Chapter 91

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Nach dem Tag im einem der Arbeitsräume dauerte es nicht mehr lange, bis es Taehyung körperlich verwehrt  blieb, sein Zimmer  verlassen zu können.
Er schaffte es gerade so zur Toilette und wieder zurück, ehe ihn sein Körper zwang, in einen erholenden Schlaf zu fallen.
Jedes Mal, wenn mein kleiner Rabe die Augen schloss und sein Atem ruhiger wurde, hatte ich Angst, dass er seine wunderschönem Augen nicht mehr öffnen würde.
Jedes Mal, wenn er wieder zu sprechen begann, fiel mir ein Stein vom Herzen.
Ich wollte jede Sekunde bei ihm bleiben, ihm beim schlafen beobachten, seine Züge solange betrachten, bis sie in mein Gedächtnis eingebrannt waren, aber die Furcht nicht rechtzeitig einen Weg zu finden um ihn zu retten, trieb mich dann doch wieder dazu, mehrere Stunden mit Yoongi kryptische Botschaften zu entschlüsseln.
Ich hatte Schlafmangel und Albträume von einer Realität ohne ihn.
Frustriert schloss ich die letzte Lektüre für heute und mir war zum weinen zumute. Ich spürte, wie der besorgte Blick von Yoongi über mich wanderte und dann seine warme Hand, die mir beruhigend über die Haare strich, wie ein Appa, der seine Hand schützend über sein Kind streckte.
Dieser innerliche Vergleich ließ mich schnauben, "Warum so belustigt, Halbgott?", fragte Yoongi daraufhin leicht verwirrt, "Ich hab nur gerade darüber nachgedacht, ob es möglich wäre, von dir adoptiert zu werden", murmelte ich und ließ meinen Kopf auf den Tisch sinken.
Yoongi lachte und schnippte mir gegen den Hinterkopf, "Als ich das letzte Mal jemanden in die Unterwelt 'Entführt' hatte, kam das nicht sonderlich gut bei denen da oben an", erwiderte er, ich murrte und vergrub mich weiter in meinen Armen, "Ich bin aber nur ein Halbgott, das merkt keiner", flüsterte ich entnervt zurück, was Yoongi belustigt schnauben ließ, "Ich überlege es mir Jungkook", sagte er sarkastisch, "Wie großzügig", nuschelte ich und dann verstummte das Gespräch.
Yoongi trat von mir weg und sammelte seine Aufzeichnungen ein, "Wollen wir?", fragte er mich stumpf, leise seufzend bejahte ich und drückte mich hoch.
Meine Muskeln protestierten, als ich mich langsam aufraffte, mein Körper fühlte sich an als ob ich einen Marathon gelaufen wäre und dann den Tag mit einer intensiven Yogaeinheit beendet hätte und dabei hab ich nichts dergleichen getan, ich joggte nicht mal mehr, seitdem Taehyung vom Krankenhaus zurück war.
Es war unvorstellbar, dass Tae diese Zermürbtheit über mehrere Tage überlebt hatte und nicht daran zu Grunde gegangen ist.
Mit schlürfenden Schritten zog ich mich hinter Yoongi durch die langen Flure, "Du bist heute recht ruhig", stellte der Gott nüchtern fest, "Es ist nichts", Yoongi schaute mich über die Schulter hinweg neutral an, "Wenn du meinst", und zuckte dann mit den Schultern, für einen Augenblick dachte ich wirklich er würde es auf sich beruhen lassen.
Bei Taehyung vor der Tür angekommen, hielt Yoongs jedoch noch einmal inne, "Jungkook....", sagte er bedächtig, "Kommt jetzt die Predigt?", fiel ich ihm ins Wort, "Nein das war nicht die Intuition, der ich nachgehen wollte", "Gut dann können wir ja das Gespräch beenden bevor es startet, oder?", stellte ich fest und drückte mich an ihm vorbei, aber er hielt mich erneut zurück, "Ich will nur nicht, dass du dich körperlich und geistig zerstörst. Ruh dich wenigstens einen Tag mal aus, schlaf aus, iss etwas", ich schaute ihn aus dunklen Augen an, "Taehyung kann nicht entscheiden, wann sein Körper aufgibt, ich kann mir jetzt keine Auszeit nehmen, was wäre, wenn mein freier Tag der Tag wäre, an dem wir einen Fortschritt machen würden? Dann ist dieser Tag verschwendet und  diese Fahrlässigkeit könnte Tae töten...", gab ich nüchtern zurück, "Das sind Mutmaßungen", "Das sind nicht vorhersehbare Risiken, Risiken die ich nicht eingehen werde", Yoongi seufzte, "Ist ja gut..., aber wenn du mal jemanden brauchst zum reden, auch über alles andere, werde ich dir gerne mein Gehör schenken", flüsterte er mit so einer Sanftheit in der Stimme, die mir beinah ein schlechtes Gewissen bescherte.
Yoongi benahm sich wirklich wie eine Art Appa oder ein richtiger Bruder. Beides war mir fremd.
Die Zuneigung, beziehungsweise die Sorge um mich verstand ich nicht.
Ich öffnete die Tür ohne den Gott weiter zu beachten oder einen Gedanken daran zu verschwenden, wie es wäre, familiär bemuttert oder versorgt zu werden.
Als ich das Zimmer jedoch betrat, fiel mir zunächst ein leeres Bett auf, was mir direkt das Blut in der Adern gefrieren ließ.
Wo war Taehyung?
Jedoch hatte ich den anfänglichen Schock schnell überwunden, als ich einen Aufprall auf der linken Zimmerseite vernahm.
Mein Blick schnellte in die andere Ecke des Raumes wo Tae mit einem Buch in der Hand am Boden lag und um ihn herum weitere Bücher verstreut und auch teilweise geöffnet  dalagen.
Er wollte wohl ein Buch in der oberen Etage des Bücherregales holen, jedoch fehlte ihn vermutlich die körperliche Kraft, um die Balance auf den Zehenspitzen zu halten, was ihm zum stürzen brachte.
Die Bücher mit ihren dunklen Einbänden sahen aus wie die Blätter eines Baumes, die im Herbst zu Boden glitten und Taehyung saß mit erschrockener Miene dazwischen.
Mit aufgerissenen Augen schaute er zu mir hoch, aber seinen Blick konnte ich  nicht deuten, denn er war stumpf, fast schon abwesend...
Ich hatte bemerkt, dass dies manchmal passierte, dass er geistig gelegentlich nicht ganz bei der Sache war und sich in sich zurückzog, normalerweise würde ich das verstehen, ich kann es sogar in vielen Momenten nachvollziehen, wenn man einfach abschaltet und grübelnd in die Leere starrt, aber in der aktuellen Lage beunruhigte es mich bei Taehyung eher...
Ich eilte zu ihm und griff unter seine Beine um ihn hochzuheben, dabei fiel sein Buch aus seiner Hand, "Mein... Mein Buch Kookie, mein Buch", hauchte er mit dünner Stimme und hob seine Hand, um zu symbolisieren, dass er das Buch wollte, aber ich trug ihn bestimmt zum Bett und hob ihn dort hinein.
Mit traurigen, müden Blick schaute er an die Stelle, wo das literarische Chaos lag, dann wanderten seine Augen wieder zu mir, "Mir geht es gut, du kannst dem besorgten Blick ablegen", fauchte er leise und dabei klang er wie eine Babykatze die versuchte, sich zwischen den größeren durchzusetzen, "Taehyung-", "Hör auf Jungkook, lass gut sein", flüsterte er und drehte sich demonstrativ weg.
Ein belustigtes Schnauben ertönte hinter mir, "So erkennt man die Ähnlichkeit zu Jimin, kleine Divas", Yoongi hielt Taehyung das Buch vor die Nase, "Tzz hör mir auf mit dem Spasten, bester Freund pffff wenn ich nicht lache! Lässt mich hier versauern und meldet sich nicht einmal", er umfasste seine Decke fester, "Wenn ich erstmal Tod bin, werde ich ihn als Geist heimsuchen! Der Mann wird keine ruhige Nacht mehr haben!", knurrte er sauer und riss Yoongi das Buch aus den Händen, "Danke", fügte er noch murmelnd hinzu.
Yoongi starrte ihn mit erhobenen Brauen an, sagte aber nichts weiter und setzte sich an den Bettanfang, "Seid ihr fertig mit Yoongi seinem Projekt?, durchbrach Taehyung das unangenehme Schweigen was danach entstand , jedoch schaute er nicht von dem Buch auf was er hielt, er strich zaghaft immer wieder über den Einband und verfolgte seine Finger mit einem sanften Blick.
Ich räusperte mich, "Es läuft so semi gut", antwortete ich, "Um was geht es?", fragte Taehyung und schaute nun zu Yoongi.
Dieser schaute zu mir, dann wieder zu Taehyung, "Um Frauen in der Geschichte", "Oh? Allgemein oder eine spezielle?", Yoongi schaute erneut hilfesuchend zu mir, "Lathgertha", sagte ich deshalb schnell, "Die berühmteste Schildmaid", kommentierte Taehyung und nickte bedächtig, "Gute, aber schwierige Wahl, zu ihr findet ihr nicht viel, hab ich recht? Zu ihr gibt es nicht viel", Yoongi und ich nickten, "Historiker gehen  davon aus, dass sie eher fiktiv war, außer in einer mittelalterlichen Schrift von Saxo wurde sie nie wirklich erwähnt", sagte er trocken, als ob wir über das Wetter reden würden, "Naja, aber ich denke ihr schafft das schon irgendwie, andernfalls könnt ihr ja noch andere berühmte Frauen analysieren, falls Lathgertha wirklich nicht bereit ist, euch Antworten auf ihr Leben zu gewähren", fuhr er fort, "Jeanne D'arc, Kleopatra, Agrippina, Atalanta, Anne Bonny, Mary Read ~~", seine Augen fingen an zu leuchten und er war auf einmal ganz hippelig,  dann schaute er mich und Yoongi aufgeregt an, "Vielleicht kann ich euch ja auch helfen!? Ich sitze den ganzen Tag hier drinnen und....", "Nicht nötig Taehyung", unterbrach ich ihn schroff.
Taehyung seine Euphorie war in einem Wimpernschlag durch mich wie weggeblasen, sein Blick suchte den von Yoongi, "Warum? Ich- Ich kann nützlich sein", sagte er und wurde zum Schluss immer leiser und trauriger.
Ich konnte bei Yoongi im Gesicht ablesen, dass es ihm leid tat, dass wir den schwarzhaarigen Lockenkopf anlogen und das wir ihn seinen Wunsch nützlich zu sein, verwehrten, aber das war der einzige Weg.
Wenn wir Taehyung sagen würden was wir wirklich tun, dann würde er sich, auch wenn er es nicht zugeben würde, Hoffnung machen.
Hoffnung war gut und auch wichtig für ihn, aber nach jeden frustrierenden Tag ohne Ergebnisse, würde es ihn doch jeden Abend brechen.
Oder?
"Das mag sein, aber Tae beachte doch deine aktuelle Situation.... recherchieren und bei voller Konzentration bleiben ist auch anstrengend", versuchte es Yoongi, was Taehyung nur seinen Kopf sinken ließ, "Okay....", sagte er nur und fiel zurück in sein Kissen, das Buch geschlossen auf seiner Brust.
"Tae.... wirklich, es tut uns leid", versuchte ich es nochmal mit ruhigerer Stimme, aber er unterbrach mich genau so  wie ich es bei ihm getan hatte, "Schon gut, macht euer Ding. Ich bin müde, lasst mich bitte alleine", er grinste schief , als weder ich noch Yoongi uns erhoben, "Hop Hop, der Krankenbesuch ist vorbei", fügte er also nun mit spielerischen Ton hinzu, ehe er sich auf die Seite drehte und unsere Anwesenheit anfing zu ignorieren.
Yoongi stand stumm auf und ging.
"TaeTae....", versuchte ich es nochmal, aber Taehyung rührte sich nicht mehr, zögerlich folgte ich nun also dem kleineren Mann nach draußen.
Der Gott der Unterwelt stand am Fenster und betrachtete den Himmel, "Namjoon, der Dreckssack", hauchte er und schaute belustigt zu mir, "Sieht wohl so aus  als ob jemand angepisst ist", sein Kopf drehte sich wieder zum Fenster und ich stellte mich neben ihm und tat es ihm gleich.
Der Himmel war dunkel, die Wolken hingen tief über den Spitzen der Bäume und schienen sie zu berühren.
Es würde bald regnen...
Ein Blitz durchschnitt den dunklen geflochtenen Wolkenteppich und ließ den Himmel im grellen Licht eine Sekunde lang erstrahlen, als ob jemand ein Lichtschalter umgelegt hätte.
"Es kommt was auf uns zu", murmelte Yoongi nun verdrossen, "Und ich glaube es ist nicht nur ein Sturm...."

Wörter: 1738

Stolen Mirror TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt