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Der muffige Geruch einer uralten Gefängniszelle schlägt uns sofort entgegen. Feucht, kühl und drückend. Ich fühle mich wie in ein anderes Jahrhundert zurückversetzt. ‚My Lady, seid Ihr sicher, dass Ihr das königliche Verlies besuchen wollt?' Ja, denn hier bin ich. Es riecht wie in einer Tropfsteinhöhle, aber dennoch ist es ein Gefängnis, ein Verlies.

Das wird definitiv bestätigt, als ich den Raum betrete. Er ist um Einiges kleiner als der Saal, aus dem ich gekommen bin. Im Gegensatz dazu scheint dieses Zimmerchen hier wie eine Abstellkammer, es dürfte maximal drei Quadratmeter groß sein. Aber ungefähr mittig wird der Raum getrennt; durch ein riesiges, senkrecht verlaufendes Stangengitter. Es sieht wirklich aus wie eine Gefängniszelle, stelle ich geschockt fest. In der einen Hälfte des Raumes, in der ich gerade stehe, gibt es einen Ausgang. In der Hälfte hinter den Metallstäben gibt es keinen, keinen Ausgang, keine Freiheit.

Mir gegenüber, in der anderen Hälfte des Zimmers, gibt es ein Fenster. Vergittert. Natürlich. Das Tier, das hier eingesperrt ist, sollte nicht entkommen. Zusätzlich zu dem Gitter, wurde auch dieses Fenster von außen mit Holzplatten zugenagelt. Man kann's aber auch übertreiben. Was soll hier drin sein? Ein Gorilla? Und nicht mal der könnte diese Gitter entfernen.

Dadurch, dass hier noch niemand war, sind auch keine Scheinwerfer aufgestellt worden. Es ist stockduster, auch durch das Fenster kommt verhältnismäßig wenig Sonne (ich schätze einfach mal, dass das ein bisschen dem von außen gegen das Fenster gepressten Holz zu Schulden kommt). Aber die Lichtstrahlen, die durch die Lücken der morschen Holzplanken hindurchsickern, erfüllen den dunklen Raum mit fast schon mystischer Beleuchtung. Zwar irgendwie schön anzusehen, hilft aber trotzdem nicht wirklich beim Gucken.

„Sagen Sie, könnten Sie es hinbekommen, dass wir hier ein bisschen Licht reinbringen könnten?", frage ich leise. Was auch immer sich in diesem Käfig befindet, ich will es nicht erschrecken, indem ich lauter als nötig rede. „Ich gehe mal nachfragen", sagt der Polizist, ebenso leise, aber ich höre das Zögern in seiner Stimme. „Machen Sie bloß keinen Unsinn!", warnt er mich besorgt. Ich drehe mich zu ihm um und versuche, beruhigend zu klingen, als ich sage: „Natürlich nicht. Bitte." Immer noch zögert er, doch dann gibt er sich einen Ruck und lässt mich allein.

Plötzlich überläuft mich ein Schaudern. Verdammt, das war eine doofe Idee. Er soll zurückkommen. Sofort.

Nein. Jetzt bloß keine Panik. Das wäre gerade sehr ungünstig. Einfach ruhig bleiben. Da ist ein Gitter. Was auch immer da drin ist, es bleibt da, für's Erste. Es kommt nicht raus, es kann mich gar nicht angreifen, selbst, wenn es wollte.
Ich überlege, was denn so gefährlich ist, dass man es extra in einen Extraraum sperren muss. Und dann auch noch die vergitterten Fenster mit Holz zunagelt. Ich bekomme eine Gänsehaut.
Gleichzeitig versuche ich, mich zu beruhigen. Es kann ja sein, dass es gar nicht gefährlich ist. Nur selten. Deshalb hat man es hier eingesperrt, damit nicht jeder ‚Kunde' sieht, dass dieser genetische Abfall etwas so Wertvolles besitzt. Und die das Tier wurde nur vor neugierigen Blicken geschützt, weshalb die Fenster barrikadiert wurden. Ganz einfach, es muss nicht immer alles gleich gefährlich sein.

Mit einem Mal wird es schlagartig heller hier drin. Ich fahre herum, weil ich zuerst denke, der Polizist ist schon zurück. Aber ich bin immer noch allein, das Licht kommt vom Fenster. Wahrscheinlich war es bis eben nur so dunkel, weil sich draußen eine Wolke vor die Sonne geschoben hat. Jetzt scheint sie wieder kräftiger, weshalb ich hier drinnen mehr sehen kann.
Ich kneife die Augen zusammen. Keine Ahnung, warum ich denke, dass das was helfen soll, aber das machen Leute in Geschichten immer so.
Es hilft aber kein bisschen, also lasse ich es sein und schaue nur angestrengt in den Käfig, um etwas zu erkennen. Als ich mich an die Dunkelheit und das nun so unerwartet erschienene Licht gewöhnt habe, glaube ich, einen weißen Haarschopf ausmachen zu können. Das Tier sitzt natürlich genau in der Ecke der Zelle, die nicht von der Sonne bestrahlt wird. Ich beschließe, dass es erst einmal dort bleiben soll, aber es soll wissen, dass ich ihm nichts tun will.

„Hey... Hallo, Kleiner. Der böse Mann, der dich gequält hat, ist weg. Die Polizei hat ihn mitgenommen, der kommt nicht wieder", sage ich sanft. Es soll ja keine Angst vor mir bekommen. „Die netten Leute von der Polizei bringen dich gleich in ein Tierheim, dort wird man sich ganz lieb um dich kümmern, bis du in ein tolles neues Zuhause gefunden hast. Ich hoffe, du hast nicht zu sehr gelitten. Aber du kannst sicher sein, dass das jetzt vorbei ist. Das verspreche ich dir."
Das Tier bleibt stumm. Ich trete ganz langsam immer näher an das Gitter heran und rede dabei weiter: „Du brauchst keine Angst vor uns zu haben, okay? Wir wollen dir nichts tun. Jetzt wird alles gut."
Ich höre ein Schnauben, als würde das Tier mich verstehen und nicht so viel davon halten, was ich hier erzähle. Es versteht mich tatsächlich. Für eine Sekunde habe ich das Gefühl, mit einem Menschen zu reden, der mich nicht ernst nimmt.

Als ich direkt am Gitter stehe, sehe ich, wie etwas aus dem sonnenbeschienenen Fleck in den Schatten huscht.

Mein Herz bleibt stehen.

Es waren Schuhe. Schwarze, zerschlissene Turnschuhe mit vergrauten Schnürsenkeln.

Ich schnappe nach Luft. Hat der Irre hier einen Menschen eingesperrt!? Der Typ braucht keinen Aufenthalt im Knast, der braucht eine Zwangsjacke. Ich muss sofort dem Polizisten Bescheid sagen!
Nein, zuerst muss ich die Person da rausholen!
Mein Kopf schwirrt. Was, wenn ich mir das nur eingebildet habe? Es ging so schnell, aber ich könnte schwören, dass es Turnschuhe gewesen sind.
„Hallo?", frage ich unsicher. Wenn mir jetzt jemand antwortet, drehe ich durch. Aber wenn nicht, bin ich schon durchgedreht. Also egal, was passiert, es wird nicht besser.

„Redest du mit dem Tier?", fragt die amüsierte Stimme des Polizisten hinter mir. Ich drehe mich um. „Ja", gestehe ich leise, „Ich... weiß nicht..." Er grinst. „Ist doch nicht schlimm. Ich rede auch mit meinem Hund", sagt er. Ich lächle unsicher. „Nein", sage ich, „ich meinte... Ich weiß nicht, ob es ein Tier ist." Er sieht mich perplex an. „Wie bitte!?"
Ich erzähle ihm von den Turnschuhen und er schweigt bestürzt.

Er fängt sich aber schneller als ich und sagt laut in den Raum: „Wenn Sie mich hören können, geben Sie mir bitte eine Antwort. Das ist wichtig." Wieder umfängt uns nur Stille. Langsam wird es mir peinlich. Ich hab es mir bestimmt doch nur eingebildet. „Dann hat mir meine Phantasie doch nur einen Streich gespielt", murmle ich, doch der Polizist starrt immer noch in das Dunkel.

Keine Minute später kommt ein weiterer Beamte und überreicht meinem netten Kumpel eine Taschenlampe. Dann ist er auch schon verschwunden und wir sind allein. Allein mit dem Tier/Mensch da hinter den Gitterstäben. Mir wird Angst und Bange. Ich schwöre, wenn da ein Mensch sitzt, falle ich jetzt und hier in Ohnmacht. Nein, denke ich immer wieder, beruhig dich, warum sollte ein Tierhändler einen Menschen einsperren? Da sitzt ein verängstigtes Tier.

„Ich mache jetzt das Licht an", sagt der Polizist hinter mir laut und deutlich. Ob er damit jetzt oder das Wesen im Käfig damit ansprechen will, ist mir momentan nicht ganz klar.
Es verstreichen zwei, drei, vier Sekunden...
...und plötzlich wird der Raum von dem elektrischen Licht einer Taschenlampe erhellt.

„Was zur Hölle-!?", höre ich den Polizisten hinter mir sagen.

Mir bietet sich ein unglaubliches Bild. Ich glaube, ich träume. In der Ecke des Raumes kauert tatsächlich ein Junge. Er dürfte nicht viel älter sein als ich, höchstens drei oder vier Jahre. Er hat schneeweißes Haar und seine Haut ist ganz blass, wahrscheinlich hat er seit Monaten keine Sonne mehr gesehen, außer durch sein klitzekleines Fensterchen. Er trägt von Kopf bis Fuß nur schwarz; sein dünner Kapuzenpullover ist schwarz, seine Hosen sind schwarz, seine Turnschuhe... es waren tatsächlich diese Turnschuhe, die ich gesehen habe. Ich flippe aus. Kein Wunder, dass ich ihn nicht sehen konnte, wenn er im Dunkeln sitzt und schwarze Klamotten anhat. Er kneift seine schmalen Lippen aufeinander und hat das Gesicht verzogen, da das Licht ihn blendet. Er schirmt mit einer Hand seine Augen ab, weshalb ich diese nicht sehen kann. Mit der anderen Hand hat er seine Knie umfasst. An seinem Hals hat er einen kleinen, aber auffälligen Fleck, ich tippe auf ein Muttermal, denn für einen Leberfleck ist es zu groß. Aber das ist keinesfalls das Besondere an dem Jungen.
Meine Hände umfassen die Gitterstangen und ich stelle mich so nah wie möglich daran, um mich zu vergewissern, dass das, was ich sehe, keine Fata Morgana oder ein Spiel des Sonnenlichts ist.
„Vorsicht!", mahnt mich der Polizist, doch ich spüre, dass von der Gestalt keine Gefahr ausgeht. Sie sieht eher genervt aus, dass wir ihre Ruhe stören.
„S-Sie sehen da-das d-doch auch!?"
Ich nicke nur. Ja. Der Junge hat zwei große, weiße Katzenohren auf dem Kopf und ein flauschiger, ebenso weißer Schwanz peitscht nervös unmittelbar neben ihm hin und her.

Meow! [Yoonmin/Sope]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt