Chapter 95

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Ich ließ mich von Erina nach draußen zerren und sagte dabei kein Wort, genau so wenig wie sie.
Der Schock steckte noch so tief in meinen Knochen, dass ich kaum wagte irgendwas zu sagen oder zu denken.
Der einzige Gedanke, der wie eine dauerhafte Tonaufnahme durch meinen Kopf schwirrte, war die Frage, 'Warum?'.
Warum machte sie das, warum tat sie das hier und warum zum Hades war sie hier, denn dieser Groschen war bei mir definitiv noch nicht gefallen.
War ich vielleicht einfach wieder in einem Fiebertraum?
Bin ich vielleicht high?
Was für Medikamente geben die mir gleich nochmal?!
Erina schubste mich auf die Bank, wo wir vor fast einer Wocher meine Hausaufgaben gemacht haben, beziehungsweise besprochen haben und sie daraufhin Jungkook das erste Mal kennengelernt hatte.
"Oh Taehyung, du siehst wirklich Scheiße aus", sagte sie abschätzig und mir drehte sich der Magen dabei um, bei der Tonlage, die ihre Stimme anschlug.
"Deine Haare sind strähnig und du bist viel zu dünn und blass", sie verzog angewidert das Gesicht.
Ich würde sie gerne anschreien oder mit ihr diskutieren, aber der Weg von meinem Zimmer bis hier her hatte mir auch die letzte Kraft geraubt, ich denke, ich wäre nicht einmal mehr in der Lage zu weinen.
"Es ist wirklich eine Schande", murmelte sie und riss meinen Kopf an den Haaren empor, unter  halbgeschlossenen Lidern schaute ich sie an, "So ein schönes Gesicht und du lässt es so verfallen, dass gleiche in Grün, bezogen auf deinen mageren Körper", redete sie weiter.
Ich schloss die Augen und schluckte, dann erhob ich meine Stimme, leise und rau, "Warum bist du hier Erina" und ging dabei nicht auf die Beleidigungen davor ein, ich versuchte sie gar zu ignorieren.
Ihre Grauenaugen suchten meinen Blick.
Ihre Iris sah aus wie der Nebel der über das Wasser eines ländlichen Flusses streifte und die Pupille darin war der tiefschwarze Abgrund, "Es ist an der Zeit Rechnungen zu begleichen kleiner Vogel", murmelte sie und zwinkerte mir zu.
Sie ließ mich los und trat zurück.
Ihr blondes Haar war ein starker Kontrast zu dem farblosen dunklen Himmel, "Es ist nichts persönliches Taehyung, wirklich nicht, ich mochte dich sogar, aber trotzdem muss man dir das nehmen was nicht dir gehört", ihr Finger wanderte zu meiner linken Brustseite und tippe darauf, "Da ist der Druck, oder? Da liegt der Schmerz", ihr Finger strich über mein Herz, "Dort ist der Spiegel", flüsterte sie und ich konnte hören wie Ehrfurcht ihre Stimme durchfloss.
Ich schlug ihre Hand weg, "Denkst du ich hab mir das ausgesucht?", fauchte ich, "Denkst du, ich wollte den dämlichen Spiegel haben?", sie schüttelte den Kopf, "Natürlich nicht, keiner wäre so blöd,  den Zorn meiner Eomma freiwillig auf sich zu ziehen und so ein wertvolles Objekt zu entwenden".
Moment.....
Soona war ihre Eomma?!
Perplex blickte ich sie an, "Aphrodite ist deine Mum?", "Ja, auf wessen Anweisungen denkst du denn bin ich hier?", fragte sie verwirrt zurück.
Nun fiel der Groschen mit extra vielen Soundeffekten.
Ich betrachtet Erina, die sich wieder von mir abwandte und irgendwas vor sich hinmurmelte.
Sie sah Soona wirklich sehr ähnlich....
"Jungkook hat dich also aufgeklärt", fing sie wieder an, sich mir zuzuwenden  und riss mich so aus meinen Gedanken.
Mein Kopf schmerzte.
"Mhm", war nur die einzige Reaktion die ich darauf zeigte, "Interessant".
Mein Körper protestierte in jeder Zelle als ich meine Beine dazu zwang, mir und meinen Armen beim Aufstehen behilflich zu sein, unter ächzenden Tönen schaffte ich es mich auf zu richten und wacklig auf Erina zu zu stolpern.
"Was nun? Was nun Eri, wollt ihr einen ohnehin sterbenden Menschen die wenige Zeit auf der Erde noch entreißen? Ihr bekommt den Spiegel doch sowieso, warum also so eine Show abziehen?", fragte ich sie stumpf, das alles war so ermüdend.
Mein Körper sackte in sich zusammen, meine Glieder gehörten mir nicht mehr, sie waren so schwer....
Erina hielt mich aufrecht, "Weil wir dir einen Gefallen tun wollen Tae", flüsterte sie in mein Ohr, "Du würdest keine Schmerzen mehr haben", "Ich würde keine Zeit mehr mit meinen Liebenden haben", "Was ist der Unterschied, wenn du jetzt gehst oder in zwei Tagen?".
Mein Gesicht verschwand in ihrer Halsbeuge, "Ich könnte mich verabschieden, ich könnte ihnen ein letztes Mal sagen, was sie mir bedeuten....", flüsterte ich an ihren Hals.
Erina sank mit mir auf den Boden.
Die Steine knirschten unter meinen Knien und ich spürte, wie sich ihre Spitzen in meinen Körper stachen, "Das ist das Problem mit Sterbenden Tae.... sie werden immer mehr letzte Male haben wollen, deswegen ist das entschlafen ja das, was die Menschen unter einen friedlichen Tod verstehen, es ist schmerzlos und überraschend.  Das Taehyung, was meine Eomma vor hat, wäre nicht anders, du würdest nur einschlafen," sagte sie sanft in mein Haar und strich mir über den Rücken, "Du würdest nicht zusehen müssen, wie deine Eltern sich endgültig von ihrem Kind verabschieden müssen, du würdest nicht sehen, wie Jungkook zerbricht, wenn sein Seelenverwandter geht", fuhr sie fort.
Ich spürte einen Stich in meinem Herzen und an meinem linken Arm.
"Seelenverwandte? Wie aus Jiminis Geschichte", hauchte ich und Erina lachte leise, "Wenn es die aus der griechischen Sage ist, dann ja, genau so für einander bestimmt wie Hades und Persephone es füreinander waren", erwiderte sie leise.
Ich sank weiter in mich zusammen, ich war müde so unglaublich müde.
Erina bettete meinen Kopf auf ihren Schoss.
"Es ist nicht das absolute Ende, Tae", "Willst du mir jetzt vom Hades und Elysium erzählen, Tochter der Liebe?", schnaubte ich leise, "Vielleicht", ich blinzelte und schaute auf ihre Hand in der eine kleine Phiole das wenige Licht was einfiel, leicht brach.
"Hast du mich vergiftet? Ist das deine Definition vom friedlichen Einschlafen?", "Betäubt Tae", hauchte sie.
In meiner Panik versuchte ich es erneut, Jungkook zu erreichen, tatsächlich fühlte es sich nicht mehr so an, als ob uns eine Barriere trennen würde, aber momentan war ich mir nicht einmal mehr sicher ob das gedankliche Kommunizieren funktionierte, beziehungsweise noch möglich war.
Eine weitere Welle der Müdigkeit und inneren Ruhe überkam mich.
Hinter Erina tauchte eine Frau auf, eine Frau so wunderschön wie die aufgehende Sonne, die ein Tal in verschiedene Tönen tauchte, wie ein Künstler eine Leinwand färbte... makellos.
Sie legte Erina eine Hand auf die Schulter und streichelte sie.
Ich wandte meinen Blick davon, schaute Erina in die Augen und betrachtete die Tränen, die sich darin bildeten.
Bereute sie es?
Die Wellen wurden stärker.
Sterben.... das Thema Tod war in den letzten Tagen mein ständiger Begleiter, ich hab viel darüber nachgedacht, aber das es wirklich so friedlich werden würde, hatte ich nicht angenommen.
Es war beinah erlösend.
Erina hatte  nicht wirklich Unrecht.
Natürlich würden meine Eltern trauern, aber der Schmerz würde vergehen, Jungkook würde einen anderen Jungen kennenlernen, einen gesunden charmanten Mann und Jimin würde schon jemanden finden, der seine Blumen im richtigen Licht einfängt.
Ich würde kein Problem mehr sein, niemandes Last.
Ja, vielleicht war es das richtige.
Tränen tropften auf mich herab.
Erina weinte und Soona strich ihr weiter mit der einen Hand über den Rücken mit der anderen tippte sie auf meine Brust.
Ein federleichtes ziehen durchzog meinen Brustkorb.
Soona sagte nichts, als sie den hell leuchtenden Spiegel aus mir herauszog, mitten durchs Gewebe, aber er hinterließ keine Schmerzen, keine offene Wunde dabei.
Der Druck auf mein Herz fiel, ich hatte das Gefühl das erste Mal wieder atmen zu können, ohne Messerstiche auf meinem lebenswichtigen Organ zu spüren.
Mir wurde kurz schwarz vor den Augen und dann wieder hell.
Wie flackernde Lichter in alten Lagerhallen.
Mein Herzschlag wurde ruhiger, ich spürte, dass ich die Ziellinie beinah erreicht hatte.
Ich hätte gerne Eomma und Appa nochmal gesehen, Yoongi und Jimin.... Jungkook ich konnte ihm nie sagen, was ich für ihn fühlte und ich hab uns die gemeinsame Zukunft geraubt, hab unsere Übereinkunft nicht halten können, die verschiedenen Länder zu bereisen.
Bitte Verzeih mir.
TAEHYUNG
Jungkook  seine Stimme war lauter als meine eigenen Gedanken.
Bitte nicht, du musst noch durchhalten!
Ich hörte wie verzweifelt er klang, aber ich konnte auch diesen letzten Wunsch nicht wahrnehmen.
Ich hatte genug gekämpft, es war wohl nun einfach an der Zeit loszulassen.
Ich schaute zu der weinenden Erina, zu Soona.
Ich blinzelte.
Ich hörte Schreie, ich hörte den verzweifelten Kookie brüllen.
Ich schloss langsam die Augen und alles wurde Still.

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Stolen Mirror TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt