Kapitel 1

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Hätte ich gewusst, was ich dir mit dem, was ich in den ganzen Jahren getan, gesagt und gemacht habe, antue, hätte ich mich für dich verändert. Ich hätte all das nie getan, damit du niemals an mir hättest zweifeln müssen. Aber wir beide stehen uns jetzt hier gegenüber und alles, was du mir sagst, ist die Wahrheit. Eine schmerzende Wahrheit und ich hoffe, dass ich dir noch das Gegenteil beweisen kann und darf –

Später Sommer 1988, das Jahr, wo für mich die Schule begonnen hat. Die Jahre zuvor behütet zu Hause oder in der Kindi verbracht. Freunde hatte ich damals schon nicht wirklich viele. Ich war damals schon introvertiert und schüchtern, wollte nicht viel mit den anderen zu tun haben. Zu Hause hatte ich dafür meine älteren Geschwister. Sylvia, die besuchte dort schon die dritte Klasse und unser großer Bruder Andreas kam nach den Sommerferien an die weiterführende Schule. Was damals das „Gymnasium" war, wusste ich zu den Zeitpunkt noch nicht und es interessierte mich eigentlich auch nicht. Meine beiden Eltern haben uns alle drei gut erzogen, waren immer für uns drei da und haben uns in dem unterstützt, was wir machen wollten. Andreas hatte früh schon mit dem Klavierspielen begonnen, Mama hatte es uns allen etwas beigebracht, aber er nahm danach noch Unterricht. Ich war noch zu jung und hatte andere Dinge im Kopf.

Am Morgen des ersten richtigen Schultages wollte ich gar nicht von zu Hause weg. Ich wollte liebe im Zimmer bleiben, was ich mir da noch mit meiner Schwester teilen musste. In vielen Momenten war es für uns beide kein Problem, aber manchmal war es auch eine Zumutung. Ich will mich nicht beschweren, ich hatte eine gute Kindheit, an die ich gerne zurückdenke. An meine Schulzeit, zumindest an den ersten Tag, kann ich mich auch genau erinnern, da meine Eltern dort noch verzweifelt waren, dass ich mit meiner Schwester endlich mal das Haus verlassen und zum Bus gehen würde.

Meine Mutter Hedi half mir wie immer dabei, dass ich meine Jacke richtig anziehe. Ich war schon immer zu unruhig für solche Sachen, meine Eltern versuchten es zumindest.
C: Muss ich wirklich gehen Mama?"
Sie lachte über meine Fragen, da die Antwort dazu eigentlich klar war. Natürlich musste ich gehen, ich konnte nicht zu Hause bleiben.
H: Ja Christian, du musst mit deiner Schwester jetzt zum Bus gehen. In deiner Klasse sind ganz viele andere Kinder, mit denen du dich anfreunden kannst."
Rückblickend weiß ich nicht, ob sie das damals wirklich geglaubt hatte. Dass ich mich mit vielen anderen Kindern anfreunden würde, oder ob das einfach ein so bedeutungsloser Satz von meiner Mama war. Ich werde es nie erfahren.
C: Und warum kann ich nicht mit Andreas gehen?"
W: Weil dein Bruder schon früher los musste, da sein Unterricht früher beginnt als deiner."
Mein Papa Werner hat meine Art immer mehr verstanden als meine Mama. Meine Mama ist keinesfalls eine schlechte Mutter gewesen, auch heute nicht. Aber sie hatte immer noch Hoffnung, dass ich vielleicht etwas offener werde, wie es Andreas war. Er hatte mehr Freunde...er hatte überhaupt Freunde.
C: Na gut..."
Meine Eltern versuchten zumindest, dass ich den ersten Tag nicht als komplette Katastrophe ansehe. Dass ich eventuell auch etwas Gutes daran sehen könnte und endlich mal von zu Hause raus komme und jemanden anderen in mein Leben lasse, damit ich nicht nur mit meinen Geschwistern etwas machte. Auch ihnen ging ich wohl sehr auf die Nerven.
Sy: Jetzt komm Christian. Ich will nicht zu spät sein, sonst kann ich nicht neben Susanne sitzen."

Die damals beste Freundin meiner Schwester. Ich ließ mich überreden, dass wir uns beide von Mama und Papa verabschieden und danach endlich mal zum Bus gehen. Ich war meinen Geschwistern nie unangenehm, aber sie hatten eben ihre Freunde, sodass ich im Bus erstmal alleine saß und die Fahrt einfach an mir vorbeiziehen ließ. Bei der Einschulung konnte ich mir merken, wo mein Klassenraum ist. Alle Erstklässler waren dort, alle ersten Klassen in einem Flur. Ich war damals in der 1a. Auf den Tischen standen Schilder, sodass ich mich nur an den Tisch mit dem Schild „Christian" setzen musste. Ich saß damals am Rand und der Junge, der hätte neben mir sitzen sollen, der war krank. Ich saß da also allein und versuchte nicht aufzufallen, aber eine andere Schülerin bemerkte mich. Sie lächelte mich an und winkte, als ich sie angeschaut hatte. Ich war zu schüchtern und schaute weg. Kurz darauf kam unsere Lehrerin in die Klasse. Frau Schlegel, meine Klassenlehrerin in der Grundschule.

In den ersten beiden Stunde sollten wir uns vorstellen, sodass wir uns gegenseitig kennenlernen würden. Ich sprach damals sehr leise, war zurückhaltend und ich konnte erkennen, dass das die anderen Jungs in der Klasse amüsant fanden. Einige kannten sich bereits, sodass ich das Gefühl hatte, der „Neue" zu sein.
Frau Schlegel: Diese Sitzordnung werden wir erstmal für zwei Wochen so behalten. Wenn ihr euch besser kennengelernt habt, könnt ihr auch neben euren neuen Freunden sitzen."
Damals war das für mich etwas, was ich nicht hören wollte. Ich wollte keinen kennen und mit mir wollte auch niemand sprechen oder spielen. Ich überlebte diese Vorstellstunde und versuchte nicht aufzufallen, während die anderen laut redeten, von ihrer Familie sprachen oder sagten, was sie als Hobby hatten. Mich faszinierte damals schon das Tischtennisspielen, aber ich konnte damit noch nicht im Verein anfangen...war zu klein.

Die erste Pause saß ich allein auf dem Rand des Sandkastens der Schule und schaute den anderen Kindern dabei zu, wie sie Fußball spielten. Ich hatte mich nicht dafür bereit erklärt, ich wollte nichts mit ihnen machen. Dass sie mich nicht leiden konnten, konnte ich dort schon sehen und spüren.
J: Hey."
Das Mädchen von vorhin, was mich in der Klasse angelächelt und mir zugewunken hatte, stand neben mir und schaute mich recht freundlich an. Die anderen aus der Klasse lachten, als sie das mitbekamen.
Hannes: Geh lieber zu den anderen Mädchen. Der ist doch einfach nur seltsam."
Natürlich hätte sie das machen müssen und ich dachte auch, dass das die einzige Reaktion ist, die hätte kommen müssen, aber sie setze sich neben mich und lächelte mich an.
J: Ich finde überhaupt nicht, dass du seltsam bist. Wie heißt du eigentlich nochmal?"
Das erste Mal am Tag musste ich lächeln. Die erste Person, die freiwillig mit mir redete.
C: Ich heiße Christian."
Sie lächelt und hielt mir ihre Hand hin, die ich annahm.
J: Ich heiße Julia. Wollen wir zusammen etwas spielen...

Meine beste FreundinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt