Kapitel 162

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Sicht Julia...

Über mein Leben in Südafrika in Kapstadt kann ich mich im Großen und Ganzen nicht beschweren. Es war zu Beginn eine Umstellung. Immerhin kannte ich hier keinen, musste mir erstmal ein Auto mieten und dann zur Stelle finden und das war eine Herausforderung für sich, die ich irgendwie meistern konnte.

Die Organisation stellt mir hier in der Stadt eine Wohnung. Irgendwie ziehen mich Dachgeschosswohnungen wohl an, da ich hier in der vierten Etage, aber mit Fahrstuhl, meine vorrübergehende Wohnung habe. Sie sieht beinahe so aus wie die zu Hause. Drei Zimmer, die sind allerdings etwas kleiner, Küche und Badezimmer, sowie einen kleinen Balkon. Ganz nett. Die neue Klinik entsteht in einen armen Vorort von Kapstadt. Jeden Morgen muss ich etwa zwanzig Minuten nach Langa rausfahren. Es fällt mir schwer die Vorstellung zu haben, dass Menschen hier aufwachsen können. Wenn ich am Abend immer wieder in meine Wohnung komme, weiß ich, was ich habe. Aber wir versuchen gerade, dass es ihnen ein kleines bisschen besser geht. Die Kollegen, mit denen ich hier arbeite, kommen alle aus andere Ländern und arbeiten hier mit uns oder sie leben hier in der Umgebung. Mit Englisch komme ich fast überall weiter, aber mit manchen muss ich zwangsmäßig Französisch reden. Nur am Anfang wurde etwas darüber gelacht, mittlerweile klappt es meistens. In solchen Momenten hätte ich mir gerne gewünscht, dass Chris mit hier ist. Immerhin kann er auch heute noch ganz gut französisch sprechen und könnte mir dort oft wohl weiterhelfen.

Natürlich vermisse ich ihn aber nicht nur dann, wenn mal wieder einen Kollege über meine Aussprache oder meinen nicht vorhandenen Wortschatz lachen muss, sondern vor allem abends, wenn ich allein in der Wohnung sitze. Meine Schichten gehen von 10 bis 18 Uhr, sollte nichts dazwischenkommen. Ich soll die neuen Ärzte nur anleiten und ausbilden und neben mir sind weitaus mehr Ärzte hier. Und dann sitze ich um 19 Uhr schon immer allein auf dem Sofa, esse etwas und streame eine Serie auf Netflix, da ich das Programm hier nicht schauen muss oder will. Jeden Abend bis 20 Uhr warten, bis dann sein Anruf kommt oder bis ich ihn endlich tätige. Es ist der Moment am Tag, auf den ich am meisten warte. Zwei Stunden, wo ich vergessen kann, dass uns gerade tausende Kilometer trennen, dass ich auf einem komplett anderen Kontinent bin, dass ich am Abend nicht wieder neben ihm liegen und in seinen Armen einschlafen kann. In der Zeit reden wir über das, was bei uns gerade ansteht. Was macht er in der Halle, was passiert hier bei mir. Dazu kommen dann all die Sachen, die wir für uns klären wollen und müssen. Alles hängt gerade mit dem Haus oder unserer freien Trauung zusammen.

Zumindest sprachen wir über solche Dinge zu Beginn, aber seit einiger Zeit benimmt er sich seltsam. Wie gesagt, er hatte zu Beginn mir immer alles gesagt, was er an den Tag erledigt und geschafft hatte. Wie es in der Halle gerade aussieht und was für Fortschritte unsere Pläne machen. Aber seit wenigen Wochen...er redet kaum mehr über sich. Was bei ihm los ist, wie es ihm geht, was er plant, was er macht. Er redet so abweisend mit mir, denn wenn ich ihn etwas frage, lenkt er gleich von sich ab, wechselt das Thema. Wenn ich dann versuche dort wieder Anschluss zu finden, dann tut er so, als wäre das alles nicht gewesen. Ich verstehe Chris in den Punkten gerade oftmals einfach nicht. Als ich zu Hause war, lief alles so perfekt für uns. Dann kam diese dämliche Nachricht, dass ich hier her muss und seitdem läuft alles immer wieder den Bach runter und verschlechtert das, was zwischen uns entstanden ist. Vielleicht bilde ich mir das alles auch nur ein...

In knapp einer Woche will er herkommen nach Südafrika. Dann bin ich auch bereits zwei Monate hier und allmählich vermisse ich mein zu Hause sehr. Meine Eltern, die gewohnte Umgebung, „mein" Krankenhaus, meine Kollegen...all das eben. Heute sitze ich aber noch in meinem Zimmer in der Klinik in Langa und schaue mir die letzten Unterlagen nochmal durch, damit auch das letzte Zimmer hier fertiggestellt werden kann. Ich weiß nicht, wie oft ich die Unterschrift schon falsch gesetzt habe, da ich jedes Mal noch mit „Doktor Julia Rose" unterschreibe. Neben mir liegt ein ganzes Stapel falscher Zettel. Auch habe ich zu Beginn nicht darauf reagiert, als mich jemand Doktor Reinelt gerufen hatte. Auf meinen Kittel steht mein Name, jetzt müsste nur ich selbst den auch noch können. Das ist aber erledigt, als eine Kollege reinkommt.
Sam: Good morning doctor Reinelt. How are you today?"
J: I'm fine. I've got these papers for you."
Sam: Thanks. I was searching for that. I think someone from Germany tried to contact you. Maybe you've got a Mail?"
J: I will check that. Thank you."
Er lächelt mich an und geht danach mit den Unterlagen aus meinem Zimmer. Danach checke ich meine Mails und er hat recht, Amy wollte mich erreichen. Ich rufe sie gleich zurück. Sie ersetzt gerade sehr oft meine Kraft und hatte eine Frage zu einem Patienten, den ich vorher schon mal in Behandlung hatte.

Als das erledigt ist, schweifen unsere Gespräche leicht ab. Eine der wenigen Kontakte nach Hause, der nicht einzig meine Familie ist.
Amy: Und? Wie geht es dir gerade als frisch verheiratete in einen komplett fremden Land."
J: Ja. Manche Tage so und mache wieder so. Aber sag mal, woher weißt du das jetzt wieder?"
Amy: Doktor Gadeken bekam recht zeitnah, nachdem du weg warst, eine Nachricht, dass du einen neuen Nachnamen hast und dass er deswegen das Schild austauschen muss. Außerdem mussten die Schwestern das auch wissen, falls jemand nach Doktor Rose fragt, ist das jetzt Doktor Reinelt und umgekehrt."
J: Ich vermisse ihn schon sehr. Auch wenn wir jeden Tag reden, es ist natürlich nicht das gleiche und...in letzter Zeit ist er so seltsam..."
Amy: Inwiefern denn seltsam Julia?"
Ich lasse mich in den Sitz fallen und schaue etwas aus den Fenster. Leider kein schöner Ausblick auf alte und kaputte Blechhäuser.
J: Er spricht kaum noch von sich und wenn ich das Thema mal darauf lenke, dann schweift er wieder ab. Er sagt nicht mehr, was er macht und das...ist einfach seltsam."
Schweigen auf der anderen Seite der Leitung. So schlecht ist der Empfang hier auch wieder nicht, teils besser als in Herford.
J: Amy...dir geht etwas durch den Kopf und ich will, dass du es mir sagst."
Amy: Sei mir bitte nicht böse...aber...hast du schonmal daran gedacht...dass er dich betrügt und deswegen nichts sagen kann."

So ein Unsinn. Auch wenn Chris nicht die Unschuld in Person ist, sowas würde er niemals machen, da es ihm selbst schon mal passiert ist. Da bin ich mir sicher...

Meine beste FreundinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt