Kapitel 153

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Schweigen. Bedrückende Stille. Nichts außer ihr Schluchzen und meine versuchten ruhigen Worte, die aber immer wieder auch verstummen. Julia liegt in meinen Armen, während ich auf dem Sofa sitze, zu ihr schaue, aber meinen Blick auch immer wieder ins leere wandern lasse und einfach in die Dunkelheit starre.

Alles war perfekt. Zwischen uns lief alles. Ihre und meine Arbeit machte keine Probleme mehr. Wir hatten uns nach all den Jahren endlich doch gefunden. Sie hatte zugestimmt, dass sie mich heiraten will. Wir wollten uns dieses Jahr noch das Ja-Wort geben. Der Vertrag für unser Haus liegt bei unseren Makler in Bielefeld. Wir haben uns die ersten Angebote eingeholt. Wir haben die ersten Pläne für die ganzen Räume geschmiedet und aufgezeichnet. Unsere Familien wussten von all unseren nächsten Schritten bescheid und wollten und unterstützen. Der Plan war perfekt. Das Haus war perfekt. Die Zeit war perfekt. Die Verlobung war perfekt. Alles war perfekt. Es war aber eben zu perfekt, um wahr zu sein oder länger anzuhalten.

Julia bringt mich irgendwann dazu, dass ich meine Arme von ihr löse, weil sie aufstehen will. Sie geht schweigend ins Badezimmer, damit sie sich ihr Gesicht einen Moment waschen kann und kommt dann wieder zurück, bleibt allerdings im Raum stehen, meidet meine Blicke.
C: Julia..."
Ich versuche ihr einen Ort der Sicherheit zu geben, dass sie auf mich bauen kann, aber zugleich merke auch ich, dass ich gegen meine Gefühle ankämpfen muss.
C: Was ist bitte passiert? Warum...musst du das machen?"
J: Weil diese Idiot Professor Claasen darauf besteht. Dieser verfluchte Mistkerl..."
C: Du musst es aber doch nicht annehmen. Wir würden Lösungen finden."
J: Der Typ ist mein übergeordneter Vorgesetzter. Da kann selbst Doktor Gadeken nichts machen und wir beide haben gegen diesen Befehl protestiert. Ich weiß nicht, was der gegen mich hat..."
C: Was habt ihr da vorhin besprochen Julia? Kannst du es mir bitte sagen damit...ich will dir helfen, uns helfen, aber ich verstehe das alles nicht..."
Julia schaut mich einen winzigen Moment an, bevor sie tief durchatmet und nach draußen in die Nacht starrt.
J: Ich war in meinem Zimmer, als mich Professor Claasen und Doktor Gadeken abgeholt haben. Ich habe dort den Blick von Gadeken schon nicht leiden können. Er muss es gewusst haben, der Professor musste es ihm vorher schon gesagt haben..."

Zwei Stunden zuvor

Ich gehe mit Frederic und dem Professor die Gänge runter. Mein iPad drücke ich gegen meinen Körper, da mir der besorgte und bedrückte Blick von Frederic überhaupt nicht gefällt. Kann er damit aufhören? Was passiert hier bitte? Heute Mittag war alles noch perfekt, könnte es dabei nicht auch einfach bleiben.
Professor Claasen: Nehmen Sie sich einen Platz Doktor Rose."
Die anderen Chefärzte sind noch nicht da. Es wundert mich in den Moment, aber ich lasse mich nicht verunsichern, nehme Platz gegenüber des Professors und zur Seite von Doktor Gadeken. Mein iPad lege ich auf den Tisch.
Professor Claasen: Bevor ich zu meinen Anliegen komme, sollte ich Ihnen wohl noch alles Gute wünschen Frau Doktor Rose. Sie sind verlobt?"
Ich lächle nur ganz zurückhaltend und nicke leicht.
Professor Claasen: Was für ein unpassender Zeitpunkt."
J: Ja, wir hatten das...was?"
Zuerst habe ich nicht mitbekommen, was er gesagt hat. Schlechter Zeitpunkt?
J: Warum handelt es sich um einen Schlechten Zeitpunkt Professor?"
Professor Claasen: Das Klinikum in Herford und die Vereinigung „Ärzte ohne Grenzen" haben im vergangen Jahr sich für ein neues Krankenhaus in einen armen Stadtteil in Südafrika eingesetzt, sodass das diesen Sommer eröffnen kann. Dabei sind einige Ärzte in Ausbildung, aber wir brauchen Fachkräfte, vor allem einen Chirurgen. Da Sie eine vorzeigewürdige Karriere haben, habe ich mich für Sie entschieden."

Ich weiß nicht, wie ich den Professor in den Moment anschaue, aber ja, das ist alles nur kein guter Zeitpunkt.
J: Ein solches Projekt dauert aber eine lange Zeit. Ich war bisher immer nur wenige Wochen dort untergebracht.
Professor Claasen: Dieses Mal dachten wir an etwa sechs Monate. Vielleicht auch einen Monat länger, sollte es Komplikationen geben."
Ein verdammtes halbes Jahr soll ich von hier weggehen!
Professor Claasen: Den Flug haben wir für in zwei Wochen angesetzt. Unterlagen, Genehmigungen und all so Zeug haben wir schon vorliegen und ich habe das bereits heute Doktor Gadeken übergeben."
J: Wusstest du davon?"
Frederic: Ich schwöre es dir Julia, ich wusste bis vor dreißig Minuten auch nichts davon."
Professor Claasen: Nein, der Doktor wusste auch nichts davon. Ich dachte, Sie würden etwas mehr Begeisterung an den Tag legen, wenn ich Ihnen diese Nachricht bringe."
J: Schön, aber ich kann nicht. Ich habe hier gerade andere Pläne und andere Dinge zu erledigen, sodass Sie sich einen anderen suchen müssen."

Dann hält er meinen Vertrag hoch, den ich Mitte der 2000er das erste Mal unterzeichnet hatte, was sowohl zur Klinik als auch zur Vereinigung zählt.
Professor Claasen: Sie haben sich damals dazu bereiterklärt. Sie haben unterschrieben, dass sie zu Auslandseinsätzen bereit sind, die Dauer dessen entscheidet der Verein. Sollten sie es nicht machen...was wäre dann nochmal Herr Doktor Gadeken?"
Ich sehe den Hass in den Augen von Frederic, als Claasen ihn darauf anspricht. Einen wütenden Blick wirft er ihm noch zu, bevor er zu mir schaut.
Frederic: Ausschluss aus der Vereinigung, des Ärtztebundes und Aberkennung des zeitigen Status der Klinik."
J: Sie würden mir dadurch meine gesamte Existenz nehmen. Mein verdammtes Studium und die Weiterbildungen wären egal."
Professor Claasen: Und falls Sie sich erinnern...Ihre Doktorarbeit hing ebenfalls mit der Vereinigung in den dortigen Forschungen zusammen."
J: Sie können mir nicht meinen Titel absprechen."
Ich hasse sein siegreiches Lächeln, da er weiß, dass meine gesamtes Leben von dem hier abhängt und dass dann die letzten 20 Jahre umsonst gewesen wären.
Professor Claasen: Dann sind wir uns also einig. In zwei Wochen geht der Flieger morgens um sieben aus Hannover. Genaueres schicke ich Ihnen aber nochmal zu."
Ich stehe einfach auf, lasse den Stuhl zu Boden fallen, greife noch nach meinem iPad und laufe aus der Besprechung raus.
Frederic: Julia! Bitte warte!"

Jetzt

Julia greift verkrampft nach ihren eigenen Arm und kneift ihre Augen zusammen, damit sie sich selbst wohl wieder von Weinen abhalten würde.
J: Ich habe gar keine Wahl Chris...der Professor würde sonst mein Leben ruinieren, auch wenn er es jetzt gerade auch schon tut...warum sind Menschen nur so..."
Ich bin still, denn darauf habe ich keine Antwort mehr. Wie ein Mensch derartig böse sein kann, obwohl Julia ihm gar nichts getan hat, verstehe auch ich nicht. Ich weiß nicht, warum gerade sie sein Opfer geworden ist. Ich weiß, dass sie eine der jüngsten Chefärzte ist, dass sie deswegen schon gewisse Voraussetzungen mit sich bringt, aber trotzdem hätte er jeden anderen nehmen können. Warum genau sie? Warum muss ihr, warum muss uns, das gerade passieren, wobei vorhin noch alles perfekt war?
J: Zwei verdammte Wochen...dann muss ich gehen...es tut mir so leid..."
C: Du kannst rein gar nichts dafür Julia."
Ich stehe nun von meinem Platz auf und gehe auf sie zu, bleibe aber noch etwas vor ihr stehen, schaue zu ihr runter.
C: Du musst dich für nichts entschuldigen. Dieser Professor hat irgendwelche Probleme mit sich oder mit dir, die keiner verstehen kann. Er will dir das Leben schwer machen, aber wie du jetzt darauf reagierst, ist das, was wirklich passiert. Es ist eine lange Zeit, ja...aber es ändert nichts daran, dass wir einander haben und dass ich dich noch immer lieben werde. Wir werden auch diese Zeit überstehen. Ich verspreche es dir."
Ich sehe endlich wieder ein schwaches Lächeln auf ihren Lippen, bevor sie leicht nickt.
J: Ein halbes Jahr...sechs Monate werde ich von hier weg sein...wir schaffen das..."

Ich weiß, dass wir das schaffen. Ich weiß, dass das eine schwere Zeit wird, aber mit ihr als meine Verlobte...
C: Lass uns vorher heiraten."
J: Was?"
Sie lässt ihre Arme wieder los du schaut mich mehr als verwirrt an. Julia wird verstanden haben, was ich gesagt habe, aber vermutlich ist das alles gerade viel zu viel für sie. Jetzt gehe ich den letzten Schritt auf sie zu, greife nach ihren Händen und knie mich vor ihr hin.
C: Ich weiß...das hätte ich wohl tun sollen, als ich dich vor einiger Zeit gefragt habe..."
Sie muss lachen und allein dafür hat es sich jetzt schon gelohnt.
C: Ich weiß, dass es nur zwei Wochen sind, aber ich will dich vorher noch zu meiner Frau nehmen. Nur standesamtlich, was sowieso nichts großes sein sollte. Nur wir und unsere Familie...ich will aber, dass du als meine Ehefrau nach Afrika gehst. Dass ich sagen kann, meine Frau ist dort und leistet unglaubliches. Ich will, dass du als Frau Doktor Julia Reinelt dort anwesend bist und unter den Namen die Menschen behandelst...bitte Julia...heirate mich, bevor wir uns dieses Jahr nicht mehr sehen werden..."
Ihr Blick sagt wie jedes Mal „Ich muss betrunken sein, dass ich das jetzt sage" und bringt mich wieder zum Lachen, sie aber auch. Und als sich unsere Blicke wieder treffen, sehe auch ich sie endlich wieder ehrlich lächeln und lachen.
J: Lass uns vorher heiraten Chris...

Meine beste FreundinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt