Dunkles Schicksal Kapitel 69

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Dunkles Schicksal


Kapitel 69



Am nächsten Abend, nachdem sie sich wieder versöhnt hatten, kam Maria ins Untergeschoss. Sie hatte bis zum Nachmittag geschlafen, nachdem Lance irgendwann kurz vor Sonnenaufgang das obere Schlafzimmer verließ, um sich zu schützen. Er machte das ziemlich leise und ließ Maria schlafen. Sie klopfte an seine Tür und trat herein. Lance war sich am Anziehen und lächelte sie an.

„Warum hast du mich nicht geweckt heute morgen?"

„Warum? Ich musste vor der Sonne flüchten, nicht du. Und du hast so schön geschlafen. Übrigens...das mit dem Versöhnungssex ist wirklich toll", sagte er amüsiert. Sie lachte und küsste ihn.

„Sag ich doch. Ich gehe jetzt zu Arthur."

Er wurde ernst.

„Du löst den Zauber auf?"

Sie nickte.

„Warte, ich komme mit", sagte er, doch sie schüttelte den Kopf.

„Ich gehe allein", antwortete sie und hob ihren Finger, als Lance etwas sagen wollte „Sag es nicht...Ich gehe allein."

Schließlich nickte er und sie verließ sein Zimmer und stand kurze Zeit später vor dem Zimmer von Arthur. Es war nicht verschlossen und so trat sie ein, nachdem sie geklopft hatte. Anhand des üblen Geruchs, der ihr entgegen schlug, verzog sie das Gesicht. Das war in der Tat grauenhaft. Maria versuchte in dem düsteren Zimmer Arthur auszumachen; sie war kein Vampir und sah dementsprechend im Dunkeln nicht so viel. Doch er kam ihr zuvor.

„Lance?", hörte sie aus einer Ecke leise. Sie ging darauf zu und erblickte ihn am Boden.

„Nein, Maria."

Sein Kopf zuckte hoch und sie sah in sein von Beulen hässlich verziertes Gesicht. Es glänzte feucht von der eitrigen Flüssigkeit.

„Bist du gekommen, um mir noch mehr anzutun?", fragte er „Dann nur zu, tu dir keinen Zwang an."

„Wieso sagst du das?"

Er lachte sarkastisch.

„Du hast gesagt, das ich es verdient habe. Vielleicht bin ich zu der Annahme gekommen, das es so ist. Ich habe mit Menschen jongliert wie ein Zirkusartist; sie für meine Zwecke eingespannt. Und natürlich auch Merlin. Meinen wunderschönen, liebevollen Gefährten, den ich veranlasst habe, sich fluchtartig von mir zu entfernen. Also...so ziemlich sehr fiese Dinge, die ich gemacht habe. Vielleicht sollte ich meine Ewigkeit zu bleiben und sühnen."

„Das klingt hart", meinte sie „Selbst aus deinem Mund."

„Ja, das ganze scheiß Leben ist hart, zumindest war meines so. Ich weiß eigentlich nicht, wie es ist, wenn man glücklich und zufrieden ist. Wenn das Leben dir deine Sonnenseite zeigt", er kicherte „Nur wörtlich gemeint. Für mich hatte es bis jetzt nur Dunkelheit, Schmerz, Kummer und Hoffnungslosigkeit übrig. Also würde es mich nicht sonderlich überraschen, wenn du noch einiges auf Lager für mich hast. Nur zu, Hexe."

Maria schaute ihn einen Moment an und es tat ihr fast leid, das sie ihn so gestraft hatte. Und sie dachte wieder daran, das Lance so wütend und geschockt war, Arthurs Leidensweg zu hören. Doch vielleicht hatte Lance ja recht; das dieser Hexenzauber auch etwas Gutes bewirkt hatte. Etwas Gutes für Arthur. Er war depressiv, es war Zeit, dem allen ein Ende zu machen.

„Du hast mit Lance geredet?"

Er sah sie etwas erschreckt an, doch sie hob beruhigend ihre Hand.

„Keine Panik; er sagte nur, das du mit ihm gesprochen hast. Was du ihm erzählt hast, geht nur euch beide etwas an."

„Ja", sagte er sichtlich beruhigt.

Sie konnte sich denken, das Arthur nicht wollte, das Lance darüber sprach und erst recht nicht mit ihr. Es waren nicht nur Grausamkeiten, sondern auch sehr intime Dinge, die Arthur Lance anvertraute. Und ihr Gefährte würde das Vertrauen, das Arthur ihm vorsichtig wieder entgegenbrachte nicht zerstören, indem er Arthurs Geschichte jedem erzählen würde. Nicht Lance. Er war eigentlich viel zu anständig für ein Wesen der Nacht, das sich von Blut ernährte. Vielleicht liebte sie ihn deswegen so sehr, abgesehen davon, das er traumhaft aussah und ein verflucht guter Liebhaber war. Doch Maria schätzte seine innere Werte noch mehr.

„Und fühlst du dich jetzt besser?"

Er schnaubte.

„Besser wäre etwas übertrieben, wenn ich mich ansehe. Doch ich fühle mich leichter, als wäre ein Gewicht von mir abgefallen. Sagen wir es mal so...es geht mir besser, aber noch nicht gut. Ich werde Zeit brauchen."

Sie nickte wissend.

„Gut, aber merke dir. Solltest du wieder böswillig Menschen, beziehungsweise Vampire verletzen, an denen mein Herz hängt, so denke daran, das ich dir noch Schlimmeres antun könnte."

„Das ist mir klar. Danke für die Warnung", sagte er etwas sarkastisch und sie lächelte.

Ohne weitere Worte hob sie die Hand, ihre Augen dunkel, als sie flüsterte.

„Esinzejes kabaja reno...was gekommen ist, muss jetzt gehen."

Dann drehte sie sich ohne noch etwas zu sagen um und verließ das Zimmer. Arthur fühlte, wie seine Haut kribbelte, nicht nur in seinem Gesicht und auf seinem Kopf, sondern überall an seinem Körper, selbst an seinen Geschlechtsteilen. Er fuhr sich über das feuchte Gesicht und verharrte einen Moment. Er fühlte die Beulen nicht mehr. Hastig sprang er auf, strich über seinen Kopf, über das verklebte Haar, dann über seine Brust...nichts. Sie war glatt, nass von der Flüssigkeit, aber die Beulen waren weg,

„Nein...ist das wahr?", fragte er leise ungläubig.

Er sah zu dem großen Ankleidespiegel, über den er eine Decke geworfen hatte, um sich nicht ansehen zu müssen. Hastig sprang er davor und zog die Decke weg, betrachtete sich im Spiegel. Immer noch betastete er seinen Körper, doch sah es jetzt mit eigenen Augen. Sie waren fort, seine Haut glatt und weiß.

„Das ist doch nicht möglich", rief er und zog sich ganz aus.

Sie waren eindeutig fort. Er lachte und lachte, drehte sich im Kreis und freute sich.

Lance, der draußen gerade Maria fragen wollte, wie es denn gelaufen ist, stockte und beide sahen zu seiner Tür. Er lächelte und küsste seine Gefährtin.

„Danke."

„Gern geschehen. Ich gehe nach Hause, komme später wieder. Ich muss noch in die Stadt. Geh zu ihm und hilf ihm, sich wieder herzurichten. Es ist zwar noch Nachmittag, aber versuche ihn irgendwie unbeschadet nach oben in das Bad zu bringen. Bis dann."

Sie ging und Lance trat in Arthurs Zimmer und verzog bei seinem Anblick das Gesicht.

„Oh Arthur. Warum zum Teufel bist du meistens nackt, wenn ich komme?"

Arthur sagte nichts und rannte auf ihn zu und umarmte ihn. Lance hob die Hände, doch dann umarmte er ihn auch und meinte belustigt.

„Wir wären in einer brisanten Haltung, wenn jetzt jemand hinein käme. Ich umarme innig meinen nackten Freund."

„Das ist mir im Moment egal. Lance; sie hat es rückgängig gemacht. Sie sind weg."

Er freute sich, das Arthur so glücklich war und löste sich endlich von ihm.

„Ich weiß. Also gut, ich schlage vor, das du dir wenigstens eine Hose anziehst und dann gehen wir nach oben ins Bad. Es ist noch Nachmittag, dementsprechend werden wir uns durch die Sonnenstrahlen mogeln müssen und du wirst ein...", er schaute ihn an „Mmh...besser zwei Bäder nehmen. Ich helfe dir, wasche deine Haare hundert Mal. Aber...das du mir nicht auf blöde Gedanken kommst."

„Natürlich nicht. Du bist mein Freund."

Lance nickte.

„Gut zu wissen. Dann los. Ich gehe schon mal vor und lasse ein Bad ein, während du dir etwas überziehst. Und pass auf mit der Sonne. Fehlte noch...von den Beulen geheilt, doch von der Sonne verbrannt."

„Keine Sorge, bin gleich da", rief er und eilte zu der Kommode.

Nachdem Arthur dreimal mit sauberem Wasser gebadet hatte und Lance ihm mehrere Male die Haare gewaschen hatte, nickte er. Einer der Jungs kam herein und legte lächelnd frische Kleider ab, ging dann wieder. Lance nickte. Arthur sah wieder wie Arthur aus. Er roch angenehm und auch diese verfluchte Attraktivität war wieder nicht zu übersehen, vor allem nicht seine schönen, blauen Augen, die ihn jetzt strahlend und freudig anblickten. Sein noch leichtes, feuchtes Haar fiel ihm golden in die Stirn, was ihn noch anziehender machte. Lance grinste.

„Maria hatte recht als sie sagte, das du ein verflucht attraktiver Hund bist."

„Das hat sie gesagt?"

„Ja, aber bilde dir nur nichts darauf ein. Sie ist meine Gefährtin."

„Glaube mir, eine Hexe möchte ich eigentlich nicht zur Gefährtin", sagte er spontan.

Lance zog überrascht die Augenbrauen hoch.

„Nein? Wirklich nicht?", fragte er betont. Arthur wurde ernst.

Er hatte fast vergessen, das sein Gefährte ein Hexer war und Marias Bruder. Der Gedanke, das Merlin wirklich ein Hexer war und so viel Macht jetzt hatte, war immer noch sehr ungewohnt für ihn.

„Ich habe einen Gefährten, der Magie hat", sagte er jetzt leise „Ich vergesse das immer wieder, das er jetzt ein anderer ist. Und das er mich nie mehr wiedersehen will."

Lance klopfte ihm auf die Schulter.

„Die Zeit ist dein Verbündeter. Lass sie arbeiten."

Dann ging er hinaus und sagte noch freudig.

„Die Sonne ist weg. Wir waren wohl Stunden da drin. Freier Ausgang. Kommst du in den Salon etwas trinken?"

„Ja, gleich", antwortete Arthur und sah in den Spiegel, in dem ihm sein schönes Gesicht entgegensah.

Ja, er würde nicht ruhen, bis er Merlin wieder finden würde. Und bis Merlin ihm verzeihen würde. Er würde seinem Gefährten beweisen, das er es wert war geliebt zu werden. Das er ihn auf Händen tragen würde...solange das Merlin wollte. Er würde Merlin beweisen, wie sehr er ihn liebte.

Lance wartete schon auf ihn mit einem Bourbon.

„Dein Zimmer muss generalüberholt werden. Das heißt, das du die nächsten zwei Wochen in meinem Zimmer wohnst", sagte Lance.

„Und du?"

Er grinste.

„Das habe ich schon mit Maria besprochen. Ich werde bei ihr im Haus bleiben. Sie hat schon Maßnahmen wegen der Sonne getroffen."

„Sie hat ein Haus in Mailand?"

„Ja. Merlin hatte es gekauft und dort haben beide gewohnt. Jetzt gehört es ihr."

Arthur nickte, allein schon wenn er Merlins Name nur hörte, zog sich seine Brust schmerzvoll zusammen. Doch er genoss seinen Bourbon. Sieben Monate ohne Bourbon und sieben Monate ohne Sex und...

Er fühlte sich wohl.



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Silvesterabend in New Orleans. Merlin stand am Fenster und schaute sich die bunte Knallerei am Himmel an. Die Hexen waren fast alle unterwegs, auch Trystan. Sie wollten auch Merlin mitschleppen, aber diesmal hatte er sich erfolgreich verteidigt und war zu Hause geblieben. Er stand am Fenster, den vierten Brandy in der Hand, als Serena herein kam. Merlin hörte sie, doch wand den Blick nicht vom Himmel ab, als sie sich neben ihn stellte.

„Frohes neues Jahr, Merlin", sagte sie leise, während sie auch nach draußen sah.

„Froh ist daran gar nichts", antwortete er, ohne sie anzusehen. Serena schaute ihn von der Seite an.

„Sind wir etwas depressiv heute?"

„Mag sein", meinte er und wandte sich vom Fenster ab „Nichts ist so gelaufen wie ich es wollte. Ich sitze hier am anderen Ende der Welt, ohne meine Schwester und ohne...", er sprach nicht weiter und sah sie an „Verstehe das nicht falsch, Serena. Ich liebe unseren kleinen Zirkel und ich bin gerne hier. Doch in solchen Augenblicken wie Weihnachten und Silvester möchte man das doch mit seiner Familie feiern. Und Maria ist und bleibt eben meine einzige Familie, die ich noch habe."

„Du hast noch mehr als das, Merlin. Du hast Freunde und...Arthur. Ob dir das Letztere gefällt oder nicht; es ist so."

Er schnaubte unwillig, während er sich und Serena etwas zu trinken machte.

„Freunde? Ja. Aber nicht Arthur. Ich möchte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Ich denke, langsam lerne ich es endlich, das er mir nur Unglück bringt."

„Du liebst ihn immer noch", sprach sie die Wahrheit aus. Er lächelte sie an, es war ein bitteres Lächeln.

„Ja. Und ich werde diesen verfluchten Bastard wohl immer lieben. Inzwischen rege ich mich nicht mehr darüber auf. Es ist eine Tatsache, das ich ihm verfallen bin, egal wie schlecht er ist. Da kommt mir der Vergleich mit den Motten und dem Licht wieder in den Sinn. Ich habe mich zweimal ins Licht gestürzt. Das erste Mal in Sevilla, als ich beschlossen hatte, ihn für immer und ewig zu lieben und das zweite Mal in Mailand. Und ich bin beide Male im Licht verbrannt. Ein drittes Mal wird es nicht geben. Die Motte ist klüger geworden."

„Merlin, du kannst dich nicht eine Ewigkeit nach ihm sehnen und dir verbieten, ihn je wiederzusehen. Das wird dir nur Leid einbringen."

Er fuhr herum und fuhr sie an.

„Ach wirklich? Nicht mehr Leid, das ich mit ihm erlebt habe. Was schlägst du vor? Das ich mich ihm wieder an den Hals werfe und wieder verletzt werde? Findest du das nicht schlimmer als von ihm weit entfernt zu bleiben? Ich schon. Und nein, ich werde nie...nie wieder zu ihm zurück gehen. Also unterlasse deine Versöhnungsversuche."

„Ich meine es ja nur gut. Entschuldige."

Merlin nahm Luft.

„Tut mir leid, Serena. Ich wollte dich nicht so anmachen. Ich bin wahrscheinlich keine gute Gesellschaft heute Abend. Und ja, ich liebe ihn und ich sehne mich nach ihm. Und nein, ich leide nicht mehr als zuvor, werde mich daran gewöhnen. Und nein, ich will ihn nie wiedersehen oder ihm überhaupt auf irgendeine Weise nah kommen. Ist das jetzt klar?"

„Vollkommen. Es sind ja erst acht Monate vergangen. Es wird besser, Merlin. Du wirst ihn ewig lieben, doch es wird besser."

Er nickte.

„Ja und ich muss nur weit weg von ihm bleiben, denn wenn er mir nah kommt, dann werde ich es nicht schaffen, ihm zu widerstehen. Er ist wie eine Droge, nach der ich süchtig bin, doch diese Droge zerstört mich, wenn ich sie länger genieße."

„Es tut mir leid, Merlin. Wirklich. Du solltest nicht allein hier im Haus sein. Das ist nicht gut. Gehe aus, such dir jemanden, mit dem du das Bett teilen kannst. Du lebst hier schon acht Monate ohne Sex. Auch das ist nicht gut. Du solltest dich mal entspannen und auf andere Gedanken kommen."

Er nickte und kam auf sie zu, blieb vor ihr stehen.

„Du hast wahrscheinlich recht. Es liegt nicht daran, das ich in Vampiraugen gebunden bin, denn das betrifft mich nicht wirklich. Und ich habe auch keine Lust, darauf zu verzichten. Nur habe ich von allem etwas Abstand gebraucht, doch nun ist die Zeit um. Ich werde nicht trübsinnig mein Leben führen, sondern habe mir vorgenommen, viel Spaß zu haben."

Serena lächelte.

„Ein neues Jahr und ein neuer Abschnitt. Gut."

Er stellte das Glas ab und zog sie in seine Arme, so das sie überrascht aufkeuchte.

„Ja und heute fange ich damit an", antwortete er und küsste sie, das ihr schwindlig wurde. Als er sie endlich frei ließ, raunte er.

„Wir sollten nach oben gehen."

Sie leckte sich über ihre Lippen und lächelte.

„Gute Idee."

Merlin nahm sie an der Hand und führte sie nach oben in Serenas Zimmer und draußen knallten die Böller und Menschen jubelten auf der Straße.

Doch Serena war zu alt und erfahren, um sich etwas vorzumachen. Sie mochte den gutaussehenden Hexer sehr gerne und er war im Bett alles andere als zu verachten. Doch er war und würde nie ein potenzieller Partner für sie sein, denn Merlin würde sie nie lieben. Er liebte nur einen und das für immer und für immer unglücklich. Doch sie würde gegen ein wenig Spaß mit ihrem ehemaligen Schüler nie nein sagen. Ihr Verhältnis war innig, was Freundschaft anging, doch auf sexueller Basis nur oberflächlich.

Und damit waren beide zufrieden.



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Fünf Monate später...


Der Sommeranfang in Mailand läutete wieder langsam die Überschwemmung von Touristen ein. Langsam wurde die Stadt wieder lebendig und voller Menschen. Seit kurz vor Weihnachten Arthur wieder unter Menschen ging, machte sich Lance auch schon wieder Sorgen um ihn. Sie hatten beide noch oft über Arthurs schreckliche Vergangenheit geredet und er hatte das wirklich langsam und sicher aufgearbeitet. Lance war sich sicher, das Arthur das endlich verarbeitet und abgehakt hatte. Und er hatte sich gravierend verändert und das war es mal wieder, was ihm Sorgen machte.

Sicher, er ging abends auf die Jagd, wie eh und je. Und er ging aus; in verschiedene Bars. Meistens mit anderen Vampiren. Und er tötete wie eh und je. Nicht immer, aber ab und an. Aber nie aus Wut oder Frustration, eher weil er zu viel Blut nahm. Lance wusste es deshalb, weil er ihm oft gefolgt war, nur um zu sehen, was er trieb. Und was er sah, machte ihm wieder einmal Sorgen, denn Arthur ging seinen Vampir Instinkten nach, was normal war, doch mit einem gravierenden Unterschied. Er hatte, seit er wieder „ gesund „ war, nicht einmal mit irgendjemanden geschlafen.

„Über was denkst du nach?", fragte Maria, als sie in den kleinen Salon in ihrem Haus kam.

Arthurs Zimmer wurde komplett renoviert und neu eingerichtet und es sah jetzt wieder sehr gut aus, abgesehen davon, das es frisch und sauber roch. Doch Lance übernachtete auch oft bei Maria, nachdem sie so schön sagte, das sie das Haus vampirsicher gemacht hatte. Alle Räume hatten dunkle Fensterläden, die die für Lance tödliche Sonne aussperrte.

„Über Arthur."

Sie seufzte.

„Was auch sonst. Ich bin ja wirklich froh, das du nicht mit ihm schläfst, sonst würde ich wahrscheinlich eifersüchtig sein."

„Natürlich nicht. Das kommt wohl nie in Frage. Arthur ist mein Freund, eigentlich mein Bruder und ich liebe ihn. Und er ist, wie ich schon sagte, mein Schwachpunkt. Ich werde mir wohl noch in zehntausend Jahren Sorgen machen, falls wir so lange existieren."

„Was hat er jetzt wieder getan?", fragte sie vorwurfsvoll.

Maria war ja wirklich froh, das sie sich damals nicht in Arthur verliebte. Sie wäre es vielleicht, wenn Merlin ihr damals nicht verboten hätte, ihn wiederzusehen. Damals, als alle noch dachten, das ihr Leben normal wäre. Jetzt war sie eine Hexe, unsterblich und liebte einen Vampir. Soviel zu einem normalen Leben. Doch den schlechteren Part der Liebe bekam Merlin. Welche Ironie. Er wollte sie von Arthur wegen seinem schlechten Lebenswandel weg haben und war ihm selbst verfallen. Sie hasste Arthur nicht, im Gegenteil, eigentlich mochte sie ihn. Was war das nur, das...egal was er tat, die Lebewesen in seinem Umfeld ihm nie lange böse sein konnten, sie eingeschlossen. Obwohl er alles andere tat, um beliebt zu sein. Maria schob es auf sein Charisma, denn das war einzigartig. Und wie er aussah, seine Mimik, Gesten...die konnten jemand schon verwirren. Sie konnte Merlin ja verstehen, das er verrückt nach diesem überaus gutaussehenden Vampir war, der so gefährlich war wie das Feuer. Merlin wusste das, er hatte sich schon mehrere Male verbrannt. Lance breitete die Arme aus; er stand am Fenster und sagte jetzt.

„Nichts. Das ist es ja, was mir Sorgen macht."

Maria setzte sich auf das Sofa und deutete ihm an, sich neben sie zu setzen, was Lance auch tat. Sie sah ihn stirnrunzelnd und verwirrt an.

„Das verstehe ich jetzt nicht. Was meinst du?"

„Wir haben noch viel geredet und seine Vergangenheit aufgearbeitet und ich bin mir ziemlich sicher, das er was das angeht, jetzt endlich einen dicken Schlussstrich gezogen hat. Er geht auf die Jagd, tötet und auch nicht...alles im grünen Bereich. Keine Leichen in unserem Haus und er ist nett und freundlich zu allen, aber sehr still. Zu still. Doch was mir wirklich Sorgen macht...er hatte seit er aus diesem Zimmer und wieder unter uns ist, nicht einmal mit irgendjemanden geschlafen."

Maria schaute ihn einen Moment an, dann sagte sie.

„Warte mal. Woher willst du das wissen? Vielleicht tut er es, wenn er abends ausgeht."

Er schüttelte den Kopf.

„Nein, ich habe ihn wochenlang beschattet. Nur sicherheitshalber. Ich wollte sehen, was er jetzt so treibt, da er ja wieder frei ist. Ich wollte sehen, ob er wieder in sein altes Muster fällt, doch weit gefehlt. Er jagt, doch er rührt sie nie sexuell an. Und er hat auch keine Affären; mit niemanden. Er sitzt mit anderen zusammen und trinkt, unterhält sich, aber lächelt nie und er macht keine Anstalten, auch sexuell auf die Jagd zu gehen. Obwohl wie gewohnt, die Frauen und Männer in den Bars ihn mit den Blicken ausziehen. Und ihn dermaßen anmachen, das es schon fast unverschämt ist. Doch er ignoriert sie alle und geht allein nach Hause."

Lance stand auf und ging im Zimmer herum.

„Arthur ist ein Rätsel und er fällt von einem Extrem ins andere. Als gäbe es kein Mittelweg, nur schwarz und weiß. Er existiert und auch wieder nicht. Und er leidet; ich weiß, das er leidet. Nur Arthur konnte das immer gut verstecken, entweder hinter Frustration und Wutanfälle, in denen er wahllos tötet. Oder wie jetzt, indem er sich komplett zurückgezogen hat, gesellschaftlich und auch sozial. Er ist da und auch wieder nicht."

„Inwiefern?", fragte sie stirnrunzelnd.

„Zuerst als er Merlin nicht hatte, türmten sich die Leichen in unserem Haus. Jede und ich sage... Jede Nacht hatte er Gesellschaft, die er die ganze Nacht vögelte und sie anschließend tötete, indem er sie bis auf den letzten Tropfen aussaugte oder ihnen das Genick brach. Manchmal starben sie auch an innere Verletzungen. Er war grausam und mordgierig, wenn man es mal so ausdrücken will. Niemand, der mit ihm ging, um von ihm gevögelt zu werden, überlebte die Nacht. Noel und ich wurden fast wahnsinnig, wie auch unsere Menschen, die diese ganze Sauerei immer entfernen mussten."

Er schüttelte den Kopf.

„Und jetzt? Jetzt ist er das glatte Gegenteil. Sicher, seine Beute kommt immer noch nicht lebendig fort. Doch sie sterben am Blutverlust, nicht weil er ihnen den Hals umdreht oder sie totschlägt. Doch er hat keine, wirklich keine sexuellen Abenteuer. Nichts. Die Menschen töten sich fast gegenseitig, um ihn anzumachen, doch er ignoriert sie vollkommen. Männer wie Frauen. Das ist doch nicht normal. Vampire sind sexuell sehr aktiv und Arthur war es mehr als das. Schon immer. Und jetzt gar nichts mehr? Das ist nicht gut."

„Wieso?", wollte sie wissen.

Er setzte sich wieder neben sie.

„Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll...", er überlegte einen Moment „Also; Sexualität ist für uns sehr wichtig. Mehr als für Menschen. Wir lieben es, oft mit unserem Partner oder auch zu dritt oder mehreren im Bett Vergnügen zu haben. Zumindest wenn wir nicht gebunden sind. Es ist auch etwas, was uns ausgeglichen macht. Menschliche Männer wie Frauen werden mürrisch oder übelgelaunt, wenn sie keinen Ausgleich haben. Vampire werden aggressiv und du weißt, was das heißt. Sie werden nicht ärgerlich wie Menschen oder nehmen alles übel, weil sie lange keinen Sex hatten. Nein, Vampire werden aggressiv; das heißt, sie werden nicht ärgerlich, sondern handeln, indem sie anfangen sinnlos zu töten, um ihren Frust herauszulassen, ihre Unzufriedenheit und nicht Ausgeglichenheit. Ich habe einfach die Panik, das Arthur eines Tages wieder ausrastet und anfängt, erneut sinnlos zu töten. Ich möchte das nicht nochmal mitmachen; wir alle nicht und du auch nicht. Da ist mir lieber, er vögelt herum."

„Hast du ihn mal darauf angesprochen?"

Er schüttelte den Kopf.

„Nein, ich weiß auch nicht wie. Wenn ich ihn damit konfrontiere, weiß er, das ich ihn verfolgt habe. Und das wird ihm nicht gefallen. Wer will schon, das man überwacht wird?"

Sie lachte und er sah sie stirnrunzelnd an.

„Ihr Männer habt keine Fantasie. Nicht als Mensch und nicht als Vampir."

„Was? Wie?"

Sie küsste ihn und ließ ihre Hände auf seinen Schultern.

„Dann frag ihn hinten herum. Lenke so völlig unbeabsichtigt das Thema auf das, was du wissen willst. Rede drumherum, so das er dir doch antwortet, ohne das du die Frage direkt gestellt hast. Und bleib dabei neutral und überrascht, wenn er anfängt davon zu reden, als würdest du dich wundern, das er dir das sagt."

„Was meinst du damit?"

Maria lachte und schüttelte den Kopf.

„Ich denke, das liegt uns besser als euch Männer. Doch ich kann schlecht mit ihm reden, denn Arthur würde mir seine sexuellen Ansichten mit Sicherheit nicht darlegen. Erstens weil ich eine Frau bin und zweitens weil Männer lieber mit ihrem Geschlecht darüber reden. Und du als sein bester Freund hast die besten Aussichten, mit ihm darüber zu reden."

„Was soll ich sagen?"

„Lenke das Thema irgendwie unbeabsichtigt darauf, so völlig nebenbei. Und dann sieh, wie er reagiert. Frage so aus reiner Neugier, wie es war, als er nach langer Abwesenheit es wieder getan hat. Und reagiere dementsprechend, was er sagt."

„Klingt einleuchtend. So werde ich es machen.", sagte er und grinste.

„Apropo Sex zu dritt?", fragte sie „Ist das normal bei euch?"

Er nickte.

„Nun ja, normal ist etwas übertrieben. Ich sage es mal so...es macht von Zeit zu Zeit Spaß, wenn man zusammen harmoniert."

„Und tun das nur Vampire, die nicht gebunden sind?"

„Ja, meistens. Das liegt daran, das man die Gefährten Sache schon sehr ernst nimmt. Treue und so weiter. Das Desaster, das Merlin mitgemacht hat, gehen viele Vampire aus dem Weg, die gebunden sind. Denn sollten sie wegen eines Fehltritts den Gefährten verlieren, verlieren sie ihre Achtung in der Gesellschaft und Vampire können sehr verachtend sein. Arthur fühlt das gerade, seine Vampire erkennen ihn als Clanführer nicht mehr an. Sein Ansehen ist im Keller vergraben, weil er seinen Gefährten nicht halten konnte. Du siehst, es ist etwas komplizierter, als in der Menschenwelt."

„Sie wollen ihn nicht mehr als Clanführer?"

„Nein, das legten sie mir dar. Sie sagten, das sie niemanden folgen, der seinen Gefährten so verarscht und vorgeführt hatte. Das waren ihre Worte. Sie mochten Merlin alle sehr gerne. Er war nett und höflich zu jedem und sprach immer mit ihnen. Auch das belastet Arthur. Nicht das er Merlin verloren hat, sondern das er in der Rangordnung an unterster Stelle rangiert. Ich weiß, das er deinen Bruder abgöttisch liebt und sich nach ihm sehnt. Und er wird bald anfangen, ihn zu suchen. Und er wird nie wieder damit aufhören, bis er ihn gefunden hat. Das sind wir Vampire. Er will Merlin zurück, um jeden Preis."

„Okay, dann gutes Suchen. Er wird ihn nie finden, wenn Merlin das nicht will."

„Mag sein, aber er wird nie wieder damit aufhören. Das wird seine Mission sein; jetzt und für immer."

„Okay, nochmal zurück zu dem Spaß zu dritt", wechselte sie das Thema „Wie ist es damit, wenn man gebunden ist?"

Lance runzelte die Stirn über ihre sonderbare Frage, doch er antwortete.

„Nun, das liegt an den Gefährten. Siehe Sethos. Er und Anchar haben ein Abkommen, so das beide oder auch zusammen sich noch einen Partner ab und zu gönnen. Sethos meinte, das belebt eine Partnerschaft, vor allem über Hunderte von Jahren. Aber Voraussetzung ist, das beide Gefährten damit einverstanden sind, sonst funktioniert das nicht. Siehe Arthur und Merlin."

„Hhm..."

„Was heißt...Hhm?"

„Sagtest du nicht, das du oft mit Noel geschlafen hast?"

„Ja, vor deiner Zeit; bevor wir Gefährten wurden. Jetzt nicht mehr. Warum?"

„Ist er gut?"

„He?"

Sie verdrehte die Augen.

„Ist er gut im Bett?", wiederholte sie ihre Frage.

„Ja...sicher. Er ist...Ja, er ist sehr gut. Auf was willst du hinaus?"

Sie antwortete nicht auf seine Frage und gab ihm eine Gegenfrage.

„Hat es dir leid getan, das du ihn aufgeben musstest?"

„Wir haben uns nicht geliebt, wenn du das meinst. Ich hatte nur eines Tages beschlossen mit ihm zu schlafen, weil ich lange nichts hatte. Und ich wusste, das es mir nicht gut tut. Aggression und so, du weißt. Also haben wir beschlossen, das wir uns amüsieren; ohne Liebe oder Inbesitznahme. Und das klappte ziemlich gut."

„Vermisst du ihn?", fragte sie wieder „Und sprich nicht drumherum."

Lance blies die Luft aus. Was hatte sie vor?

„Joa...nun...nein...doch, eigentlich schon. War anders als mit uns und so unkompliziert", er hob die Hände „Das heißt jetzt nicht, das ich mich mit dir nicht amüsiere. Unser Liebesleben ist toll."

Sie lachte.

„Klar. Weiß ich doch. Und Noel? Vermisst er dich auch?"

„Mmh...", sagte er und küsste sie.

„Hat er das gesagt?"

Er ließ sie los und schaute sie fast ärgerlich an.

„Warum fragst du mich das alles, Hexe?"

„Hat er?", wich sie nicht vom Thema ab.

Er seufzte.

„Er machte mal solche Andeutungen...im Bad."

„Im Bad?"

„Ja, er kam herein und griff an meinen Schwanz. Ich zog ihn weg und er sagte, das er mich vermisst. Ich sagte ihm, das ich dir das erzähle, wenn er nicht aufhört und du so böse wirst, wie bei Arthur. Sein Lächeln verschwand und er verließ fluchtartig das Bad mit den Worten...sag es ihr bloß nicht."

Maria lachte und konnte sich einen verschreckten Noel gut vorstellen. Der junge Vampir war gutaussehend und so sanft. Das liebte sie wirklich an ihm, wenn er von der Jagd kam und fast ein schlechtes Gewissen hatte, getötet zu haben. Noel vereinte alle guten Züge in sich. Er war hübsch, charmant, offen und ehrlich. Bildete sich zuerst eine Meinung, bevor er argumentierte. Er tötete nicht gerne, auch wenn er musste und war überaus hilfsbereit und hatte Mitleid mit jedem. Und das alles in einem Vampir; das sollte etwas heißen. Maria mochte ihn sehr, doch kannte ihn nicht näher. Noch nicht.

„Was soll denn diese Fragerei?", riss Lance sie aus ihren Gedanken.

„Och...nichts. Du weißt, das Frauen neugierig sind, insbesondere Hexen."

Lance zog sie an sich und küsste sie.

„Sollen wir schlafen gehen?", fragte er leise. Sie grinste.

„Ein Vampir, der um Mitternacht schlafen will? Lance...also wirklich."

„Ich sagte kein Wort von schlafen im Sinne von schlafen."

Sie kicherte.

„Also Beischlaf?"

„Nett ausgedrückt und exakt das, was ich meine."

Sie stand auf und nahm seine Hand, zog ihn vom Sofa hoch.

„Es ginge schneller, wenn du sagen würdest...lass uns vögeln."

Er lachte und nahm sie schwungvoll hoch.

„Lance!", kreischte sie, doch der Vampir trug sie lächelnd die Treppe hoch und sagte nur.

„Na warte, ich zeige dir, was vögeln ist."

„Ich bitte darum", antwortete sie kichernd.

Maria war glücklich und sie hatte oft ein schlechtes Gewissen, das sie das war. Denn Merlin war es nicht. Seine Briefe hatten einen deprimierenden Touch, fand sie. Doch er beschwor sie in jedem Brief, das sie ihre Liebe leben und sich keine Gedanken machen sollte. Ihm ginge es auch gut. Sie wusste, das er ihr etwas vor log, dazu kannte sie ihn zu gut. Maria wusste auch, das er Arthur immer lieben würde, egal was er sagte. Und Merlin würde nicht begeistert sein, wenn sie ihm nachreiste. Und eigentlich wollte sie das auch gar nicht. Wenn es beim ersten Mal schon schlimm war, Lance zu verlassen, würde sie es jetzt nicht mehr schaffen.

Der dunkelhaarige Vampir hatte ihr Herz in Besitz; jetzt und für immer und sie bereute es keine Minute.



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Zwei Tage später stand Lance im Gang und unterhielt sich mit Noel. Noch immer führte Lance den Clan und alles ging seinen gewohnten Gang. Arthur sah man nicht sehr oft. Wenn er von der Jagd kam, ging er meistens still in sein Zimmer und verließ es nicht mehr. Er lächelte nie und das fiel Lance immer öfter auf. Er mied auch meistens den Blickkontakt mit den anderen Vampiren, die an ihm vorbeikamen, als würde er sich schämen. Nur ein oder zwei der Bande hatten das Glück, das er mal mit ihnen zusammen wegging. Ansonsten hielt er sich von der Gesellschaft des Hauses fern. Lance gefiel das überhaupt nicht. Was für eine Phase machte er jetzt durch?

„Maria fragte mich über dich aus, Noel", sagte er zu ihm „Ich musste ihr die Sache vom Bad erzählen."

Lance amüsierte sich köstlich, als er Noels verschrecktes Gesicht sah. Der Vampir wurde noch etwas blasser um die Nasenspitze.

„Was? Bist du denn verrückt? Sie wird mir etwas antun, weil ich gewagt hatte, dich anzufassen. Ich sollte auf der Stelle verschwinden."

Lance lachte.

„Keine Panik, mein Freund. Sie fand es sehr amüsant."

„Amüsant? Ich bin mir nicht sicher, was bei Hexen amüsant bedeutet. Vielleicht ein amüsanter Fluch?"

Lance lachte noch mehr. Noel hatte echt die Panik.

„Nein, sie fand es wirklich lustig."

Er schüttelte den Kopf.

„Ich bin mir da so gar nicht sicher und werde ihr einige Tage aus dem Weg gehen. Ich hatte dich extra gebeten, es nicht zu sagen."

Lance wollte etwas sagen, doch da kam Arthur die Treppe herunter. Sehr früh, es war gerade mal Mitternacht. Er wollte in sein Zimmer, doch Lance rief.

„Arthur!"

Der blonde Vampir blieb stehen und drehte sich um.

„Hast du einen Moment Zeit für ein Schwätzchen?"

„Sicher doch."

Noel nickte, warf Lance noch einen bösen Blick zu und verschwand.

„Komm in mein Zimmer", sagte Lance und beide gingen den Flur entlang.

„Warst du jagen?"

Arthur nickte, als Lance die Tür schloss.

„Und verdammt früh zu Hause."

„Ja, ich will noch lesen", sagte er und Lance sah ihn etwas verwirrt an.

Arthur und lesen? Lance konnte sich nicht erinnern, wann der Vampir jemals ein Buch in der Hand hatte. Früher, während Lance im Zimmer las, amüsierte sich Arthur lieber in seinem Zimmer mit ein oder mehreren Herren. Da stimmte etwas ganz und gar nicht.

„Wie geht es dir so?"

„Danke...gut."

„Keine Alpträume mehr oder Stimmen von irgendjemanden?", fragte er vorsichtig, denn Arthur bezeichnete am Anfang ihrer Gespräche Alexej immer mit er.

„Nein, Alexej ist verschwunden.", antwortete er und Lance war froh, das er seinen Namen aussprach. Ein Fortschritt, doch der dunkelhaarige Vampir wusste, das es noch zu frisch war.

„Die Jagd auch okay?"

„Sicher, aber manchmal sterben sie, wenn ich sehr viel Hunger habe."

„Das ist normal", sagte Lance. Doch Arthur war sehr einsilbig und so...brav. Anders konnte er es nicht bezeichnen. Keine flotten Sprüche oder Andeutungen auf Sex mit Lance. Es wäre ihm schon fast lieber, er würde so etwas wieder sagen.

„Okay, da ja alles im grünen Bereich ist, kannst du ja wieder jemand mitbringen. Solange derjenige auch wieder gehen kann."

„Was meinst du?", fragte Arthur.

„Ich meine damit Sex oder vögeln oder ficken, wie du dich normalerweise ausdrückst. Oder machst du das, wenn du ausgehst?"

„Nein. Sie wollen es alle, aber ich nicht."

„Wieso?"

Arthur hatte ihn die ganze Zeit nicht angesehen, während Lance ihm jedes Wort aus der Nase zog. Doch jetzt sah er Lance an, seine unendlichen, blauen Augen so erstaunt.

„Ich mache das nicht mehr. Ich werde keinen anderen mehr mit in mein Bett nehmen, denn ich will meinen Gefährten nicht mehr betrügen. Merlin ist gegangen, weil ich ihm sehr weh getan habe, doch wenn er sieht, das ich das nicht mehr tue, dann kommt er wieder."

Lance schaute ihn vollkommen perplex an. Das war doch verrückt.

„Was?", schaffte er endlich zu sagen „Das kannst du nicht tun, Arthur."

„Doch. Sicher. Ich will Merlin wiederhaben und ich will, das er mich liebt."

Lance kam auf ihn zu und blieb vor ihm stehen.

„Aber es kann fünfzig...hundert...dreihundert Jahre dauern, bis du ihn findest, wenn überhaupt. Du kannst doch nicht solange abstinent leben. Ich bin mir ziemlich sicher, das Merlin das nicht so sieht. Er sieht dich nicht mehr als seinen Gefährten."

„Aber ich", schrie Arthur ihn jetzt an, so das Lance zurückzuckte. Die ganze Zeit über sprach er leise und gleichmäßig, als würde ihn das alles nicht interessieren. Als wäre er nicht wirklich da.

„Er wird mir gar nicht verzeihen, wenn ich wieder mit anderen schlafe. Wenn er das jemals heraus bekommt, das ich es wieder getan habe, wird er nicht mehr zurückkommen. Nie wieder."

„Das ist doch Schwachsinn, Arthur. Du weißt, was passiert, wenn du es nicht tust."

Er breitete die Arme aus.

„Nichts. Ich fühle mich gut."

„Noch", sagte Lance nickend „Doch du weißt, das es nicht so bleiben wird. Du wirst immer aggressiver und dann rastet du aus."

„Nein, ich habe das unter Kontrolle. Kann ich jetzt gehen?"

Lance nahm Luft und schaute ihn skeptisch an. Das konnte nur schief gehen. Auf welchem Trip war Arthur jetzt? Zuerst hatte er Merlin verloren, danach war er völlig verzweifelt über die ekligen Beulen. Danach sehr still und dann hatte er schreckliche Alpträume und fantasierte. Später einen freudigen, glücklichen Ausbruch nach seiner Genesung und jetzt spielte er den perfekten Vampir? Der nur ausging um zu jagen und dann die ganze Nacht las? Und sich jegliche Art von Sex entsagte? Was sollte das jetzt?

Er musste wirklich mal mit einem der menschlichen Seelenklempner reden, denn langsam gingen ihm die Möglichkeiten aus. Er war kein Arzt und stolz darauf gewesen, das er Arthur helfen konnte. Doch das eine zog das andere nach. Verdammt!

„Ja, ist gut. Aber überdenke das Ganze noch einmal, Arthur."

„Warum?"

„Weil es nicht der richtige Weg ist. Es mag ja sein, das Merlin dein Gefährte ist, zumindest in deinen Augen. Merlin wird das nicht so sehen; er ist kein Vampir. Du tust dir keinen Gefallen damit."

„Merlin schon. Denn das ist doch exakt das, was er immer von mir wollte."

„Doch er ist nicht da und sieht es nicht, Arthur", fuhr ihn Lance genervt an „Und er wird es nie wissen, weil niemand weiß, wo er ist. Und glaube mir, Merlin wird das nicht so sehen; er wird Affären haben."

„Es ist sein gutes Recht, mich auch zu betrügen. Ich habe das verdient."

Dann ging Arthur und Lance schaute ihm perplex und sprachlos nach. Er könnte im Moment laut losschreien. Nein, nein, nein, das Ganze nahm keine gute Wendung. Er musste mit Maria reden und sie mussten einer dieser Seelenärzte konsultieren, denn er wusste einfach nicht mehr weiter. Maria und er würden dort hin gehen und ihn ausfragen.



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Maria und Lance betraten das Sprechzimmer des Arztes. Die Hexe hatte einen späten Termin ausgemacht, wegen der Dunkelheit, damit Lance mitgehen konnte. Sie hatte gesagt, das ihr Mann bis abends spät arbeitet und der Arzt war einverstanden, sie nach seiner Sprechstunde zu sehen.

Lance hatte das mit Maria besprochen und sie war der gleichen Meinung, das Arthurs Verhalten nicht normal war. Und er wahrscheinlich irgendwann wieder zu einer Zeitbombe wurde, der zügellos in der Menschenwelt tobte.

Der ältere Mann war klein, schon lichtes Haar und eine Nickelbrille auf seiner Nase. Er lächelte und begrüßte die beiden, bot ihnen die Stühle vor seinem schon betagten Schreibtisch an. Maria sah sich um, schließlich war sie das erste Mal bei einem Arzt, der sich mit Konflikten innerhalb der Menschen beschäftigte. Sein Zimmer war schlicht, seine Möbel schon zerschlissen, aber noch intakt. Ein großes Sofa stand in der Ecke; das Ganze spärlich beleuchtet. Als er Lance die Hand gab und ihn ansah, sagte er.

„Ist ihnen nicht gut? Sie sind sehr blass im Gesicht."

„Ähm...ich habe eine Sonnenallergie und kann nicht lange in die Sonne."

„Sollten sie aber; sie haben ja eiskalte Hände. Ein wenig Wärme auftanken, würde ihnen gut tun", gab er Ratschläge „Die Sonne wärmt das Gemüt."

Ja, bei ihm ganz besonders. Sie würde so sehr wärmen, das er in Flammen aufging.

„Ich werde das beherzigen", antwortete Lance freundlich.

Oh ja, beherzigen, das er diesem verfluchten Feuerball nicht annähernd nahe kam.

„Ah, Seniora, ihre Farbe lässt vermuten, das sie sehr gerne in der Sonne sind. Sie sollten ihren Mann mal zu einem Nachmittagsspaziergang einladen."

„Sicher", lächelte sie, obwohl sie wusste, das es ein sehr kurzer und heißer Spaziergang werden würde. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch.

„Und was kann ich jetzt für sie tun? Sie sagten, es ginge um einen Freund?"

„Ja", sagte Maria „Er ist leider nicht in der Lage selbst zu kommen. Eine Krankheit fesselt ihn ans Bett, doch wir würden gerne ihren Rat einholen."

„Sie wissen, das ich ein Arzt für Psychiatrie und kein normal praktizierender Arzt bin?"

„Ja. Und das ist auch richtig so. Unser Freund hat Probleme und wir würden gerne wissen, wie sie darüber denken. Natürlich werden wir das ihnen vergüten."

Er lächelte.

„Natürlich. Dann erzählen sie mir doch mal, was ihren Freund belastet."

Lance sprach jetzt.

„Er hatte früher sehr schlimme, brutale Erlebnisse gehabt. Er wurde verschleppt und gefoltert, auch sexuell. Und das an die hunder...über eine lange Zeit."

Noch immer lächelte der Arzt, als er sagte.

„Sie wollten doch nicht etwas hundert Jahre sagen, denn dann wüsste ich das Problem ihres Freundes. Er wäre tot."

Lance lachte unsicher. Er musste aufpassen, was er sagte. Maria sah ihn warnend an.

„Ja, das wäre er wohl. Nein, es war etliche Jahre; seine Jahre als junger Mann, Doktor..."

„Nennen sie mich Giorgio. Schließlich sind wir ja inoffiziell hier. Ja?"

„Wie sie wünschen. Also, danach war er eigentlich so ziemlich normal. Er ging aus und amüsierte sich auf jegliche Art. Oft manchmal zu viel des Guten."

Wenn die Leichen sich türmten und das jede Nacht.

„Als er dann krank wurde..., es war ja nur der schwarze Tod, der schon lange ausgemerzt war, so um die drei bis fünfhundert Jahre „Fing er plötzlich an zu fantasieren, das seine Peiniger wieder da waren und ihn holen kämen. Ich dachte mir, das er das Erlebte verdrängt hatte, dazu kam, das sein langjähriger Partner ihn verließ."

Nach vierzig Jahren Wiedersehen und er immer noch aussah wie in den Zwanziger.

Lance wurde es so richtig bewusst, das sie niemals zu einem menschlichen Arzt gehen konnten. Würde er diesem hier die Wahrheit sagen, würde der Arzt ihn wohl als potenzieller Patient aufnehmen, der Wahnvorstellungen von Hexen und Vampiren hatte. Oder er würde sich selbst einweisen.

Giorgio nickte.

„Da liegen sie nicht so falsch. Viele Menschen verdrängen solche schlimmen Erlebnisse, vor allem wenn sie so schlimm sind, wie bei ihrem Freund. Es ist für sie einfacher, das in dem dunkelsten Winkel in sich einzuschließen. Doch der Schein trügt. Andere Umstände können dazu beitragen, das dieses dunkle Verlies nicht mehr sicher ist und die Erinnerungen durchbrechen. In dem Fall ihres Freundes war es die Krankheit und der Verlust seines Partners, der das Verlies öffnete. Es empfiehlt sich, solche Erlebnisse aufzuarbeiten...in sehr vielen Gesprächen. Dem Patient zu vermitteln, das er nicht schuld daran ist. Er war das Opfer. Doch viele geben sich die Schuld, das sie in solch eine Lage kamen."

Lance nickte.

„Ja und ich habe sehr lange und oft mit ihm darüber geredet. Und er machte gute Fortschritte, versuchte das Geschehene zu verarbeiten und abzuhaken. Zuvor war er oft aggressiv, doch die letzte Zeit nicht mehr."

„Was hat sich geändert?"

Lance seufzte.

„Er ist jetzt das glatte Gegenteil. Still und ruhig und er lächelt nie. Er weicht anderen mit seinem Blick aus und zieht sich vollkommen aus der menschlichen Gesellschaft zurück."

Okay, vampirische Gesellschaft, um genau zu sein.

Der ältere Mann nickte wissend.

„Die zweite Phase. Die erste Phase ist die furchtbare Erkenntnis des Traumas, das er erlebte. Die Schmerzen und all das Demütige, das er erdulden musste. Es kommt an die Oberfläche, überschwemmt ihn und löst Panikattacken und Fantastereien aus, so wie sie es beschrieben haben. Die zweite Phase ist Wiedergutmachung. Diese Menschen wissen trotz ihres Konflikts, was sie alles getan haben. Gewaltausbrüche, sogar Mord, Zorn und Frustration. Alles Gemütszustände, die solch ein schlimmes Erlebnis auslösen kann. So wie sie das beschreiben, will er sühnen für all seine Untaten. Vielleicht auch, weil ihn sein Partner wegen solch eines Vorfalls verlassen hatte. Wir drei wissen, das es unsinnig ist, auch wenn er im Unrecht war."

„Und was sollen wir jetzt tun?"

Er überlegte einen Moment, dann sagte er.

„Sie müssen ihn führen. Er kann von allein nicht mehr in die richtige Spur kommen. Sehen sie das mal so. Er springt von einem Extrem ins andere, doch verfehlt meilenweit die goldene Mitte. Sie müssen ihm den Weg zeigen. Wenn er wieder genesen ist, nehmen sie ihn mit nach draußen. In Bars oder andere Veranstaltungen. Da er allein ist, soll er sich angenehme Gesellschaft suchen, ein Mädchen oder auch einen Mann. Heutzutage ist das ja nicht ausgeschlossen, wenn auch verachtet. Er muss quasi lernen wieder zu leben. Und nicht in Erinnerungen und Schuldgefühlen baden, denn das wird ihn auf Dauer zerstören."

Lance und Maria sahen sich an. Es war noch nicht vorbei. Giogio beugte sich vor.

„Wissen sie...egal wie alt ihr Freund ist, seine Seele hat Narben. Und er ist in diesem Moment so verletzlich wie ein Kind. Seien sie behutsam, erzwingen sie nichts. Führen sie ihn langsam an diese Dinge heran. Argumentieren sie sachlich und ruhig, nicht laut werden, auch wenn ihre Nerven blank liegen. Die Seele macht uns aus, doch ist sie sehr anfällig und verletzlich. Sie heilt, sicher. Doch nicht mit Gewalt. Das ist ein sehr langer Prozess; vielleicht kommt sein Partner wieder zurück, denn er wäre Balsam für diese gequälte Seele, sollte da noch irgendwelche Gefühle sein."

Oh ja, da waren sehr viele, tiefe Gefühle im Spiel, doch das war unmöglich. Merlin hatte sich von ihm abgewandt. Er möge ihm vielleicht irgendwann verzeihen, doch vorerst nicht. Und Arthurs Problem war aktuell und konnte man nicht auf die lange Bank schieben.

„Ich würde mich gerne mal mit ihrem Freund unterhalten", riss er Lance aus den Gedanken.

„Oh nein, das geht nicht. Er ist nicht in Mailand."

„Oh schade", meinte er „Haben sie sonst noch Fragen?"

Maria stand auf.

„Nein, danke. Sie haben uns sehr geholfen."

Lance legte ihm sehr viel Geld auf den Tisch und er lächelte, bedankte sich höflich. Dann gingen die beiden und draußen sah Lance Maria an.

„Er sprach von Seele und so. Ich bin mir gar nicht sicher, ob wir so etwas überhaupt noch besitzen. Verlässt die Seele die Menschen nicht, wenn wir sterben?"

„Doch."

Lance schnaubte.

„Wir sind gestorben. Mausetot. Also ist sie ab gezischt, als wir blutleer unseren letzten Atemzug machten."

„Vielleicht kam sie wieder zurück, als sie bemerkte, das ihr nicht tot ward", meinte Maria. Es klang belustigt. Allein die Vorstellung war amüsant, das sie umdrehte und wieder zurück kam.

„So ein Blödsinn. Das ganze Seelenzeugs ist Blödsinn. Doch was er über Arthur sagte, ergibt einen gewissen Sinn. Er will jetzt alles gut machen. Zu gut. Und das geht bald gehörig in ein Chaos über."

Maria seufzte.

„Wir müssen ihn wieder auf den richtigen Weg bringen. Dann nehmen wir ihn immer mit, wenn wir ausgehen und führen ihn langsam wieder an alles heran. Was haben wir sonst für eine Möglichkeit? Zu diesem Arzt zu bringen geht auf keinen Fall. Das würde nicht gut enden, wenn Arthur erzählen würde, das er achthundert Jahre alt ist und seinen Gefährten sucht, wenn es auch tausend Jahre dauert."

„Keine", sagte er „Er wird bald aufbrechen, um seinen Gefährten zu suchen. Dann ist er wochenlang weg und wir haben keinen Einfluss auf ihn. Wenn er dann wieder ausrastet, hat er sehr schnell die Gilde am Hals. Wir haben nicht viel Zeit. Fangen wir an."

Sie nickte und sie gingen in die Stadt, setzten sich in ein Cafe und besprachen dieses und jenes. Wenn Arthur aufbrach, um Merlin zu suchen, musste er in der Spur laufen.
Maria dachte einen Moment daran, Merlin zu schreiben, doch er käme nicht zurück.

Merlin war sehr tief verletzt worden und musste selbst heilen.


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