Kapitel 93

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Die kommenden Stunden verbrachte ich damit, das ganze Haus auf den Kopf zu stellen und je mehr Zeit verging, umso besorgter wurde ich. Von Sukuna war keine Spur zu finden, es war, als hätte ihn der Erdboden verschluckt. Ich durchsuchte jeden Raum, den Keller, den Dachboden, sah im Stall und sogar in Muris Baumhaus nach. Aber ich konnte ihn nirgends finden und die Vorwürfe in mir wuchsen und wuchsen. Womöglich hätte ich mich mehr Mühe geben müssen, zu erzählen, was vorgefallen war, hätte mehr ins Detail gehen müssen. Fujis Worte hallten in meinem Geist nach, brannten sich förmlich darin fest. Wie hatte ich da nicht früher draufkommen können. Ich hätte an Sukunas Stelle sicher nicht anders reagiert, wäre ich diejenige, die innerhalb von Minuten mit Grund auf neuen Verhältnissen konfrontiert worden wäre. Er hatte es zwei Wochen lang mit Fassung getragen, hatte sich nichts anmerken lassen und sich bemüht, alles so beizubehalten, wie es gewesen war. Aber meine Unterhaltung mit Izumi im Innenhof unter dem verflixten Kirschbaum schien das Fass zum Überlaufen gebracht zu haben.

Das Ende meiner Suche und die damit verbundene Verzweiflung führte mich schließlich auf die Straße, hinunter in die Stadt. Womöglich war Sukuna in die Höhle geflohen, um seine Wut im Griff zu haben, sollte er es nicht mehr schaffen, sich zu kontrollieren. Auf den überfüllten Straßen nahm ich mir einen Moment, um das rege Treiben auf mich wirken zu lassen. Als ich zuletzt in Kyoto gewesen war, war es niedergebrannt, fluchverseucht und blutgetränkt gewesen, gespickt von Leichen und deren Überresten. Die Straßen jetzt wieder belebt erleben zu dürfen machte mir erneut bewusst, warum wir hier waren. Um exakt jenes Blutbad, dass Kyoto dem Erdboden gleichgemacht hatte, in Tokyo in 1000 Jahren zu verhindern. Aber das zu schaffen war ohne Sukuna wohl kaum möglich. Nicht, solange Suka frei durch die Welt tingelte und sich die Finger danach leckte, dass wir einen Fehler machten.

Im Park angekommen lief ich ohne Umschweife auf den Wasserfall zu, grüßte auf dem Weg höflich all die Leute, die mich als Teil des Ryomenhaushalts erkannten und sich verbeugten. Es waren erstaunlich viele und als ich das kleine Tal samt Wasserfall erreichte, wusste ich mit einem Blick, dass Sukuna nicht in der Höhle hinter dem Wasserfall war. Dafür saßen zu viele Leute in der Nachmittagssonne am See und unterhielten sich. Kinder turnten über die Wiese oder plantschten im See. Sukuna hätte es niemals unbemerkt hinter den Wasserfall geschafft, genauso wenig wie ich.

Scheiße.

Eine letzte Hoffnung blieb mir noch, also machte ich am Absatz kehrt und verließ den Park schnurstracks in Richtung des Arbeiterviertels. Schon nach einigen Metern stiegen mir die Dämpfe der Gerbereien in die Nase, meine Augen begannen zu tränen. Aus Angst um meine Gesundheit und damit verbunden der des Kindes drückte ich mir den Ärmel meines Kimonos vor Mund und Nase und sah zu, dass ich die Gerbergasse schnellstmöglich wieder verließ. Izumi wäre zwar durchaus finanziell dazu in der Lage, in eine schönere Gegend zu ziehen. Aber als ich ihn einmal nach Hause begleitet hatte, hatte er mir gesagt, dass er sich hier weitaus wohler fühle. Er könne nicht gut mit all dem schicken Firlefanz. Daran schien das Aufwachsen in der Ryomenvilla nichts geändert zu haben und so hatte er eine kleine Wohnung inmitten des Arbeiterviertels bezogen, angelegt auf einem kleinen Hang, von dem aus man die Hauptstraße beobachten konnte.

Nachdem ich erst einmal bei ihm zuhause gewesen war, und dass auch nur bis vor die Haustüre, hatte ich Sorge, die Wohnung unter all den vielen Häusern am Hang nicht finden zu können. Die kleine Traube Soldaten in kaiserlichen Farben fand ich dann aber nur vor einer Türe und steuerte sie auch gleich an. Die bewaffneten Männer kannten mich schon und als sie mich auf die Wohnung zueilen sahen, hob einer von ihnen die Hand und klopfte an die Türe. Fujis orange Augen schimmerten, als er mich vor der Türe stehen sah, sein Blick huschte über meine Schulter zurück in die Gasse, aus der ich eben gekommen war. Er nickte kurz in ihre Richtung, zog mich dann ins Haus und schloss die Türe. Davor wurde Trubel laut und als ich aus einem der kleinen Fenster spähte, konnte ich sehen, wie zwei der Soldaten zwei verlumpte Männer abführten. „Du solltest nicht allein durch die Stadt laufen, kleines Täubchen. Dein hübscher Kopf ist viel Geld wert." Brummte er und führte mich eine kleine Treppe hinauf in ein geräumiges, wenn auch unordentliches, Wohnzimmer.

Enttäuschung flutete mich, als ich Sukuna nirgends entdecken konnte und so blieb ich am Treppenabsatz stehen. „Ich ... ich hatte gehofft, dass Sukuna hier ist." Sagte ich leise und folgte Fuji zum Sofa. Der Kaiser ließ sich zwischen zerknitterte Schriftrollen und leere Krüge plumpsen und schüttelte bedauernd den Kopf. „Dann ist er also weggelaufen? Das ist eine seiner Eigenarten. Er isoliert sich gern selbst, wenn er wütend und verzweifelt ist." Der Grauhaarige angelte einen, wohl frischen, Krug vom kleinen Beistelltisch, der Geruch von Sake füllte die Luft. „Aber das ist ja nichts Neues." Seufzend kippte er einen Sake herunter, wischte sich über den Mund und linste dann an mir vorbei. „Du siehst echt scheiße aus, mein Freund. Und Sukuna hat sich noch zurückgehalten." Fuji hatte Recht, Izumi sah schrecklich aus. Sein rechtes Auge war so lila wie eine Aubergine, seine aufgeplatzte Lippe geschwollen, genauso wie die Platzwunden in seinem Gesicht. Er humpelte nach wie vor und ließ sich mit einem Stöhnen auf dem Sofa nieder, wo er sich mit einem Lappen den Rest Blut von der Brust wischte. Seine Finger zitterten, als er ihn schließlich zur Seite legte und die Augen schloss.

„Ich glaube, dass er das nur mit Müh und Not hat." Izumis Worte klangen erschreckend niedergeschlagen, seine bernsteinfarbenen Augen huschten zu mir, als er sich ebenfalls Sake in ein kleines Schälchen kippte und in die Hand nahm. „Da haben wir uns aber was eingebrockt, Kleines." Mit Schwung kippte er den Sake hinunter und schenke sich mit seiner gebrochenen Hand so gut es ging, nach. Fuji und ich sahen ihm stumm bis Sake Nummer fünf dabei zu, bis Fuji ihm den Krug schließlich abnahm und auf einer der wackeligen Kommoden abstellte. „Ich glaube, dass uns Trinken jetzt nicht hilft." Mit einem lauten Klirren zerbarst das kleine Sakeschälchen hinter mir an der Wand in viele kleine Scherben, der Frust in Izumis Augen flackerte hell.

„Scheiße verdammt nochmal!"

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Heute ein sehr spätes Kapitel, früher hab ich es leider nicht geschafft!

Ich wünsche euch morgen einen erholsamen Feiertag :D

Eure Erin xx

Ancient Love (Sukuna X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt