Die Gefangene

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Gelangweilt starre ich auf die Pergamentrolle und meinen Federkiel auf dem Schreibtisch, womit ich eigentlich an meinem Zaubertrankaufsatz arbeiten wollte. Doch stattdessen verschwimmen die Worte vor meinen Augen und ich bekomme keinen einzigen Satz zustande, obwohl es in der Bibliothek angenehm still ist und eine schwere Arbeitsatmosphäre in der Luft hängt.

Ohne Vorwarnung schlägt die Tür mit einem lauten Krachen auf. Wie alle anderen drehe ich mich überrascht nach der Ursache um, und Madame Pince kommt verärgert angestöckelt. Allerdings bleibt der Bibliothekarin der empörte Aufschrei in der Kehle stecken, als sie den kaltgesichtigen Professor Snape erkennt, der mit schnellen, ausholenden Schritten und ohne die Miene zu verziehen zwischen den Regalen hindurch schreitet.

Als er genau auf mich zusteuert, blicke ich mich um, in der Hoffnung jemanden zu sehen, zu dem Snape noch wollen würde, außer mir. Doch leider will Snape wirklich zu mir. Einige Meter von mir entfernt bleibt er stehen und befiehlt mit schneidender Stimme: „Mr Malfoy, mitkommen." Ohne auf eine Antwort oder mich zu warten, dreht er sich wieder um und verlässt die Bibliothek so zügig, wie er sie betreten hat. Hastig stopfe ich alle Sachen in meine Tasche und bemühe mich, mit ihm Schritt zu halten. Wenn der Schulleiter extra persönlich in die Bibliothek kommt, nur um mich abzuholen, dann muss es um etwas Wichtiges gehen...

Ich mache mir nicht die Mühe, Snape irgendwelche Fragen zu stellen. Ich weiß, dass er sowieso nicht antworten würde. Schließlich kommen wir im Lehrerzimmer an, welches wir vollkommen verwaist vorfinden. Snape scheint dies allerdings keineswegs zu überraschen.

„Du sollst zu dir nach Hause zurück kehren", ist alles, was er sagt, ehe er mich wieder allein lässt, zusammen mit einem brennenden Kamin und einer kleinen Schale mit Flohpulver.

Der Gedanke, ins Malfoy Manor zu gehen, bereitet mir Bauchschmerzen. Es gibt eine Menge Dinge, die ich weitaus lieber täte. Mit einem unguten Gefühl mache ich mich auf den Weg und finde mich nur wenige Sekunden später in der Eingangshalle des Malfoy Manor wieder, wo bereits Vater auf mich wartet.

Er hat ein aufgeregt zuckendes Grinsen im Gesicht, was nie ein gutes Zeichen ist. Vorsichtig begrüße ich ihn und frage: „Was gibt es, Vater?"

Er stößt ein nervöses, merkwürdiges Lachen aus. „Der dunkle Lord", beginnt er mit bedeutungsschwagerer Stimme, „Hat eine Aufgabe für dich."

Ein schweres Gewicht aus Angst legt sich auf meine Schultern. Als der dunkle Lord das letzte Mal eine Aufgabe für mich hatte, hätte mich das fast zum Mörder gemacht, wäre Snape nicht eingeschritten. „Warum... Ich meine, worum geht es?" Meine Kehle ist wie zugeschnürt vor Angst.

Das bleibt auch vor meinem Vater nicht verborgen, und seine nervöse Freude macht der Verärgerung Platz. „Du solltest Stolz sein!" Nun schreit er fast, und das ängstliche Zucken in seinem Gesicht wird noch stärker. „Du solltest dich geehrt fühlen, dass der dunkle Lord dir eine Aufgabe zuweist, stolz, weil du den Ruhm deiner Familie weiter ausbauen darfst!"

Ich schweige. Mir fällt nichts ein, das ich sagen könnte, um Vater zu beschwichtigen.

Er hebt das Kinn und sieht mich von oben herab an, obwohl wir mittlerweile beinahe gleich groß sind. „Wir haben eine neue Gefangene. Es gibt Informationen, dass sie mit Potter", er spuckt das Wort förmlich aus, „Bekannt oder befreundet ist. Es ist nun an dir, sie auszufragen und alles heraus zu finden, was sie womöglich über den Aufenthaltsstatus des Unerwünschten Nummer 1 weiß." Ich weiß, wie solche Befragungen hier im Malfoy Manor für gewöhnlich ablaufen. Mein Magen verkrampft sich vor Abscheu. „Weshalb... bin ausgerechnet ich dafür eingeteilt worden?" Vater legt die Stirn in verärgerte Falten. Meine Fragen gefallen ihm nicht. „Sie war auch Schülerin auf Hogwarts, wenn auch ein Jahr jünger als du. Ihr Name ist Luna Lovegood." Zu diesem Namen fällt mir kein Gesicht ein, bloß viele Geschichten, dass dieses Mädchen wohl nicht ganz richtig im Kopf sein soll. „Wieso wurde sie aus Hogwarts verschleppt?" Doch diese Frage ist eine Frage zu viel. „Du sollst nicht so viele Fragen stellen", zischt mein Vater aufgebracht, „Tu einfach was man dir befiehlt, verstanden?" Ich nicke und ziehe den Kopf ein. Es kommt mir vor, als würde Vater immer gereizter und aufbrausender, je länger der dunkle Lord bei uns verweilt. Nicht, dass ich ihm das übel nehmen könnte. „Du findest das Mädchen im Kerker", ergänzt Vater kalt, „Und, Draco: Sei nicht zu nachgiebig und schwach."

In den Kerkern ist es kalt und dunkel. Ein Schauder überfährt mich, als ich die Kerkertür hinter mir verschließe. „Lumos", murmele ich leise, und mein Zauberstab sendet ein kleines, helles Licht durch den gewölbeartigen Raum. „Man gewöhnt sich an die Dunkelheit", dringt eine weiche Stimme aus den verbliebenen Schatten. Den Zauberstab weit vor mich gestreckt versuche ich, den gesamten Raum auszuleuchten, doch dafür reicht das Licht nicht.

„Komm ins Licht", befehle ich und versuche, meine nervöse Stimme fest klingen zu lassen. Ein blasses Mädchen tritt aus den Schatten, mit langen, schmutzig blonden Haaren und einem verträumten Ausdruck auf dem Gesicht. „Sollte nicht eigentlich ich diejenige sein, die Angst vor dir hat, und nicht andersherum?", fragt sie.

moon & miseryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt