Die Gastfamilie lebte damals in einem Vorort von Paris. Ich hatte ein kleines Zimmer für mich in ihrem Haus und beschweren konnte ich mich nicht. Die Familie war unfassbar liebenswürdig und hatte mich sehr lieb empfangen. Wenn ich etwas hatte oder brauchte, konnte ich immer mit ihnen sprechen...auch wenn sprechen zu Beginn so eine Sache war. Ich hatte eventuell damals unterschätzt, wie gut mein französisch wirklich war.
In den ganzen Jahren hatte ich wohl irgendwie ausgeblendet, dass ich schlecht Kontakt zu anderen knüpfen konnte und das war hier auch keine Ausnahme. Wenn ich nicht gerade in der Schule war, ging ich nachmittags manchmal nach Paris. Ich hatte zum Glück Unterstützung von meinen Eltern und musste mir daher zumindest finanziell keine Gedanken machen. Ich hätte damals aber wirklich gerne auch Kontakt zu anderen gehabt. Ich hatte hier zwar auch einen Verein gefunden, wo ich weiterhin Tischtennis spielen konnte, aber dadurch wurde ich in der Klasse oder unter Gleichaltrigen nicht unbedingt beliebter. Sie hatten alle kein Problem mit mir, keiner ärgerte mich hier, ich war eben nur allein und für mich, da ich nicht auffiel. Ich hatte aber auch keine Idee, wie ich das hätte ändern können.
Zu Julia hielt ich in diesen Monaten aktiv Kontakt. Den ersten Tag, wo ich bei meiner Familie war, schrieb ich ihr einen Brief, damit sie die Adresse hatte. Zum Glück hatte sich Familie Vidal, so hieß meine Gastfamilie, damit abgefunden, dass öfters ein Brief für mich kam. Sie freuten sich, dass ich Kontakt zu meiner Freundin hielt...ich hatte sie nie darüber aufgeklärt, dass wir nur beste Freunde waren, es war so am unkompliziertesten. Ich schrieb über das, was ich hier erlebt hatte und Julia sagte mir, was ich in Herford und Bünde gerade alles verpasse. Auch war sie es, die mir die Kurslisten später zuschickte, als wir Profile wählen mussten, aber dafür war jetzt noch keine Zeit.
Problem blieb bestehen, ich war allein für mich und hatte niemanden, mit den ich etwas hätte machen können. Allein lief ich durch Paris, versuchte mit meiner Sprache zurecht zu kommen, die nach einigen Wochen auch besser geworden ist, und verbrachte meine Nachmittage allein. Ich saß oft auf einer Bank in irgendeinen Park, kann mich nicht mehr daran erinnern, und an einem Tag stand dort ein Straßenkünstler. Ich beobachtete ihn von weiter weg, da schon einige Menschen um ihn standen. Ich konnte irgendwann erkennen, dass es ein Zauberer war. Ich schaute ihm, genauso wie die anderen Passanten, interessiert zu und vergas dadurch etwas die Zeit. Ich hatte die Nummer meines Bruders im Kopf und mir kam eine Idee, wie ich vielleicht mit ein paar der andren in Kontakt kommen konnte.
Als ich am Abend wieder im Haus meiner Gastfamilie war, bat ich die Gastmutter um einen Anruf. Sie hatte es nie verboten, aber ich wollte es nicht ausreizen. Ich habe keine Ahnung, wie viel ein Anruf damals nach Deutschland gekostet haben muss...vielleicht gar nicht so viel. Aber ich telefonierte nur mit meinen Eltern, mit Julia schrieb ich Briefe. Ich kannte grob den Plan meines Bruders, wann er in der Uni war und wann eben zu Hause. Er sollte an den Tag zu Hause sein und war es zum Glück auch.
A: Andreas Reinelt?"
Damals hatte er natürlich nicht damit gerechnet, dass jemand aus Frankreich anrufen würde, auch wenn er wusste, dass ich hier gerade bin.
C: Hier ist Chris."
A: Chris! Ich freu mich etwas von dir zu hören."Die ersten Minuten sprachen wir nur über alltägliches. Einige Wochen hatten wir schon nichts voneinander gehört. Vor allem ließ er mich reden. Uni, Bibliothek, Hausarbeiten und Klausuren waren jetzt auch nicht unbedingt erzählenswert laut ihm.
C: Ich rufe aber wegen etwas ganz anderen an Andreas."
A: Wie kann ich meinem kleinen Bruder denn helfen?"
Damals musste ich lachen. Sylvia und Andreas bezeichnen mich bis heute als ihren kleinen Bruder. Auch wenn ich größentechnisch von uns drei der größte bin, sind nur wenige Zentimeter, alterstechnisch werden sie mich immer als „kleinen Bruder" vorstellen.
C: Ich komme hier mit keinem in Kontakt und ich kann dir sagen, dass das Tischtennisspielen kein Vorteil ist."
Er lachte damals, konnte sich sowas wohl auch denken.
A: Und wie soll ich dir helfen?"
C: Kannst du mir bitte ein paar Tricks runterschicken? Ich muss hier doch irgendwas tun, damit die mich bemerken."Es ist kurz still, ich warte angespannt, höre aber sein leises lachen. Andreas war mit 18 schon in den Magischen Zirkel eingetreten, hatte sich also nach seinen letzten Wettbewerb nochmals deutlich gesteigert. Ich hatte mit Zauberei noch immer nichts am Hut...bis jetzt.
A: Du kommst auch auf Ideen Bruder...aber ja, klar. Ich mache dir etwas fertig und schicke es dir zu. Verlier das aber nicht! Die Sachen kosten unfassbar viel!"
C: Ich werde darauf aufpassen Bruder, keine Sorge."Ich gab ihm an dem Tag noch meine Adresse durch und er sagte noch, dass er das Paket morgen vor der Uni zur Post bringen würde. Wie lange es brauchen würde, bis es bei mir ist, konnte er nicht sagen. Ich bedankte mich aber etliche Male bei ihm, da er mir damit so half. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn getan hätte und ich weiß auch nicht, wo ich heute wäre, hätte ich damals nicht den Straßenkünstler gesehen, hätte ich meinen Bruder nicht angerufen und hätte er mir nicht dieses Paket zugeschickt.
Fast eine Woche hatte es damals gedauert, bis das Paket bei mir ankam. Meine Gastmutter war damals verwundert, aber immerhin konnte sie sich denken, dass es von meiner Familie kommt. Der Nachname hatte es wohl gesagt und gezeigt. Sie gab es mir damals und ich verbrachte etliche Nachmittage damit, dass ich die Bücher las und die Tricks studierte. Es waren nur Kartentricks, aber das war wohl am einfachsten für den Einstieg. Ich übte Techniken, Handgriffe, was ich wann sagen sollte und wie ich es präsentierte. Ich wusste von meinem Bruder, dass ein Trick eine lange Zeit braucht, bis man ihn zeigen kann und soll. Wenn nur eine Kleinigkeit nicht stimmt, dann leidet der Effekt darunter. Nach einigen Tagen oder wenigen Wochen hatte ich das aber auch geschafft und zeigte sowas nebenbei in der Schule, die ich dort besuchte. Und tatsächlich kam ich so mit den anderen Schülern in Kontakt. Ich hatte endlich ein paar Leute, mit denen ich mich unterhalten oder treffen konnte. Anders als mein Bruder in der Schule, war ich kein Außenseiter. Das Beste an all dem war damals allerdings, dass ich ein Mädchen in der Klasse beeindrucken konnte, was mir gefiel. Ihr Name war Nadine...
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Meine beste Freundin
Fanfiction"Hätte ich gewusst, was ich dir bedeute, was meine Worte angerichtet haben und was meine Taten in dir auslösten, hätte ich mich für dich verändert..." Chris kennt seine beste Freundin bereits seit der Grundschule. Schule, Studium, eigene Wohnung, er...