Morgen erwache ich mit dem Morgengrauen. Eisblumen zieren mein Fenster, durch das die Dämmerung kühles Licht schickt. Leise setze ich mich auf und betrachte Isa, die noch tief schläft. Ein unglücklicher Schleier liegt über ihrem liebenswürdigen Gesicht. Ein Schleier, den ich nur zu gerne zur Seite schieben würde.

Umsichtig stehe ich auf, ziehe mir frische Kleidung an und richte mein Haar. Lächelnd bemerke ich, dass Isa schläft wie ein Stein. Doch mir vergeht das Lächeln, als mir durch den Kopf geht, dass sie vermutlich unter Schlafmangel leidet.

Ich mache es mir in meinem smaragd- und mintgrünen Sessel gemütlich und betrachte das zunehmend stärker werdende Schneegestöber vor meinem Fenster. Geduldig und ohne einen Laut von mir zu geben, warte ich so lange, bis Isa aufwacht. Um jeden Preis will ich vermeiden, dass sie alleine ist, wenn ihre hübschen Augen sich wieder öffnen.

Als Isa erwacht, ist das allerdings alles andere als hübsch. Mit einem Ruck sitzt sie kerzengerade im Bett, die Augen weit aufgerissen und nach Luft schnappend, als würde sie ertrinken.

„Albtraum?", frage ich und setze ein, wie ich hoffe, aufmunterndes Lächeln auf.

„Wasser", murmelt Isa nur, und ich frage nicht weiter nach. Weiterhin lächele ich, um meine Sorge um sie zu verstecken, während sie sich seltsam vorsichtig streckt und ganz langsam aufsteht. Isa sieht alt aus. Sie bewegt sich, als hätte sie einen Berg an Jahren auf dem Rücken. Oder ein paar Steine aus Schmerz. Da kommt mir eine Idee: „Willst du vielleicht mein Badezimmer benutzen? Ich weiß ja nicht, wie es im... Untergrund so mit Hygiene und warmem Wasser aussieht." Isa betrachtet ihre Hände. „Danke." Ich deute auf die Tür, die zu meinem persönlichen Badezimmer führt, und Isa nickt. Als sie schon die Hand auf der Klinke hat, springe ich auf. „Warte." Ich schnappe meinen Zauberstab vom Schreibtisch und reiche ihn Isa. Ganz bewusst halte ich ihn nicht am Griff, sondern an der Spitze, damit Isa sich nicht bedroht fühlt. „Dann kannst du deine Kleidung gleich mit reinigen." Sie blickt mich nur an, mit ihren zerbrochenen Augen, dessen hellblaue Farbe mich an einen zugefrorenen See erinnern. Ein Stich in meiner Brust erinnert mich daran, dass ich ihre Augenfarbe früher eher mit dem Blau eines Sommerhimmels verglichen habe. Natürlich habe ich das nie ausgesprochen. „Das ist keine Falle", verspreche ich.

„Du übergibst mir deinen Zauberstab?", fragt sie. Ihr Misstrauen versetzt mir einen weiteren Stich. „Einfach so?"

„Einfach so."

Zögerlich streckt Isa ihre Hand nach dem Stab aus. Ihre Finger zittern, als sie sich um das dunkle Holz schließen. Sie mustert den Zauberstab in ihrer Hand wie ein fremdartiges Tier. „Danke", murmelt sie, und dann noch einmal: „Danke. Danke." Sie dreht sich um und ich warte, bis sich die Badezimmertür hinter ihr schließt. Wenig später ist das Rauschen von Wasser vernehmbar.

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