Kapitel 12

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Julia saß unter ihrer Decke, murmelte sich dort fest ein und schaute zu mir hin. Sie hatte mich damals überredet, dass wir etwas spielen könnten. Da ich nicht wollte, dass sie aufsteht oder unter ihrer Decke hervorkommt, ging ich an die Tafel, damit wir „Galgenmännchen" spielen könnten. Die Tafel musste ich erstmal auf meine Höhe bekommen, hängte mich kurz daran, sodass diese dann ganz nach unten fuhr. Julia fing in den Moment leicht an zu lachen, da das vermutlich lächerlich ausgesehen haben muss.

Zwischendurch schaute ich immer wieder zu Julia, damit ich sichergehen konnte, dass es ihr wirklich gut ging. Ich wollte nicht, dass es ihr plötzlich schlechter geht und ich bekomme es nicht mit. Ich suchte die Kreide, die lag auf den Lehrertisch und die nahm ich mir eben schnell. Damals musste ich einen Moment überlegen, hoffen, dass ich es nicht falsch schreibe und zog die ersten Linien an der Tafel.
C: Acht Buchstaben. Kannst anfangen."
Julia schaut auf die Tafel, überlegt einen Moment und schaut mich danach wieder an.
J: Ist ein „A" mit dabei?"
Ich überlegt einen Moment und nickte danach. Zwei Stück schrieb ich dazu und dort lachte Julia bereits.
C: Nicht lachen."
Damals konnte auch ich nicht ernst bleiben, musste ebenfalls anfangen zu lachen, auch wenn ich irgendwie noch versuchte, mein Lächeln zu unterdrücken. Ich schaute zu ihr nach hinten, aber dann fing sie wieder an zu lachen.
J: Wenn du dein Lachen versteckst, sieht das süß aus Christian!"
C: Ich bin nicht süß..."

Als ein achtjähriger Junge wollte ich nicht süß oder niedlich sein. Ich hatte es immer schon gehasst, wenn meine Mama das sagte. Ich hatte es schon schwer in der Schule, schwer bei den anderen Schülern und dann wollte ich nicht einfach süß oder niedlich sein. Julia meinte das damals schon und sagt das auch noch heute. Heute kann ich natürlich darüber stehen und weiß, dass sie das so sieht. Sie sagt es mir heute auch immer wieder, wenn ich versuche nicht zu Lachen oder zu Lächeln, dann bringe ich sie erst recht zum Lachen. Vielleicht finde auch ich es heute süß. Damals wollte ich es aber einfach nicht. Natürlich war ich nicht beleidigt über das, was sie sagte, musste ja auch lachen, aber das blieb zwischen uns.

Julia merkte auch, dass sie das nicht hätte sagen sollen und schaute mich daher ruhiger an.
J: Christian..."
C: Schon okay...denk nicht darüber nach...wollen wir weitermachen?"
Ich lenkte ab, sie nickte und sagte mir den nächsten Buchstaben. Ich hatte die Figur am Ende nicht fertig gezeichnet, da sie das Wort erraten hatte. Einfach „Baumhaus", ich musste es immerhin auch schreiben können. Ich ging ein paar Schritte weiter, schaute einen Moment zu Julia, die wieder etwas lachte.
J: An deiner Schrift solltest du noch Arbeiten Christian."
Bis heute habe ich keine gute Schrift und Julia zieht mich damit noch immer auf...und mein Bruder, weil er Skizzen nicht lesen kann. Er kann nicht zeichnen und ich nicht schreiben. Damals konnte ich auch darüber lachen, ging zur Tafel und wischte das wieder weg, damit die andere oder unsere Lehrerin nicht bemerken würde, was wir gemacht haben. Danach setze ich mich wieder zu Julia.

Julia lächelte mich an und ich wusste damals nicht, was ich damit anfangen sollte. Ihr Lächeln bringt mich heute auch immer wieder in Verlegenheit.
J: Danke, dass du mich etwas aufgemuntert hast und bei mir bist Christian."
Ich schaute zu ihr und musste lächeln. Sie freute sich, wenn ich bei ihr war, wenn ich heute bei ihr bin und das war und ist für mich eines der besten Gefühle. Ich war jemanden nicht egal und jemand war gerne in meiner Nähe.
C: Ich werde immer dein bester Freund bleiben Julia. Versprochen. Wenn etwas ist, dann sag es mir."
Wieder lächelte sie, nahm einen Moment ihre Decke runter, damit sie mich umarmen konnte. Sie war damals schon so klein und zerbrechlich, ich wollte ihr niemals etwas antun. In der Grundschule fiel sowas noch nicht auf. Erst in der weiterführenden Schule bekam sie damit Probleme.
J: Danke Christian."

Die Pause war noch nicht um, ich aß damals noch etwas, genauso wie Julia, wobei wir unsere Sachen immer schon teilten.
C: Wann hast du wieder Unterricht in Bünde Julia?"
J: Erst wieder nächste Woche. Meine Lehrerin war diese Woche krank, daher fiel der Unterricht aus."
C: Wollten wir uns dann wieder bei mir treffen?"
Sie lächelte und nickte sofort und deswegen musste ich auch wieder lächeln. Ich dachte in den Jahr nicht daran, dass es vielleicht die letzten Jahre mit ihr in einer Klasse sein könnten. Es war nicht klar, ob wir beide aufs Gymnasium gehen würden, oder nur einer. Ob wir an die gleiche Schule oder in die gleiche Klassen kommen könnten. Wir beide dachten nicht daran und ich glaube, dass wir daran auch nicht denken wollten. Wir beide wollten einander nicht verlieren und dafür hätten wir einiges getan.

Als ich gerade etwas trank, schaute Julia durch das Fenster nach draußen. Unser Klassenraum war neben der Straße, sodass wir nicht auf den Hof schauen konnten. Somit konnte aber auch keiner vom Hof zu uns schauen.
J: Bald sind wieder Ferien und Weihnachten. Meine Familie aus Bayern kommt dann wieder zu Besuch. Bekommt ihr Besuch?"
Sie schaute danach wieder zu mir. Julia war an den Tag ruhiger als sonst. Er hatte für sie schon anstrengend genug begonnen und ich konnte ihr ansehen, dass es ihr nicht ganz gut ging. Aber das wusste ich damals nicht.
C: Die Familie meiner Mutter kommt vorbei, aber die habe ich bisher noch nie gesehen. Die wohnen oben, bei Rostock...glaube ich...ich glaube Mama hatte Rostock gesagt."
J: Warum hast du die noch nie gesehen?"
C: Mama meinte, sie konnte nicht zu uns kommen. Sie konnten nicht einfach so nach Bünde fahren, ihren Ort verlassen...oder meinte sie das Bundesland?"

Ein Jahr zuvor war die Wende. Ein Jahr vorher fiel die Mauer, sodass wir keine Trennung mehr von DDR und BRD hatten. Ich habe das erst später gelernt und verstanden. Dass ich Mamas Familie bis dahin nicht kannte, konnte ich noch nicht nachvollziehen...

Meine beste FreundinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt