Kapitel 62

58 5 1
                                    

Ich stand unten vor der Scheibe und schaute mich eine lange Zeit schweigend an. Ich war 36 Jahre alt und stand vor dem Büro meines jahrelangen besten Freundes, der mich indirekt verletzt hatte. Er wusste nicht, dass ich das Gespräch verfolgt hatte. Er wusste nicht, dass ich seinen Kommentar und seine Lache zu mir gehört hatte. Er wusste das alles nicht und auch ich hätte es am liebsten nicht gehört.

Meinen Kopf ließ ich langsam hängen und schaute eine Zeit zum Boden. An meinen Schultern hingen damals meine beiden Zöpfe, die ich an den Tag trug. Einen Moment strich ich darüber, ließ die aber wieder fallen. So schlecht, so wertlos und so abstoßend, wie in diesen Moment, hatte ich mich zuvor noch nie gefühlt. Warum musste ich mich auch in diesen einen verdammten Mann verlieben? Warum genau in den, der mich niemals lieben könnte? Der mich niemals attraktiv finden könnte? Für den ich ein niemand war...ich war einfach nur seine beste Freundin, aber niemals im Leben mehr.

Von oben hörte ich die Schritte von Chris, schaute daher wieder auf, versuchte mich einen Moment zu fassen und richtete meinen Blick wieder zur Treppe. Er kam damals lächelnd zu mir nach unten. Ich zwang mir ein Lächeln auf und versuchte zumindest, dass er das nicht mitbekommen würde. Es war aber Chris, mein bester Freund, daher schaute er mich auch schon etwas misstrauisch an.
C: Alles gut bei dir Maus?"
Ich nickte, aber er kam damals trotzdem zu mir. Meinen Blick wollte ich von ihm wegrichten, aber Chris legte eine Hand unter meinen Kopf, sodass ich ihn zwangsmäßig wieder anschauen musste. Wie konnten wir uns immer schon so nahe sein, aber dennoch so weit voneinander entfernt sein?
C: Was ist los bei dir Julia?"
Chris hatte immer schon eine beruhigende Stimme und wusste irgendwo auch immer genau, was er sagen sollte. Ich in den Moment nicht, ich musste mich wieder rausreden.
J: Ich kann morgen nicht mit nach Düsseldorf kommen...ich habe in drei Tagen noch einen Termin um Krankenhaus und kann daher nicht gehen."
Ihn betrübte das damals auch etwas, aber er nickte nur, versuchte zu lächeln.
C: Das ist doch okay Maus...du musst dort einem Menschen wieder helfen. Du kommst nach."
J: Auf jeden Fall! Niemals würde ich das verpassen wollen."
Chris lächelte danach wieder zufrieden, brachte mich dann auch wieder dazu und das, was war, war vergessen für einen Moment.

Damals reichte er mir eine Hand, schaute mich an. Leicht verlegen nahm ich diese damals an und zusammen verließen wir dann die Halle, die Büros. Wir gingen an den Abend etwas trinken und da konnten wir zum Glück zu Fuß und mit dem Bus hingehen. Normal war ich nie die Person, die viel Alkohol trank, aber an den Abend schon. Chris passte etwas auf, da er am kommenden Tag ja schon los müsste. Aber am Ende des Abends waren wir beide leicht betrunken und das war damals ein Fehler, den ich dort noch nicht wissen konnte.

Es war fast zwei am Morgen und wir beide wurden dazu langsam müde. Chris trank sein letztes Glas aus und stellte es auf den Tisch.
C: Wir sollten auch gleich gehen. Ich gehe eben nochmal auf Toilette und dann gehen wir Maus, oder?"
Ich nickte nur still. Bei ihm konnte ich damals hören, dass er betrunken war. Chris war dann niemals ein unangenehmer Mann. In meinen Augen war er immer schon sehr liebenswürdig und dass auch, wenn er etwas zu viel getrunken hatte.
C: Warte hier auf mich."
Er ging ins Badezimmer, aber mir wurde es in der Bar zu viel. Es war warm, viele Menschen standen hier rum, und mit genügend Alkohol kommen alte Gespräche und Gedanken auch wieder auf. Daher verließ ich meinen Platz und ging vor die Tür, auf die Straße und wartete da auf Chris.

Es war Juni und das Wetter auch ganz okay. Wirklich warm zwar nicht, aber immerhin musste ich damals nicht frieren. Ich stand vor der Bar und wartete. Ob wir uns ein Taxi rufen wollten, konnte ich da nicht sagen. Ich hatte mein Handy mit und schaute da einen Moment hin, bis mir ein anderer Mann seine Hand an meine Hüfte legte.
J: Lassen Sie das!"
Ich ging ein paar Schritte von ihm weg, aber die Blicke von diesem Mann sagten schon alles. Als er gerade zu mir kommen wollte, wurde er allerdings von Chris an der Schulter gepackt und zurückgezogen. Chris war damals größer als er. Er war nie der größte, aber der andere Mann war klein.
C: Fass sie niemals im Leben an, verstanden?!"
Der Mann nickte nur hektisch, Chris ließ ihn los und ohne, dass er mich nochmal anschaute, verließ er auch sofort den Ort.
C: Alles gut bei dir?"
Kann er bitte aufhören so süß zu sein? So beschützend? So liebenswürdig? Eben so typisch Chris?
J: Alles gut Chris, danke dir."
Er nahm mich damals trotzdem einen Moment in den Arm. Auch wenn er leicht nach Alkohol roch, es war alles so typisch Chris. Aber diesen Gedanken wollte ich mir einfach verbieten. Sowas sollte und durfte ich nicht denken...

Wir riefen uns ein Taxi. Die Fahrt über hielt Chris die ganze Zeit meine Hand und ich hatte auch das Gefühl, dass er den Fahrer sehr im Auge behielt. Er wollte nicht, dass dieser mich anschaut oder auf dumme Gedanken kommen könnte. Als erstes fuhren wir auch nach Herford, zu mir nach Hause. Ich hätte ihn angeboten, dass er bei mir bleiben könnte, aber er musste am kommenden Tag ja arbeiten.
J: Pass auf dich auf in Düsseldorf."
Er lächelte verlegen und schaute kurz auf unsere Hände, bevor er mir wieder in die Augen schaute.
C: Ich freue mich, wenn du nachkommen wirst Maus."
Damals ließ er meine Hand einen Moment los, damit er etwas aus seiner Tasche holen konnte. Das legte er mir kurz darauf auch in die Hand, worauf ich dann schaute.
C: Ein Pass für unsere Shows. Jetzt fürs Stadion, aber auch für alles zukünftige."
Wir hielten schon vor meiner Wohnung, als ich lächelnd auf den Pass schaute. Als ich meinen Blick zu Chris richtete, sah ich sein verlegenes Lächeln und lachte daher etwas.
J: Danke Chris...ich freue mich drauf...bis bald."
Ich gab ihm damals noch einen Kuss auf seine Wange und stieg danach aus.

Das Taxi fuhr, als ich in den Wohnblock ging. Den Pass hielt in die ganze Zeit fest in der Hand und ging damit die Treppe rauf. Bei meiner Wohnung schloss ich die Tür auf, ließ die hinter mir wieder zufallen und zog meine Schuhe aus. Übermüdet und betrunken ging ich damals mit dem Pass ins Badezimmer. Auf der Rückseite stand noch mein Name und warum ich da sein durfte.

„Doktor Julia Rose – Begleitung von Chris Ehrlich"

Die Begleitung meines besten Freundes, der mir mit einen einfachen Satz heute den Tag zerstört und mit dieser kleinen Geste den Tag auch gleich gerettet hatte. Den Pass legte ich auf die Armatur neben meiner Tasche für Haare, Nägel und Make-Up. Meinen Blick ließ ich in den Spiegel schweifen. Ich sah selbst meinen leeren Blick. Meinen kritischen Blick mir selbst gegenüber.
J: Du bist noch das gleiche kleine Mädchen von damals...was sollte er jemals an dir finden Julia Rose...hoffnungslos..."
Ich hasste mich selbst. Wenn die Person, die ich liebe, mich hasst, wie sollte ich mich lieben können? Das, was mich ausmachte, widerte mich an. Während ich die ganze Zeit in den Spiegel starrte, griff ich zur Tasche und nach einer Schere. Den Blick ließ ich nie abschweifen. Ich starrte mich an, während ich nach einen meiner Zöpfe griff, die Schere ansetzte und immer wieder an die Worte von Chris dachte. An seine Lache.

C: Was?! Schau sie dir mal an Bruder.

Mir liefen Tränen das Gesicht runter...

Meine beste FreundinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt