Erleichtert

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Dag ging im Regen die Straße runter. Er war klitschnass. Durchgefroren und emotional am Ende. Er hatte versagt. Er war ein Versager.  Ein ganz großer Versager. Vincent hatte so viel Geld. War berühmt. Jeder kannte ihn. Jeder mochte ihn. Und er? Er hatte weder eine Wohnung, noch einen Job. Er war so krass abhängig von Vincent, das die Angst, etwas falsches zu tun und ein Dach über dem Kopf zu verlieren, immer größer wurde. Ihm wäre es lieber gewesen eine eigene Wohnung mit eigenem Job zu haben. Wie am Anfang. Wie sollte Dag sich also jemals wieder bei Vincent sehen lassen? So als kompletter Versager.

„Dag?", Vincent rannte einfach instinktiv die Richtung, die Dag eingeschlagen hat. Als er eine Gestalt im Regen laufen sah, wusste er, dass es Dag war. „Dag!", rief er laut und rannte zu ihm. Schwer atmend stand er hinter ihm. Dag blieb stehen. Drehte sich aber nicht um. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Sorry, dass ich 2 Wochen untergetaucht bin und dich alleine gelassen habe? „Gott sei Dank, du bist es wirklich. Weißt du, was ich mir für Sorgen um dich gemacht habe?", er sah ihn mit zitternden Beinen an. Er hatte Angst, dass es nur eine Einbildung war und er wieder verschwinden würde.

Und da waren sie wieder. Die Vorwürfe. Vincent ging es schlecht. Wegen ihm. Vincent hatte sich Sorgen gemacht. Wegen ihm. Vincent hatte 2 Wochen vergebens gewartet. Wegen ihm. „Dag?", Vincent, seine Stimme war leise und zurückhaltend. Dag drehte sich um, brachte es aber nichts übers Herz ihn anzusehen. Er fixierte seine durchnässten roten Chuck. „Ich..."
„Ich bin so froh, dass du wieder da bist", sagte Vincent und zog ihn in seine Arme. Er umarmte ihn fest. Sein Herz begann wieder schneller zu schlagen, als er ihn endlich wieder in seinen Armen fühlen durfte. Ihm fiel ein Stein vom Herzen. „Mach das nie wieder hörst du, einfach so abzuhauen" Er löste sich etwas und streichelte ihn über seine Wange. Der Regen hatte mittlerweile auch seine Kleidung völlig durchnässt. Dag ließ schnell das Gesicht hinter seinen Händen verschwinden. Er war so gebrochen. Alles an ihm war gebrochen. Er machte alles falsch. Erst liefen bei Dag Tränen, dann überwog die Wut. Die Wut auf sich selber. Die Wut, nichts richtig zu machen. Die Wut Vincent wieder verletzt zu haben. Grob riss er sich los, wollte über die Straße fliehen, übersah in der Hektik aber ein Auto was gerade losfahren wollte.

Dag wurde seitlich der Motorhaube getroffen und fiel grob zu Boden. Er hatte sich nicht doll verletzt, schließlich hatte das Auto noch kein Tempo drauf, aber es reichte das Dag am Boden saß. Mit weit aufgerissenen Augen. Unter Schock, dass er gerade von einem Auto umgefahren wurde. Der Fahrer stieg aus und schrie Dag in voller Lautstärke zusammen. „Dag!", Vincent kam dazu und hockte sich vor Dag. Er umarmte ihn. „Hast du dir weh getan?" Dann sah er wütend auf den Autofahrer. „Jetzt hören sie auf ihn anzuschreien, sehen sie nicht, dass er unter Schock steht?". In seiner Schockstarre konnte Dag die Frage ob er sich verletzt hatte überhaupt nicht beantworten. „Ich... ich... ich..." Das er eigentlich nur abgeschrammte Hände, ein paar blaue Flecken und einen geprellten Ellenbogen hatte, wusste er zu dem Zeitpunkt nicht. Geistesgegenwärtig hätte Dag sich beim Sturz nach hinten mit den Armen abgefangen, sodass sein Kopf nicht auf den Asphalt aufgeprallt war. „Ganz ruhig. Ich ruf dir erst einmal einen Rettungswagen. Und die schreien nicht so rum" Er funkelte den Mann böse an und griff zu seinem Handy um die 112 zu wählen.

Die Situation löste sich schon nach 45 Minuten wieder auf. Im Krankenwagen wurde Dag untersucht, aber es konnten keine großen Verletzungen festgestellt werden. Die Polizei kam auch dazu, um den cholerischen Autofahrer zur Ruhe zu bitten. Alle wurden befragt, aber Dag bekam keine Schuld am Unfall. Der Autofahrer war ohne Licht einfach rückwärts ausgeparkt, ohne in den Spiegel zu gucken. Für Dag wäre es unmöglich gewesen im dunkeln zu sehen, dass der schwarze BMW rückwärts rausfährt. „Komm, ich bring dich nach Hause", sagte Vincent und stützte ihn unter den Armen. Dag ging mit Vincent mit. Er stand noch immer unter leichtem Schock. Er war komplett durchgefroren und hatte mega Hunger. Als sie bei Vincent zu Hause ankamen drückte er Dag erst einmal sanft, aber bestimmend ins Badezimmer. „Geh erstmal Duschen, du zitterst ja und hast schon blaue Lippen. Ich hol dir in der Zeit neue Sachen und mach dir etwas zu essen. Kommst du klar?", Dag nickte und setzte sich zitternd in die Wanne. Vincent holte schnell neue Sachen aus dem Schlafzimmer und kam zurück ins Bad.

Dag sag in der Wanne, hatte die Augen geschlossen und war dabei sich einen runter zu holen. Er hoffe etwas Stress und Anspannung dadurch abbauen zu können. Er brauchte das gerade einfach. Vincent sah ihn mit großen Augen an, manchmal verstand er den kleineren wirklich nicht. Er legte ihn die Sachen auf den Klodeckel ab und verließ so leise das Badezimmer, wie er es betreten hatte. Es war ihm gerade alles zu viel. Er machte sich daran, Dag etwas Nudelsuppe zu kochen. Dag stöhnte aus dem Badezimmer. Er machte sich keine Gedanken, ob Vincent ihn gerade hören konnte oder nicht. Irgendwie hatte Dag auch gehofft, dass Vincent kommt und sie wieder Zärtlichkeiten austauschen. Oder er sich an ihm austoben durfte, um ordentlich Druck abzulassen. Aber wahrscheinlich würde Vincent nie wieder mit ihm schlafen wollen. Vincent versuchte, in der Zwischenzeit seine Gedanken neu zu sortieren. Es hatte ihn wirklich verletzt, dass Dag sich zwei Wochen lang nicht bei ihm gemeldet hatte, dass er einfach abgehauen war, anstatt mit ihm über seine Probleme und Gedanken zu reden. Aber er war gleichzeitig froh, dass er wieder da war. Er würde ein ernstes Gespräch mit ihm suchen müssen, um zu erfahren, wie es in Zukunft weitergehen würde. In Gedanken versunken stand er am Herd und rührte die Suppe um.

Als Dag im Badezimmer fertig war, kam er frisch angezogen wieder zu Vincent in die Küche. Seine Locken hingen ihm nass ins Gesicht. Vincent starrte immer noch in den Kochtopf und hatte ihn noch nicht mitbekommen. Er seufzte leise. Dag setzte sich stumm an den Tisch. Er hatte viel zu viel Angst etwas zu sagen. Er starrte auf die Tischplatte. Vincent sah irgendwann nach oben und entdeckte Dag. Automatisch lächelte er dabei. Er holte zwei Teller aus dem Schrank und füllte sie. Auch wenn es mitten in der Nacht war, hatte er Hunger. Er hatte die letzten Tage kaum etwas gegessen. Einen Teller stellte er vor Dag ab, den anderen an seinen Platz. „Lass es dir schmecken. Du musst hungrig sein" Dann setzte er sich an seinen Platz und sah Dag zum ersten Mal richtig an. Dags Blick klebte am Tisch. Er hatte riesen Angst Vincent anzugucken. Bestimmt würde er Schluss machen. Der kleinere merkte wie Panik in ihm hoch schloss. Zittern griff er zwar den Löffel, hielt aber inne. „Dag, du musst etwas essen. Du bist total blass und abgemagert", flüstert Vincent leise.

Dag nahm nur am rande mit das Vincent mit ihm redete. Er versuchte gerade innerlich die aufkommende Panikattacke runterzudrücken. Er griff den Löffel so fest, dass die Knöchel weiß hervor standen. „Dag?", besorgt sah Vincent ihn an. Er wusste, was gleich kommen würde. So gut kannte er ihn schon. Er stand auf und kniete sich neben ihn. „Dag, Schatz. Du musst es raus lassen. Nicht unterdrücken, du weißt was sonst passiert".  Besorgt legte er einen Arm um ihn. Dag war sich sicher, wenn er jetzt los ließe, er in Ohnmacht fiel. Er fühlte sich aber nicht bereit loszulassen und es hinzunehmen. Dag konzentrierte sich so doll er konnte um nur einen Satz raus zu bekommen. „Kannst du mich halten? Nicht los lassen!" Vincent nickte und hielt ihn so fest wie er konnte. Er würde ihn nie wieder loslassen. Es dauerte nicht lange als Dag los ließ, bis sein Körper ohne Spannung gegen Vincent fiel. „Ich hab dich", sagte er sanft und streichelte ihn über den Rücken.

Es dauerte ganze 5 Minuten bis Dag verwirrt wieder zu sich kam. Er lag noch in Vincents Armen und sah müde aus. „Hey, da bist du ja wieder", sanft lächelte Vincent ihn an. Der Parkourtrainer wirkte immer etwas durcheinander und Orientierungslos wenn er wieder zu sich kam. Aber er war froh das Vincent ihn im Arm hielt und für ihn da war. Noch etwas schwankend setzte Dag sich wieder ordentlich hin. „Geht es wieder?". Der kleinere nickte. „Ja" Er nahm den Löffel und versuchte etwas zu essen. Leider hatte er dabei Schwierigkeiten, weil er so zitterte das er den Löffel kaum gerade halten konnte.

„Warte, ich helfe dir". Vincent nahm ihn den Löffel ab und fütterte ihn. Sah ihn dabei immer wieder besorgt an. Dag mied Blickkontakt, als Vincent ihn fütterte. „Dag, bitte schau mich wieder an. Du musst dich vor nichts schämen".
„Du machst Schluss oder? Du bist ganz doll sauer oder?", Dag brach in Tränen aus. „Ich werde nicht mit dir Schluss machen Dag", Vincent legte den Löffel weg und wischte eine Strähne von Dag seiner Stirn. „Ich möchte es aber verstehen. Warum bist du abgehauen? Wo warst du die letzten Wochen? Warum bist du nicht mit deinen Sorgen zu mir gekommen? Ich dachte, wir können über alles reden".
„ Ich wollte aber nicht reden. Ich wollte mit niemandem reden. Und du hättest mich nicht in ruhe gelassen" Der ehemalige Parkourtrainer blickte stur auf die Tischplatte um Vincents enttäuschtes Gesicht nicht zu sehen. „Da hast du recht. Ich hätte dich nicht in Ruhe gelassen. Aber ich hätte dich auch nicht verurteilt. Wo warst du die zwei Wochen?"
„Auf der Straße" Dag Stimme war leise, nur ein unsicheres flüstern.

Gegensätze ziehen sich anWo Geschichten leben. Entdecke jetzt