Kapitel 57

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Chris drückte mich damals an sich ran. Er hatte seine Arme eng um mich gelegt und es schien mir so, als wollte er mich nicht wieder loslassen. Ich hörte dadurch seinen Herzschlag, der etwas schneller als üblich war und seine Atmung, die durch sein Weinen unterbrochen wurde. Ich hörte seine verkrampften Töne, die er beinahe stumm von sich gab und die ich nur mitbekam, da er mich an seinen Körper drückte.

Nach einiger Zeit lockerte er damals zögernd seinen Griff von mir, sodass ich mich etwas von ihn lösen konnte. Seinen Kopf ließ er damals hängen und ich schaute zu ihm rauf. Meine beiden Arme nahm ich von seinen Rücken weg und legte meine Hände an seinen Kopf. Auch wenn er seinen Blick zu mir richtete, bei der Sache war er überhaupt nicht. Das, was ich ihnen eben sagen musste, das hatte er zwar irgendwie begriffen, aber wahrhaben wollte er es auf keinen Fall. Keiner wollte es wahrhaben. Auch ich hätte mir zu diesen Zeitpunkt gewünscht, dass es ein Traum war und dass alles wieder gut wird. Aber das wurde es nicht.

Chris ließ seinen Kopf wieder hängen, da er nicht wollte, dass ich ihn so sehen musste. Eine Hand legte ich damals noch gegen seine Brust und die andere wieder an seinen Kopf. Ich machte mir auch Sorgen, dass mit ihm noch etwas passiert.
Jan: Frau Doktor Rose."
Ich schaute zu Jan nach hinten, er brauchte meine Unterlagen und musste wissen, was er tun sollte. Ich schaute nochmal zu Chris, wischte ihn eine Träne weg und ging danach zu Jan hin.
J: Ich habe alles ausgefüllt, klemmt am Bett vom Patienten. Kann die Familie noch zu ihm hin?"
Jan: Wir werden ihn gleich verlegen, aber die Familie kann noch hingehen. Morgen auch genauso noch."
J: Danke."
Jan ging danach in das Zimmer, aus dem Hedi in den Moment auch wieder kam. Chris stand hilflos im Gang und ich schaute zu ihm hin.
J: Ist er irgendwo mitgefahren oder ist er selbst mit dem Auto hier?"
A: Ich hatte ihn mittgenommen..."

Andreas saß noch auf seinen Platz und schaute zu mir auf. Er konnte sich für den Moment kurz fassen. Chris unterlag sehr oft seinen Gefühlen, war allgemein immer sehr emotional und konnte diese nie verstecken.
A: Wir waren noch arbeiten, als Mama angerufen hatte. Sylvia ist einzeln hergekommen."
J: Wenn ihr wollt, dann könnt ihr noch zu ihm oder ihr könnt fahren."
Wieder schaute ich zu Chris nach hinten. In den Moment kam Hedi zu mir, legte eine Hand auf meine Schulter und wischte sich ihre Tränen kurz weg.
H: Er braucht gerade jemanden Julia..."
J: Ich werde für ihn da sein Hedi, das verspreche ich dir. Ich lasse Chris in dieser Zeit nicht allein. Versprochen."
H: Danke..."
Die fünf gingen einen Moment in das Zimmer von Werner und ich ging wieder auf Chris zu.

Er schaute mich damals keinen Moment an, versuchte seine Tränen zu unterdrücken, nicht mehr zu weinen.
J: Chris..."
Er seufzte, wo ich hören konnte, dass seine Stimme noch immer zitterte und dass er überhaupt nicht wieder gefasster ist.
J: Willst du auch nochmal zu deinen Papa gehen?"
Chris schaute schweigend und ohne ein Wort zur Tür. Er hatte damals Angst.
J: Willst du heute Abend mit zu mir kommen Chris? Ich will dich nicht allein lassen..."
Er nickte damals nur, wendete seinen Blick aber nicht einen Moment von der Tür ab. Ich wartete auf seine Reaktion, ob er nochmal reingehen will, aber die Reaktion kam nicht. Als ich gerade eine Hand an seinen Arm legen wollte, griff er plötzlich nach meiner Hand und schaute zu mir.
C: ...komm bitte mit..."
Er sprach so leise zu mir, dass ich Mühe hatte, ihn zu verstehen. Auch wenn ich nicht verstehen konnte, warum ich mit sollte, ich stimmte zu. Chris wäre nie allein gegangen, daher ging in die ersten Schritte zur Tür und griff nach der Klinke. Die Tür, die ich vor einigen Minuten noch aufgerissen hatte. Die Tür zu einem Raum, der jetzt komplett still ist.

Seine Familie wollte sich wieder auf den Weg machen. Sie hatten sich in den letzten Tagen verabschiedet und diesen Anblick konnte sie nicht lange aushalten. Es waren nur kurze Blicke, die wir austauschten, aber sie gingen, als wir den Raum betraten.
C: Musste er leiden..."
Chris fragte immer schon viel. In der Zeit, wo sein Vater bereits die Diagnose hatte, fragte er mich immer wieder etwas. Spezialist war ich nicht, aber natürlich hatte ich eine Ahnung davon.
J: Der Krebs hatte vieles in seinem Körper angegriffen, er musste kämpfen...aber zu seinem Tod...er ist eingeschlafen Chris...seine Kräfte haben ihn verlassen. Da hat er nicht gelitten."
Er schluckte, ließ meine Hand kurz los und ging danach zu dem Bett, wo er sich einen Moment setzte.
C: Warum Papa..."
Chris schaute auf die Hand seines Vaters, die seine Mutter eben noch gehalten hatte. Auch wenn er seinen Kopf nochmal hängen ließ, schaute er danach zu mir nach hinten. Er wischte sich nochmal über seine Augen, ließ seinen Blick auf mir liegen.
C: Warum..."

Ich wollte zuerst stehenbleiben an den Ort, wo ich die ganze Zeit stand, aber ich ging dann doch zu ihm. Er schaute danach wieder zu seinem Vater und ich stellte mich neben ihn, legte eine Hand auf seine Schulter und wendete meinen Blick auch zu Werner.
J: Es gibt keine Antwort auf die Frage „Warum" Chris...Es gibt keinen logischen Grund, keine Folge, keinen Auslöser...es gibt leider keine Antwort auf die Frage „Warum" Chris...so gerne ich sie dir auch geben würde..."
Chris senkte wieder seinen Kopf und als ich meine Hand von seiner Schulter nehmen wollte, griff er nur wieder danach, sodass ich sie nicht wegnehmen konnte.
C: Ich weiß...tut mir leid..."
J: Dir muss nichts leidtun Chris..."
Ich stand neben ihm, schaute zu ihm hin oder zu Werner. Chris gab mir irgendwann das Zeichen, dass er gehen will.
J: Ich habe noch bis 19 Uhr Dienst, du kannst aber mit zu mir ins Zimmer kommen. Es sind nur noch wenige Minuten..."
Er nickte und stand dann auch vom Bett auf. Meine Hand hielt er noch immer und ließ diese auch die ganze Zeit nicht los, bis wir in dem Zimmer saßen...

Meine beste FreundinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt