Kapitel 115

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Wir ließen Sukuna eine Weile im Inneren des Tempels allein und verteilten uns auf den breiten Stufen davor. Erst hatte ich Sukuna nicht allein lassen wollen, hatte das Gefühl, dass er mich brauchte in diesem Tempel der Erinnerungen. Aber Cadis hatte mich sanft an den Schultern von ihm weggezogen und als sich Sukuna auch nicht nach mir umdrehte wusste ich, dass er allein sein wollte. Oder es in diesem Moment vielleicht auch musste.

Niemand sagte etwas, Totenstille hing über dem Friedhof, mit der jeder anders fertig wurde und sich die Zeit vertrieb. Cadis verteilte weiter Grabbeigaben in den umliegenden Tempeln, dicht begleitet von seinem untoten Freund, der leise gackernd Blumen durch die Luft flog und die Dächer damit schmückte. Fuji hatte sein Kinn in seine Hände gestützt und starrte in die wabernde Dunkelheit, die den weiten Teil des Friedhofs unter ihrem Schleier verbarg und vor Morgengrauen nicht freigeben würde. Er wirkte nachdenklich und seine Gesichtszüge wechselten zwischen Trauer und Frust. Izumi neben mir bekam seine Farbe im Gesicht zurück, als Cadis das letzte Brot verteilt hatte und nun mit einem leeren Korb zurückkam. Mit dem letzten Brot war auch der Brotgeruch aus der lauwarmen Luft verschwunden und Izumi atmete erleichtert auf und strich das Haar aus dem Gesicht. „Sollten wir ihn holen?" auf meine leise Frage hin schüttelte Cadis den Kopf. „Er kommt zurück, wenn er fertig ist. Treffen mit den Toten sind nie leicht und schon gar nicht erträglich." Sein langes Haar wehte mit jeder lauen Windbö mit und als er meinen Blick bemerkte, lächelte er. „Aber sie enden, so wie alles im Leben."

Nach einigen Minuten kam Sukuna tatsächlich wieder aus dem Tempel, ohne etwas zu sagen. Dafür blieb er neben mir stehen, drückte mir einen Kuss auf den Scheitel und zog mich in seine Arme, kaum, dass er sich neben mich gesetzt hatte. „Geht es dir gut?" mit einem Lächeln beantwortete er meine Frage, nahm meine Hand und schenkte Cadis seine volle Aufmerksamkeit. Der Nekromant hatte sich auf den Stufen des Tempels gegenüber niedergelassen. Nur der schmale Weg trennte uns, über dessen flache Steine das Licht unserer Laternen tanzte als Cadis anfing, zu erzählen.

...

„Vor langer Zeit, als die Menschheit noch jung und die Welt um sie herum alt und weise war, war das Leben noch nicht so, wie wir es heute kennen. Sie war ein dunkler, trostloser Ort, an dem es keine Hoffnung und keine Freude gab. Das Leben war hart, überleben noch härter und ein glückliches Leben führen ein Ding der Unmöglichkeit. Die Menschheit war noch zu jung und so waren wir eine lange Zeit lang nichts anderes als Sklaven unserer negativen Emotionen, die die Flüche gefüttert und genährt haben, ohne zu wissen, was wir da in den Schatten unseres Leids herangezüchtet haben.

Eine Armee von Flüchen.

Sie labten sich an uns, an unseren Sorgen und Ängsten und wurden mit der Zeit stärker und stärker, bis sie stark genug waren. Die Flüche von damals sind nicht zu vergleichen mit denen, die wir heute kennen. Heute sind sie kaum mehr als wandelnde Hüllen aus Fleisch, ohne Gehirn und Verstand die, ja schon fast verzweifelt nach allem greifen, was sie finden können. Was schwächer ist als sie selbst. Doch die Flüche damals waren gerissen, schlau und nicht zu unterschätzen. Sie waren Spitzenpredatoren, die die Jagd mehr liebten als das Töten. Blut war ihre Sprache, es sang unsere Klagelieder in den dreckigen Gassen der Großstädte und rief sie alle immer wieder aufs Neue auf den Plan, um die Kakophonie des menschlichen Leids immer wieder und wieder durch die Gassen fließen zu lassen.

Es schien kein Ende zu geben, keinen Ausweg. Sie waren wie eine unsichtbare Plage, die über die Erde raste und alles mit sich mitriss, was sie zu fassen bekam. Und eines Tages traten die Ersten unserer Art aus dem Nichts auf den Spielplan. Sie waren die ersten Jujuzisten unserer Welt und metzelten gnadenlos alle Flüche nieder, die sie finden konnten. Woher sie kamen, weiß man nicht genau. Aber es gibt Gerüchte, alte Legenden, die besagen, dass die Wahrheit im Gesang des Windes liegt. Und dass er in stürmischen Gewitternächten das Lied der Mutter singt, die das Leid ihrer menschlichen Schöpfung nicht mehr mitansehen konnte und sich daraufhin selbst die Augen aus dem Schädel riss. Blutend und blind soll sie durch die Gassen geirrt sein, bis sie auf eine kleine Gruppe Menschen stieß, die sie aufgenommen haben. Zum Dank teilte sie ihr Blut mit ihnen und soll sie so zu dem gemacht haben, was sie am Ende waren.

Ancient Love (Sukuna X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt