Kapitel 20

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Herbst 1992, die ersten Wochen auf dem Gymnasium waren vorbei, die Herbstferien lagen hinter uns und die ersten Klassenarbeiten haben wir geschrieben. Es kamen unfassbar viele Fächer damals hinzu. Neue Schüler, neue Lehrer, neuer Stundenplan und zu viele neue Fächer. Deutsch, Mathematik, Englisch, Sport, Geschichte, Erdkunde, Religion, Naturwissenschaften, Biologie, Musik, Kunst, Textiles Gestalten und Werken...in kommenden Jahren kamen noch ein paar Fächer hinzu.

Morgens musste ich mich jetzt selbst darum kümmern, dass ich pünktlich unten in der Küche saß. Meine Schwester ließ morgens immer das Licht im Zimmer an, so konnte ich nicht nochmal einschlafen. Während sie sich im Badezimmer fertig machte, suchte ich meine Klamotten, zog mich um und ging danach ins Bad. Ich war so zwar immer der Letzte, der unten an den Tisch kam, aber ich war da und wir könnten gemeinsam als Familie wieder frühstücken.

Ich in der fünften Klasse, meine Schwester Sylvia in der siebten Klasse und Andreas war jetzt schon in der neunten Klasse. Mittlerweile habe auch ich mitbekommen, was an der Schule und bei meinem Bruder los war. Christian Reinelt gehört natürlich zu Andreas Reinelt und ich war noch immer der kleine Zwerg, auch wenn ich nicht der kleinste in der Klasse war. Ich war mittlerweile sogar etwas größer als Julia...nur zwei Zentimeter, aber das hatte mir da gereicht. Ich versuchte sie zu ignorieren und einfach weiter in Ruhe die Schule zu bestehen. Erst Jahre später merkte ich auch, was noch kommen sollte und womit ich noch zusätzlich aufgezogen werden konnte.

Unsere Eltern saßen mit uns am Tisch, mein Vater musste sich langsam auf seine Arbeit vorbereiten. Mama arbeitete immer am Nachmittag etwas, damit wir zumindest morgens noch zusammen hier sein würden.
H: Bis wann habt ihr heute Schule?"
Mama schaute uns drei an. Andreas trank gerade etwas, ich aß noch, nur Sylvia war bereits fertig.
Sy: Ich habe heute bis 14 Uhr Unterricht."
C: Ich nur bis 13 Uhr."
Beide schauten zu Andreas, der wieder etwas trank und danach sich nochmal räusperte, bevor er wirklich antworten konnte.
A: Ich habe bis 15.30 Uhr noch Unterricht..."
Andreas klang damals extrem heiser...er klang jeden Morgen so, eigentlich schon seit Wochen...Andreas war damals einfach im Stimmbruch. Dass das auf mich auch noch zukommen sollte, daran wollte ich da nicht denken und auch heute will ich daran nicht mehr zurückdenken...schwierige Zeit in der Schule.

Natürlich machte sich zu Hause keiner darüber lustig, es gehörte eben dazu. Unsere Eltern passten noch auf, dass wir unseren Bus bekommen. Wir nahmen uns immer etwas zum Essen noch mit in die Schule, das packte wir nach dem Frühstück noch ein und dann zogen wir uns auch an. Mama und Papa verabschiedeten uns immer, warteten, bis wir aus dem Haus waren und machten sich danach selbst fertig für den Tag oder die Arbeit. Bei der Haltestelle sprach Sylvia immer mit ihren Freundinnen, Andreas mit seinen Freunden. Ich stand allein dort, wartete und bekam damals immer mit, dass beide meiner Geschwister immer wieder zu mir schauten. Sie wollten nicht, dass mir etwas passiert oder angetan wird. Geschwisterliebe...

Der Bus kam, wir stiegen alle ein und ich saß wie immer allein am Fenster und schaute raus auf die Straße. Man ließ mich hier immer allein, da alle wussten, dass wir zu dritt, als Familie und drei Geschwister, hier im Bus saßen. In der Schule überlebte ich das, was sie sagten oder machten. Es war nicht so schlimm, wie ich es dachte oder mir hätte denken können. 1992 – Nintendo hatte in den Jahr die SNES veröffentlicht, Freddy Mercury war ein Jahr zuvor verstorben, The Kelly Family kam allmählich in Deutschland auf, wurde größer. An andere Dinge, die in den 90ern modern oder normal waren, möchte ich jetzt nicht weiter reden oder weiter daran denken.

Immer, wenn der Bus bei der Schule hielt, wartete ich wieder, dass die anderen zuerst ausgestiegen sind, damit ich in Ruhe den Bus verlassen konnte. In der Zeit schaute ich immer raus und oft konnte ich dort auch schon Julia sehen. Ich lächelte, wenn ich sie sah und verließ dann schnell den Bus, damit ich zu ihr laufen konnte.
C: Julia!"
Ich lief zu ihr, sie nahm mich damals sofort in Arm. In den Ferien konnten wir uns seltener sehen. Sie fuhr mit ihrer Familie in den Urlaub und auch bei uns kam natürlich Familie vorbei. Es waren damals nur zwei Wochen, aber das kam uns schon lange vor.
J: Du weißt nicht, wie sehr ich dich vermisst habe Chris."
Sie hatte in den fünften Klassen angefangen mich „Chris" zu nennen. Warum das keiner bis dahin tat, weiß ich heute auch nicht mehr. Heute hasse ich es, wenn mich jemand bei vollen Namen ruft.
C: In der Pause müssen wir in die Pausenhalle gehen, dann kann ich dir sagen, was ich in den Ferien gemacht habe. Und du musst mal sagen, was bei deiner Familie so los ist."
J: Sehr gerne Chris, sehr gerne."

Wir lächelten uns an, sie zeigte mir damals, dass ich mitgehen soll und dann machten wir uns auch auf den Weg zum Klassenraum.
J: Hast du dich ums Referat gekümmert?"
C: Ich habe die Grundinformationen schon zusammengefasst, sodass wir das heute an Herrn Heyne abgeben können."
J: Perfekt. Ich habe auch schon angefangen mit den Text, den wir einfließen lassen müssen. Ich habe mir ein paar Notizen dazu gemacht. Wir müssen uns in den kommenden Tagen mal treffen und alles zusammenfügen."
Ich nickte und kurz darauf kamen wir auch bei der Klasse an. Wir saßen damals in der mittleren Reihe nebeneinander. Wir stellten unsere Sachen ab und setzten uns auf unsere Plätze. Der Lehrer war noch nicht da.
Hannes: Ach, Christian und Julia sind auch wieder da."
Leider war damals Hannes mit in unserer Klasse. Ich habe ihn gehasst, Julia hat ihn gehasst und er hat uns beide gehasst.
J: Setz dich hin und lass uns in Ruhe Hannes."

Er schaute und genervt an, schmiss seine Sachen auf seinen Platz und setzte sich dann zum Glück hin. Lag aber wohl nur daran, weil Herr Heyne in den Moment in die Klasse kam und Hannes wollte keine Probleme haben...

Meine beste FreundinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt