Kapitel 63

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„Können Sie mir sagen, was passiert ist, bevor er ausgeflippt ist?" fragte der Arzt mich, nachdem wir alle das Zimmer verlassen und die Schwestern und der Pfleger sich wieder ihren Aufgaben zugewandt hatten. „Er ..." ich holte tief Luft. „Die Sauerstoffmaske, sie hat ihn aus der Fassung gebracht." Der Arzt, seinem Namensschild nach ein Herr Dr. Kusabe, nickte und notierte sich etwas auf seinem Klemmbrett. „Ist ihr Freund Klaustrophobiker?" meine Gedanken wanderten unweigerlich an den Tag zurück, an dem Izumi mir von der Mine erzählt hatte. Und dass er enge Räume mied. Es grenzte schon fast an ein Wunder, das ich damals mit Kiyo in Sukas Höhlenlabyrinth gelandet war.

Izumi hätte es da unten nicht lebend rausgeschafft.

Schnell wischte ich mir die Tränen von den Wangen und nickte. „Ja, ja. Da war mal was als er klein war und seitdem kann er nicht mehr mit kleinen Räumen." Dr. Kusabe nickte und rückte seine dicke Hornbrille zurecht. „Klaustrophobie äußert sich nicht nur in engen Räumen, Frau Melantha. Es gibt zum Beispiel auch Fälle, in denen Taucher einen klaustrophobischen Schub in ihren Tauchermasken erleben." Er hielt sich eine Hand wie eine Tauchermaske vor das Gesicht. „Das wird ihrem Freund passiert sein, nur eben mit der Atemmaske." Das war sicher der Fall gewesen plus den Umstand, dass Izumi nicht wusste, was eine Atemmaske überhaupt war. „Wie lange wird er schlafen?" Dr. Kusabe verstaute seinen Stift in seiner Kitteltasche. „Ein paar Stunden, länger nicht. Das Mittel war nicht allzu stark." Er musterte mich einige Momente lang. „Sie sollten bei ihm sein, wenn er wach wird. Und nehmen Sie ihm dann ruhig die Atemmaske ab. Einfach runterziehen. Dann sollte es in Ordnung sein."

Ich entschuldigte mich für eine Stunde in den kleinen Garten des Krankenhauses, einfach, um mal was anderes zu sehen als bedrückende Krankenzimmer. Und nachdem, was Dr. Kusabe gesagt hatte, konnte ich die Stunde ohne Sorge für mich nutzen. Nach einigen Minuten, in denen ich einfach bloß ziellos über die Wiesen geirrt war, ließ ich mich schließlich auf einer der Bänke nieder. Der warme Sommerwind strich weich über meine Haut und für einen Moment schloss ich die Augen. Das Plätschern des kleinen Teichs erinnerte mich an den Teich im Garten der Villa. Ich vermisste es, mit Muri die Kois zu füttern. Wütend rieb ich mir über das Gesicht und seufzte. Ich war es so leid, jeden Tag zu weinen. Meine Oma hatte immer gesagt, weinen reinige das Herz. Aber um ehrlich zu sein spürte ich kein bisschen Heilung in meinem Herzen und ich ertappte mich bei dem Gedanken, es zu bereuen überhaupt nach Japan gekommen zu sein. Es war ein bittersüßer Schmerz. Auf der einen Seite war ich dankbar, Sukuna getroffen zu haben. Auf der anderen Seite verfluchte ich es, wie die Dinge gelaufen waren. Und dass ich ihn nie wieder sehen würde.

Aber ich erlaubte es mir nicht, jetzt in Selbstmitleid zu ertrinken und lief stattdessen zur Anmeldung der Klinik, um zu telefonieren. Ich hatte bisher keinen Schritt aus der Klinik gewagt, aus Angst, Izumi könnte etwas zustoßen. Aber die Angst war mittlerweile abgeschwächt und ich wählte die Nummer des Hotels, in dem ich vor meiner Zeitreise eingecheckt hatte. Womöglich konnte man mir dort sagen, was eigentlich mit meinen Sachen passiert war, die ich damals alle im Hotelzimmer zurückgelassen hatte. Nicht, dass ich viel gehabt hatte. Aber es war alles, was ich überhaupt hatte. Die nette Dame am Telefon konnte mir zwar sagen, dass ich tatsächlich dort eingecheckt hatte, meine Sachen aber alle nach einer Woche abgeholt worden wären und der überflüssige Betrag beglichen worden war. Ungläubig starrte ich den Hörer an, ehe ich ihn mir wieder ans Ohr hielt. „Da muss ein Irrtum vorliegen, ich habe gar nichts abgeholt und auch niemanden beauftragt." Ich hörte die Dame am anderen Ende der Leitung tippen. „Tut mir leid, Frau Melantha. Aber hier in meinem System steht, dass alles nach Vorschrift gelaufen ist. Wenn Sie davon nichts wissen, dann sollten sie die Sachen bei der Polizei als vermisst melden." Am Arsch würde ich mich bei der Polizei melden. Ich war ja bloß froh, dass die Beamten hier nicht mehr aufgetaucht waren. „Hat man denn einen Namen hinterlassen?" erneut tippe die Dame.

„Ja. Ihren."

Nachdenklich lief ich durch das Krankenhaus zurück in Richtung der neuen Station, auf die Izumi verlegt worden war. Da ich sowieso nichts Besseres zu tun hatte, konnte ich auch dort darauf warten, dass Izumi wieder wach wurde und im Zimmer angekommen sortierte ich meine Gedanken. Ich war vor fast zwei Jahren nach Tokyo gekommen. Himmel, dass nach allem zu sagen fühlt sich so surreal an. Wo es für mich noch nicht mal ein Jahr gewesen war. Ich hatte im Hotel eingecheckt und war wenige Tage später von diesem Loch verschluckt worden. Und das hatten nur zwei Leute mitbekommen. Dieser, nur namentlich genannte Megumi und der Mann mit den weißen Haaren. Jetzt, rückblickend, waren die beiden sicherlich ebenfalls Jujuzisten. Daran hatte ich keinen Zweifel. Ich würde meine halbe Arschbacke drauf verwetten, dass die Beiden meine Sachen hatten. Jetzt blieb nur die Frage, wie ich sie finden konnte. Ich konnte ja schlecht wieder runter an die Anmeldung dackeln und nach der Jujuzistenhochburg fragen.

Scheiße.

Eine der Schwestern war so nett gewesen, mir ein Buch zu bringen, in dem ich die nächsten Stunden blätterte. Hinter der Fensterfront wurde der Himmel in ein feuriges Rot getaucht, dass mich sofort an Sukuna denken ließ. Wie automatisch wanderte meine Hand zu meinem Bauch. Ich wusste noch nicht, wie ich diese Situation finden sollte oder überhaupt mit ihr umgehen. Im Bett nahm ich mit einem Mal Bewegung wahr, Izumi wurde langsam wach. Sofort war ich aufgestanden und nahm ihm die Atemmaske ab, um ihn nicht wieder zu verängstigen. Kaum, dass ich das getan hatte, flatterten seine Augenlider und öffneten sich schließlich. „Hey, na?" ich setzte mich an die Bettkante und nahm lächelnd seine Hand. „Wie fühlst du dich?" Izumi blinzelte einige Male. „Als hätte mich ein Pferd über den Haufen gerannt." Sagte er schließlich leise und räusperte sich einige Male, bis er die Augen weit aufriss und sich hektisch aufsetzte. Das Gerät, dass seinen Herzschlag kontrollierte, begann aufgeregt zu piepen, was ihn noch mehr erschreckte. Die Überforderung in seinem Gesicht wurde mehr und mehr, als er sich umsah.

„Wo bei den Ahnen sind wir? Und wo ist Sukuna?"

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Und heute auch ein Kapitel für euch alle!

Eure Erin xx

Ancient Love (Sukuna X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt