Kapitel 62

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In den folgenden Tagen prasselten derart viele Informationen auf mich ein, dass ich Mühe hatte, sie alle und den Schock noch dazu zu verarbeiten. Während ich in der Vergangenheit ein gutes Dreivierteljahr verbracht haben musste, waren hier, in der Gegenwart, schon eineinhalb Jahre vergangen und zum ersten Mal war ich irgendwie dafür dankbar, niemanden mehr aus meiner Familie, geschweige denn Freunde zu haben. So hatte sich wenigstens niemand zu Tode gesorgt in der Zeit während meines Verschwindens. Die Ärzte hatten mich noch einige Tage im Krankenhaus behalten wollen und so war der Weg zu Izumi nie weit gewesen. Er hatte die OP allem Anschein nach überstanden und lag jetzt auf der Intensivstation, auf der ich ihn jeden Tag seit gut einer Woche besucht hatte. Eine der Intensivschwestern half mir, wie jeden Tag, in die sterile Kleidung der Station und führte mich dann zu Izumis Zimmer. Meine Hände zitterten, als ich die Tür öffnete, das stete Piepen allerlei Geräte hieß mich erneut in dem kleinen Zimmer willkommen. „Er schläft nach wie vor, Frau Melantha. Aber sonst ist er so stabil wie es sein Zustand erlaubt und wir konnten das Beatmungsgerät abnehmen. Die Chancen stehen gut, dass er bald aufwacht." Sie rückte mir einen Stuhl an Izumis Bett und deutete dann auf die Klingel. „Hier drücken, sollte etwas sein. Ich bekomme aber auch so mit, wenn etwas passiert. Dann geht die Klingel im Schwesternzimmer los." Sie deutete auf die Geräte. Ich nickte ihr dankbar zu. „Vielen Dank." „Aber gern." Sie drückte sanft meine Schulter und ließ mich dann mit dem schlafenden Izumi allein.

Etwas ratlos sah ich ihn an und nahm dann nach einer Weile seine dick verbundene Hand. Seine Haut war ganz trocken, dünn wie Papier und war nach wie vor weiß, trotz der Blutspenden, die er bekommen hatte. Das passte gar nicht zu seiner sonst üblichen Bräune. Nachdem es sonst niemanden gegeben hatte außer mir, der ihn kannte, hatte ich alle Einwilligungen unterschrieben und die Ärzte ihre Arbeit tun lassen. Dicke weiße Verbände schauten aus den Ärmeln seines Krankenhaushemdes heraus, auch sein Gesicht wurde von einem großen dicken Pflaster geziert, dass die Narbe verdeckte. So wie ich das verstanden hatte, hatte sich der plastische Chirurg des Krankenhauses an seinem Gesicht die Finger wundgearbeitet und die Chancen standen gut, dass die Narbe, obwohl sie ein zweites Mal von Suka aufgerissen worden war, gut heilen würde. Womöglich würde sie sogar besser aussehen als vorher, jetzt, wo ein Profi am Werk gewesen war. Doch was mich beruhigte war der Umstand, dass sich seine Brust in regelmäßigen Abständen hob und senkte, auch die Atemmaske beschlug regelmäßig. Die Beatmung war zum Glück wirklich nicht mehr notwendig und nur angeschlossen worden, nachdem er einige Stunden nach der OP kollabiert war. Darum lag er auch noch auf der Intensivstation.

Um ihn im Auge zu behalten.

Jetzt bekam er lediglich noch reinen Sauerstoff, atmen konnte er wieder von allein. „Dir wird es bald wieder besser gehen, Izumi. Das verspreche ich dir." Meine Stimme klang in dem kleinen Zimmer schrecklich laut, also senkte ich meine Stimme und starrte an die weiße Wand. „Es ist so viel passiert und ich weiß gar nicht, wie ich dir das alles erklären soll, wenn du aufwachst." Sagte ich schniefend und strich mit dem Finger über den dicken Verband an seiner Hand. „Für mich ist das hier ... der Alltag, weißt du? Ich bin so großgeworden, hier groß geworden und es ist so schwer, etwas zu erklären das für einen so selbstverständlich ist wie atmen." Ich wischte mir mit der behandschuhten Hand über die Augen. „Und die Wahrheit ist, dass ich Sukuna so schrecklich vermisse, ich ... ich ... und Fuji ist tot und das jetzt irgendwie auch schon so lange und es war aber irgendwie auch erst vor einer Woche ... und schwanger ... schwanger bin ich auch noch ..." meine Gedanken fuhren Achterbahn, mein Gehirn versuchte verzweifelt, alles zu ordnen, als ich mit meiner Hand über meinen Bauch strich. „Und so wie ich in deiner Zeit festgesteckt bin, steckst du jetzt in meiner fest und ich habe so Angst, dass du das nicht verkraftest." Mit zitternden Händen stand ich auf und trat ans Fenster, vor dem sich die Hochhäuser Tokyos entlangzogen. „Für mich war es leichter, mich an die neuen Umstände zu gewöhnen, einfach, weil es die Vergangenheit war. Das kannte ich alles irgendwie. Wenn auch nur aus Büchern, Dokumentationen oder der Schule." Ein bitteres Lachen kam mir über die Lippen. „Aber wie soll ich jemandem aus dem Jahr 1000 erklären, was ein Flugzeug ist? Ein Handy, oh Gott, ein Auto?"

„Elea ..."

Als ich mich umdrehte, sah Izumi mich an. Seine Haut schmiegte sich eng an seinen Schädel und ließ ihn wirken, als wäre er näher am Tod als am Leben. Aber seine bernsteinfarbenen Augen funkelten, als er mich ansah ... und dann realisierte, was da auf seinem Gesicht hing. Mein Name war nur dumpf durch die Atemmaske gedrungen, die er sich jetzt mit den bandagierten Händen vom Gesicht ziehen wollte. Blanke Panik flammte in ihm auf, als er es nicht schaffte. „Was ist da, Elea? Was ist das in meinem Gesicht?!" er steigerte sich immer weiter in seine Panikattacke rein, so weit, dass ich den Knopf drücken musste. „Izumi!" ich angelte seine Hände aus seinem Gesicht und hielt sie fest. „Es ist alles okay! Das hilft dir beim Atmen." Beruhigend strich ich ihm über das nassgeschwitzte Haar. „Ganz ruhig! Ich bin da, bitte, vertrau mir." Seine Augen waren weit aufgerissen, die Maske beschlug immer schneller als er begann, zu hyperventilieren. „Es kommen gleich Leute, die dir helfen, ja? Hab keine Angst und vertrau mir einfach. Ich erkläre dir alles, das verspreche ich dir. Aber du musst dich beruhigen, bitte."

Schon ging die Türe auf, zwei Schwestern und der Stationsarzt kamen in das kleine Zimmer gestürmt. Ich war so klug gewesen, mir den Mundschutz vom Gesicht zu ziehen, bevor ich mich zu Izumi umgedreht hatte, damit er sah, dass es wirklich ich war. Doch das taten der Arzt und die Schwestern natürlich nicht, als sie sein Bett umringten und ich wollte gar nicht wissen, wie sie in dem Moment, voll vermummt, auf Izumi gewirkt haben mussten. Wahrscheinlich wie echte Monster. Sein Angstschrei hallte durch die ganze Station, wir brauchten noch zwei Schwestern und einen Pfleger, um ihn zu sechst so ruhig zu halten, dass der Arzt ihm das Beruhigungsmittel spritzen konnte. Verzweifelt sah ich dabei zu, wie das Mittel zu wirken begann und Izumi nicht verstand, was da gerade in seinem Körper passierte und warum er langsam wieder einschlief.

„Elea ... nein, bitte ... es soll nicht wieder dunkel werden ..."

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Unnnd Kapitel 62 heute noch. Ich wollte euch nicht so lange hängen lassen :D

Eure Erin xx

Ancient Love (Sukuna X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt