Kapitel 2

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Julia war die erste, die freiwillig zu mir gekommen ist und mit mir sprach, mit mir etwas machen wollte. Zu den damaligen Zeitpunkt wusste ich irgendwie nicht so recht, was ich machen sollte und normal hätte ich vermutlich „nein" gesagt, aber sie war eben nicht wie die anderen. Die anderen, die mich von Anfang an ausgeschlossen hatten. Sie saß mir dort gegenüber und eigentlich hätte ich damals schon denken können, dass sie viel jünger sein müsste.

Julia war damals schon deutlich kleiner als ich. Ich war schon nicht sonderlich groß, wurde auch gerne von den Klassenkameraden meines Bruder, die ihn auch schon nicht leiden konnten, als „kleiner Zwerg" beschimpft. Ich war da sechs Jahre alt, wie groß hätte ich bitte sein sollen? Aber Julia war noch kleiner. Sie hatte damals noch Wasserstoff blonde Haare, die sie zu weit Zöpfen trug. Dazu hatte sie unfassbar hellblaue Augen, mit denen sie mich damals so erwartend anschaute, dass ich im Grunde nichts anderes sagen konnte, als dass ich gerne etwas mit ihr machen würde. Julia zeigte immer genau, was sie gerade fühlte und ihre Euphorie darüber konnte ich ihr auch damals schon ansehen. Jemand freut sich, dass er etwas mit mir machen darf? Das kam mir damals schon seltsam vor, aber sie war die einzige, die jemals etwas mit mir machte, vielleicht wäre das immer so gewesen.

Sie stand schon wieder vom Sandkastenrand auf, sie wollte von dort weggehen. Ich schaute zögernd zu ihr rauf, da ich nicht wusste, ob sie das komplett ehrlich meinte oder es einfach nur ein Scherz von ihr ist, damit sie mir dann etwas antun könnte.
J: Kommst du Christian?"
Okay, ich hatte keine andere Wahl, ich hatte schon zugesagt und stand daher auf. In den Moment schoss mir einer der Jungs den Ball in den Rücken, sodass ich erstmal auf den Boden gefallen bin. Danke. Ich konnte die Jungs ab den Zeitpunkt schon nicht leiden, sie mich ja scheinbar auch nicht. Ich war das aber einfach gewöhnt. Niemand wollte etwas mit Christian zu tun haben und daher wollte ich einfach nur wieder gehen, das vergessen. Es war okay, es gehörte eben zu meinem Leben dazu. Da haben sie aber nicht mit Julia gerechnet.
J: Sowas macht man nicht!"
Ich weiß heute nicht, ob es Glück war, oder ob sie das geplant hatte, aber sie schoss den Ball zurück und traf den Jungen an einer nicht so angenehmen Stelle. Danach nahm sie sofort meine Hand und lief mit mir weg. Weg von den Jungs und einfach an einen abgelegeneren Platz des Schulhofes.

Ich hatte damals nicht verstanden, warum sie sowas macht. Ich war das immer gewöhnt, dass man so eben mit mir umgeht. Vielleicht hatte sie mir auch erst gezeigt, dass ich sowas nicht mit mir tun lassen sollte.
C: Warum hast du das getan?"
J: Warum haben die das getan? Ich habe ihnen nur nachgemacht."
Irgendwie klang sie immer schon so unschuldig, auch wenn sie etwas angestellt hatte. Diese Art, ihre Eigenart, die brachte mich damals schon zum Lachen. Ich war froh, dass sie mir gezeigt hatte, dass ich nicht jeden komplett egal war und dass ich sowas definitiv nicht ertragen muss. Ich kann mich wehren...aber vielleicht nicht so, wie sie es getan hatte.
J: Du redest nicht viel, oder?"
Julia begann an einer Stelle auf einen der Bäume zu klettern. Natürlich damals nicht so hoch, das konnte sie gar nicht, aber ich schaute zu ihr rauf, da ich das nie getan habe oder getan hätte. Sie schaute mich währenddessen die ganze Zeit an, da ich einfach nur weiter schwieg.
J: Das macht aber nichts. Hauptsache, du bist nicht so langweilig wie die anderen Mädchen. Die sind auf den anderen Hof und spielen da irgendwas mit Pferden."

Irgendwo war auch Julia die Außenseiterin, die aber zumindest noch so tun konnte, als gehöre sie dazu. Sie war halt etwas anderes, hatte andere Interessen und das setze sie auch durch. Ich hatte mich damals schon gefragt, warum sie mich angesprochen hatte, da ich immerhin der seltsame und stille Junge aus der letzten Reihe war. Aber mir war es egal, da ich so zumindest eine Freundin gefunden hatte. Eine mehr, als ich erwartet hatte, als jeder wohl erwartet hätte.

Julia saß auf eine Ast, der etwas über meinen Kopf hing und schaute zu mir runter. Wir beide schauten uns an und sie fing dort wieder an zu lächeln.
J: Komm doch mit rauf Christian."
C: ...ich kann sowas nicht..."
Daraufhin fing sie an zu lachen. Neue Sachen auszuprobieren, fiel mir damals schwer. Ich wollte mich nicht vor anderen blamieren und ließ es dann lieber. Julia hing sich kurz darauf mit den Beinen an den Ast, sodass sie daran Kopfüber runterhängen konnte. Daraufhin waren wir wieder auf Augenhöhe und dieses Mal musste ich etwas lachen.
J: Versuch es doch einfach. Ich konnte das doch auch nicht von Anfang an. Ich helfe dir auch Christian."
Ich hatte nicht wirklich das Gefühl, dass ich eine andere Wahl hatte. Ich wusste, wo sie angefangen hatte und gehe auch dahin, hielt mich an den Ästen fest und versuchte nicht mit den Füßen abzurutschen.
J: Gleich hast du es geschafft Christian!"
Als ich beinahe bei ihr war, rutsche ich ab, aber sie griff nach meiner Hand und hielt mich zum Glück fest, sodass ich kurz darauf neben ihr saß. Für uns damals war das hoch, heute würde wir beide darüber wohl lachen.

Die erste Pause unserer Schullaufbahn saßen wir zusammen auf den Ast dieses Baumes und schauten über den Schulhof. Die Jungs spielten wieder Fußball, als wäre nichts gewesen. Die Schüler aus den anderen Klassen liefen über den Schulhof. Sprangen Seil, spielten Fangen oder waren im Sandkasten, auf dem Klettergerüst. Aber wir beide saßen still auf den Ast und schauten uns um.
J: Kommst du auch aus Bünde?"
Ich nickte nur still und schaute danach wieder zu ihr. Dass ich viel schweige, dass hatte sie damals nicht interessiert. Wir haben uns auch so verstanden.
J: Ich wohne mit meinen Eltern in Herford. Mama und Papa habe ich auch nur für mich, ich habe leider keine Geschwister."
C: ...ich habe zwei ältere Geschwister..."

Sie schaute mich an und fing wieder an zu lächeln. Jedes Mal, wenn ich etwas sagte, regierte sie so darauf. Sie machte mir den ersten Tag der Schule ertragbar, da ich zumindest eine Person gefunden hatte, die sich für mich interessierte und die wirklich etwas mit mir machen wollte. Ich hatte eine Freundin gefunden...

Meine beste FreundinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt