Die Wahrheit

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Dag nickte. Er wirkte verwirrt und nicht gerade, als hätte er seine Orientierung wieder. Der Parkourtrainer zog sich wieder an. „Da vorne ist ein kleiner See. Lass uns da etwas auf die Bank setzen". Vincent nahm ihn an die Hand, verschränkte ihre Finger miteinander und zog ihn mit sich. Er drückte ihn auf die Bank und setzte sich neben ihn. Die Hand ließ er nicht los. Besorgt sah er den kleineren an. „Dag. Was war das gerade? Bin ich zu weit gegangen.? Wenn ja tut es mir leid"

"Nein das..." Dag löste seine Finger aus Vincents und holte einen Joint aus der Hosentasche. In die anderen Hand nahm er ein Zippo und zündete sein Gras an. Das Feuerzeug verschwand wieder in die Hosentasche und er fing an zu rauchen. Eine Weile blickte er stur aufs Wasser, ohne Vincent anzuschauen. "Was soll ich sagen? Das dein Bad boy auf den du stehst, eigentlich eine verweichlichte Heulsuse mit Knacks ist? Du stehst nicht auf Softis. Und ich hatte Angst, dass du mich nicht magst".Der Parkourtrainer starrte weiter aufs Wasser. Er wollte Vincent bei der Wahrheit nicht in die Augen schauen. "Wenn du jetzt gehen willst, ist das okay. Ich komm klar".

Vincent starrte ihn einfach nur an. „Dag. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll ich....".Dag selber schwieg. Er wartete bis Vincent abhauen würde und ihn sitzen ließ. Zum Glück hatte er noch sein Graß. Damit konnte er direkt sein Gefühlschaos abstellen.
Vincent nahm seinen ganzen Mut zusammen und verschränkte ihre Finger wieder miteinander, drehte Dag sein Gesicht zu sich und sah ihm in die Augen. „Dag. Es ist mir egal ob du ein Bad Boy oder ein Softi bist.  Ich mag dich so wie du bist. Ich liebes es wenn Männer auch Gefühle zulassen und zeigen können. Und die dominante Seite kann man ja im Schlafzimmer ausleben".

In Dags Augen schimmerten Tränen. "Aber ich hab dich die ganze Zeit angelogen"
„Dag. Höchstens etwas geflunkert. Außerdem kennen wir uns noch nicht lang genug, um behaupten zu können, du hättest dich verstellt. Lass mich bitte den echten Dag-Alexis Kopplin kennen lernen".

Dag drehte den Kopf wieder zurück und starrte aufs Wasser. Plötzlich wurde seine Stimme ganz leise und traurig. "Ich glaube... der echte Dag ist oft traurig. Und Einsam" Vincent sah ihn von der Seite aus an „Warum?"
"Ich weiß es nicht"
„Dann lass mich dir helfen wieder Glücklich zu sein".
"Ich glaube nicht das mir noch zu helfen ist".
„Dag. Jeden kann man helfen. Du musst es nur wollen und zulassen. Wollen wir noch einmal von vorne beginnen? Hey, ich bin Vincent. Vincent Stein. Und du?". Dag musste schmunzeln. "Ich bin Dag-Alexis Kopplin. 38 Jahre alt, wohne in Berlin Spandau, ziemlich erfolglos mit meiner Musik und leide seit ich 17 bin an Depressionen, Schlafstörungen und Panikattacken".

„Freut mich dich kennenzulernen,  Dag. Ich bin zufällig dein Retter in der Not und Produzent. Ich lade dich gerne mal in mein kleines Studio ein. Wenn du möchtest".

"Ich weiß nicht. Ich will nicht wie jemand wirken, der nur an dein Geld will. Ich hab dein Wikipedia Eintrag gelesen" Dag schmunzelte erneut. "Kleines Studio. Ja".
„Ach, der junge Mann hat mich gegoogelt. Mir ist es ja lieber, wenn man mich persönlich kennenlernt. Dazu hast du jetzt die Möglichkeit, wenn du das möchtest. Ich gebe nicht damit an, was ich mache. Und du hast mich angesprochen, damals in der Bar, ohne zu wissen, wer oder was ich bin. Dag, ich meine das wirklich ernst. Ich kann mir auch nicht vorstellen das du jemand bist, der mich ausnutzen möchte."
"Ich hab dich nur gegoogelt weil ich dachte du verarscht mich"

Die Sonne ging langsam über dem See unter und tauchte ihn in ein goldenes Licht. "Können wir nach Hause gehen? Ich hatte heute schon ein paar mehr Parkour Gruppen gehabt und bin müde... außerdem hab ich Hunger und ich frier". Dag drückte sanft Vincents Hand und verschränkte die Finger fester miteinander. Sie war schön warm. Am liebsten hätte Dag hier direkt die Augen zugemacht. "Ich arbeite momentan sehr viel. Die 200 Euro von unserem Essen letztens haben ein größeres Loch in meine Finanzen gerissen. Ich muss mit meinem Trainer-Job jetzt ordentlich Gas geben. Alleine heute waren es von 8 bis jetzt um 20 Uhr 10 Termine a 60 Minuten. Heißt ich hatte nur 2 Stunden pause zum Essen".

Vincent sah ihn schockiert an. „Warum hast du den nichts gesagt? Ich hätte doch selbst bezahlen können, immerhin habe ich das meiste davon gegessen. Ach Dag. Du kommst mit zu mir nach Hause. Ich werde dich heute bestimmt nicht mehr alleine lassen". Vincent stand auf und zog ihn mit sich. Er hielt weiterhin seine Hand, als er mit Dag den Waldweg zurück lief. Dag lächelte. "Warum soll ich jetzt zu dir? Hast du Angst, dass ich nochmal eine Panikattacke bekomme? Außerdem hab ich das gerne gemacht. Ich wollte dich einladen und das hab ich auch gemacht. Außerdem hab ich meine ganzen Tabletten nicht dabei".

"Um ehrlich zu sein: Ja, ich mach mir Sorgen um dich. Dann komme ich eben mit zu dir. Wie wäre es, wenn wir uns unterwegs eine Pizza holen? Ich lad dich auch ein!" Dag blieb abrupt stehen. "Nein, nicht zu mir". Auf gar keinen Fall würde Dag, Vincent in seine Bude lassen. Seine Wohnung war eng, viel zu klein und sah aus wie das reinste Schlachtfeld. Aufgrund seiner Depressionen hatte er die Kontrolle über sein Chaos verloren. Vincent sah ihn stirnrunzelnd von der Seite aus an. Er streichelte ihn sanft über den Handrücken „Warum nicht? Hast du nicht aufgeräumt oder was?",schmunzelte Vincent. "Ja. Nicht aufgeräumt ist gut ich... hab seit Wochen nicht mehr die Kraft aufzuräumen. Entweder arbeite ich oder ich reiße Produzenten in Bars auf" Dag grinst schief über seinen Witz.

„Warum hast du noch mehr am Start?",lachend zog Vincent, Dag in seine Arme, sah von oben auf ihn runter ind grinste ihn schüchtern an. „Dann holen wir eben ein paar Sachen und deine Tabletten. Du kommst mit zu mir. Ich werde dich garantiert nicht mehr gehen lassen. Du hast mich die letzten zwei Wochen schon genug gequält". Dag runzelte unsicher die Stirn. "Bist du sicher das du das willst? Was ist, wenn das raus kommt? Ich vergraule dir nur die Kunden wenn jemand weiß das ich... was wenn die Presse in meiner Vergangenheit rumwühlt? Dich nimmt dann keiner mehr ernst und..." „Dag beruhige dich bitte" Der Produzent streichelte ihn über die Wange. „Was sollen sie den raus finden? Das ich den heißesten Mann Date? Mach dir darüber mal keine Gedanken"y Er beugte sich leicht zu ihn herunter und küsste ihn sanft. Dag erwiderte nur kurz. Er wirkte angespannt. "Naja ich... ich hab... sagen wir mal... eine ziemlich... negative Vergangenheit...".

„Lass uns erstmal zu mir gehen. Es wird kalt. Da können wir alles weitere besprechen" Vincent zog ihn an der Hand raus aus dem Wald zu seinem Auto. „Du musst mir noch deine Adresse geben. Ich weiß leider nicht wo du wohnst". Dag stieg ins Auto ein und nannte Vincent eine Adresse in einem Berliner Plattenbau. "Aber lass mich alleine gehen. Fremde sind da nicht gerne gesehen wenn du verstehst was ich meine". Es dauerte eine Weile bis sie dahin gefahren waren. Die Wohngegend von Dag war ein Meer aus grauen, dreckigen Klötzen. Die Stimmung hier war bedrückend. Man konnte die Armut und Gewalt die hier herrschte förmlich spüren. Nur Dag, der blieb entspannt als sei das hier Urlaub. „Okay ich warte hier. Ach und Dag? Lass mich nicht so lange warten". Vincent beugte sich zu ihn und küsst ihn auf die Wange. Dag nickte. "Schließ das Auto ab"

Der Parkourtrainer stieg aus und lief auf den Klotz zu als er von zwei Schränken aufgehalten wurde. Vincent konnte nicht verstehen was gesagt wurde. Die Situation jedoch wirkte sehr bedrohlich. Dags Körperhaltung war immer noch entspannt. Einer der Männer zeigte grimmig auf Vincents Auto. Dag schüttelte den Kopf. Dann trennten sich die Wege der drei und Dag verschwand im Gebäude. „Was zur Hölle war das den bitte?" Besorgt sah er ihn hinterher. Es dauerte nicht lange, bis Dag mit seinem Rucksack zurückkam und an die Scheibe klopfte. Erschrocken sah Vincent auf und öffnete schnell sein Auto. „Was waren das den bitte für Männer? Haben sie dich bedroht?" besorgt sah er ihn an. Dag stieg ein. "Achso ne, das sind meine Nachbarn. Wir können los".

Der erfolglose Sänger wirkte so abgeklärt und entspannt, als würden sie gerade über das Wetter reden. Einen letzten besorgten Blick ließ Vincent über Dag schweifen, ehe er sein Auto startete, um loszufahren. „Möchtest du unterwegs etwas zu essen holen oder wollen wir bestellen?"
"Bestellen, aber nur wenn ich meins selber bezahle!" Dag lehnte sich zurück und ließ seinen Kopf gegen die Scheibe fallen. Er war so fucking kaputt. Ihm tat alles weh und er war so sau müde. Kein Wunder. Er war heute ganze 12 Stunden unterwegs. „Du kannst aber auch verdammt  stur sein".Vincent fuhr zu seiner Wohnung. Dort angekommen stieg er aus und wollte gerade los laufen, als er merkte das Dag keine anstalten machte, mitzukommen.

Dag war eingeschlafen. Lächelnd hockte sich Vincent neben sein Auto und strich Dag kurz über die Wange. Beugte sich über, schnallte ihn ab und hob den kleineren aus dem Auto raus. Mit leichten Problemen öffnete er die Einganstür und trug ihn bis in seiner Etage nach oben. Schloß mit einer Hand die Wohnungstür auf und legte Dag auf dem Sofa ab. Vincent zog ihm die Schuhe aus und verschwand im Flur. Er hing seine Jacke an die Garderobe auf und stellte die Schuhe in den Schuhschrank. Danach holte er sich ein Glas Wasser aus der Küche und setzte sich auf den Sessel und beobachtet Dag beim schlafen.

Gegensätze ziehen sich anWo Geschichten leben. Entdecke jetzt