Kapitel 4

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Meine Sicht verschwamm immer mehr und bei dem Versuch, Luft in meine Lungen zu bekommen füllte ich sie stattdessen mit schlackigem Seewasser. Mit einem Mal durchbrach mein Kopf die Wasseroberfläche, fast augenblicklich begann ich, zu würgen. „Halte noch etwas durch!" rief mir jemand panisch zu. Derjenige war es auch, der mich aus dem See ans Ufer zog, an dem ich mich einige Male erbrach und in einem großen Schwall das Seewasser hervorwürgte. Jeder Atemzug tat weh, es war, als würde jemand unnachgiebig Messer in meine Brust rammen und sie in meinem Fleisch herumdrehen. „Geht es ihr gut?" mischte sich eine neue Stimme ein, die einer besorgten jungen Frau. „Was ist nur passiert?" „Ich weiß es nicht, Riyaka. Lass sie sich doch erstmal fangen." Es dauerte einige Minuten, bis ich mich einigermaßen beruhigt hatte und das manische Zittern weniger wurde. Der junge Mann, der wohl ungefähr mein Alter hatte, legte mir eine Decke um die Schultern. Er war es dann wohl auch gewesen, der mich aus dem See gezogen hatte.

„Alles in Ordnung?" fragte er mich schließlich und legte mir besorgt eine Hand auf die zitternde Schulter. Er und die Frau, von der Optik her würde ich sagen Geschwister, sahen mich besorgt an. Sie beide trugen traditionelle Kimonos, allerdings in einer äußerst schlichten Abwandlung in gedeckten Farben. „Sie zittert ja noch!" Riyaka kniete sich neben mich in den schlammigen Boden und zog die Decke enger um meine Schulter. „Jetzt wird es gleich wärmer werden." Sie lächelte mich an, ihr hellblondes Haar wehte leicht im warmen Abendwind. „Wir haben ein großes Feuer zuhause, Mutter wollte Abendessen kochen, wenn Hita und ich zurück sind." Hita zog seine kleine Schwester von mir weg, dennoch konnte ich hören, was die beiden sprachen. „Wir können sie nicht mitnehmen, Riyaka! Sie ist eine Fremde!" Riyaka stieß einen Seufzer aus. „Sie wäre fast ertrunken! Du hast sie gerettet und willst sie jetzt hier in der Nacht allein zurücklassen? Du weißt, dass Bären durch die Gegend streifen. Da wäre es ja fast noch menschlicher gewesen, sie ertrinken zu lassen, als das sie bei lebendigem Leibe von einem Bären gefressen wird."

Langsam wagte ich mich auf die Füße. „Danke." Beide drehten mir ihre Köpfe zu, als ich auf Hita und Riyaka zuging. „Danke das du mich aus dem See gefischt hast. Anders wäre ich ertrunken." Ich verbeugte mich tief vor Hita, was er mir schließlich gleichtat. „Nichts zu danken ..." als er mich etwas verwirrt ansah, fiel mir ein, dass er meinen Namen gar nicht kannte. „Elea. Ich heiße Elea." Beide zogen die Augenbrauen zusammen. „Ein ungewöhnlicher Name! Aber ein schöner. Du bist nicht von hier, oder?" Riyaka lächelte, als ich den Kopf schüttelte. „Meine Oma ist aus Japan gewesen. Ich bin nur zu Besuch hier." Die beiden wechselten einen unleserlichen Blick, unangenehme Stille machte sich breit, die ich schließlich mit einem Räuspern unterbrach. Nach wie vor schmerzte jeder Atemzug, also war es sicher eine schlaue Idee, ins Krankenhaus zu fahren. Das die beiden keinen Krankenwagen gerufen hatten war ja schon seltsam genug. „Das ist sehr nett, dass du mir anbietest, mit euch zu gehen." Ich lächelte Riyaka an. „Aber das ist nicht nötig. Wenn mir einfach einer von euch sein Handy leiht, rufe ich ein Taxi."

Jetzt konnte ich die Fragezeichen über den beiden blonden Köpfen förmlich sehen. „Ein ... was willst du haben?" Hita schüttelte den Kopf und seufzte. Seine Schwester trat an meine Seite und führte mich sanft neben ihr her den schmalen Pfad entlang. Erst jetzt fiel mir auf, dass es hier weder Straßenlaternen noch eine Straße gab. „Und du wolltest sie hierlassen! Sie redet wirres Zeug und wäre fast ertrunken. Auf keinen Fall bleibt sie die Nacht über allein hier draußen in der Wildnis!" Hita schüttelte den Kopf, verschwand dann in einem der Büsche und kam schließlich mit einem langen Stock zurück, an dessen Enden Körbe hingen, der Geruch von Fisch hing in der Luft. „Wir waren angeln in der Nähe!" erklärte Riyaka mir aufgeregt. „Das wird ein gutes Abendessen heute. Fische haben wir lange keine mehr gefangen." Ich brachte kein Wort heraus, so verwirrt war ich. Hita an meiner linken Seite brummte bloß, sein blauer Blick klebte an der Siedlung, auf die wir uns zubewegten. „Das liegt auch an den Bären. Es werden immer mehr und sie fangen die Fische. Da bleibt nicht viel für unser Dorf oder unsere Familie."

Riyaka klatschte aufgeregt in die Hände. „Aber heute hatten wir Glück! Nicht wahr, Hita?" Hitas Blick wurde weich. „Ja, heute hatten wir Glück." In unserem Rücken wurde plötzlich Heulen laut, also trieb Hita uns zur Eile an. „Das sind Wölfe. Nach Einbruch der Nacht sollte man sich eigentlich nicht mehr außerhalb des Walles herumtreiben. Viel zu gefährlich." Eilig stolperte ich den Beiden hinterher, ich konnte nichts gegen die Tränen tun, die mir über die Wangen liefen. Ich verstand überhaupt nichts mehr. Weder gab es hier echte Zivilisation, noch schienen die beiden je etwas von Handys gehört zu haben. Und als sich die Lichter vor mir als Fackeln eines Holzdorfes entpuppten statt als Straßenlaternen, blieb ich schluchzend stehen.

„Wo bin ich?" meine leise Stimme ging im Wolfsgeheul unter. Hita biss die Zähne zusammen, reichte Riyaka den Stock und kam zu mir zurück. „Alles in Ordnung, Elea?" seine blauen Augen musterten mich besorgt, immer wieder huschten sie zwischen mir und dem Wald in unserem Rücken hin und her. „Was immer das Problem ist, wir werden es klären." Er deutete mit dem Daumen über seinen Rücken auf das noch geöffnete Holztor. „Da drinnen. Ohne Wölfe im Nacken. Okay?" wie angewurzelt blieb ich stehen und schüttelte den Kopf. „Bitte sag mir, welches Jahr wir haben, Hita!" meine Stimme war zu einem panischen Kreischen angeschwollen, immer wieder ließ ich die Kulisse auf mich wirken. Hita sah sich ebenfalls um, sah dann wieder mich an.

„Wir haben das zehnte Regierungsjahr des Kaisers Fujiwara no Michinaga."

In meinem Kopf drehte sich alles. Fujiwara ... Fujiwara. Den Namen hatte ich doch schon Mal gehört. Und als es mir endlich wieder einfiel, knickten meine Knie unter mir weg, Schwärze überrollte mich.

Fujiwara no Michinaga hatte Japan während der Heian-Era regiert. Unserer modernen Zeitrechnung nach war das grob um die Jahrtausendwende gewesen.

Das hieß, ich befand mich ungefähr um das Jahr 1000.

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Eure Erin zurück, gleich von "Strings of Fate" hier herübergehüpft um aufzuklären, was mit unserer Elea passiert ist :D

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Ancient Love (Sukuna X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt