Das einige Tage ins Land zogen, bekam ich so gut wie gar nicht mit. Dafür war das Leben zu ruhig, zu lebenswert. Schlichtweg zu paradiesisch. Izumi und ich hatten festgestellt, dass wir grob zwischen den Geschehnissen des Höhlenlabyrinths und dem Ratstreffen gelandet waren, dass wohl jetzt nicht mehr stattfinden würde. Immerhin hatte das uns ins Verderben geführt und den Stein erst so richtig ins Rollen gebracht. Drum riefen wir es gar nicht erst ins Leben. Wir alle hatten beschlossen, Muri nichts von meiner und Izumis Zeitreise zu erzählen. Das war das Beste für den Jungen und die Wahrheit würde ihm wohl nicht mehr bringen als Irritation und Unsicherheiten. Drum behielten wir alles für uns. Das machte es auch für mich einfacher, wann immer ich etwas mit Muri unternahm. In seinen Augen lag nicht dieses unterschwellige Mitgefühl, so wie in den Augen der anderen. Sogar Sukuna sah mich ab und zu so an. Nicht oft. Aber manchmal erwischte ich ihn dabei, wie er mich doch recht ... unsicher betrachtete. In den Augen des Jungen dagegen lag stets unbändige Freude und Großherzigkeit und er gab sich große Mühe, sich schon erwachsen und stark zu geben. Immerhin würde er bald nicht mehr der Kleinste sein und die Vorstellung, so eine Art großer Bruder zu werden ließ Muri vor Stolz fast platzen.
„Elea?" Muris große, grüne Augen blickten zu mir auf, als er mich in Richtung einer Bank schob. „Du solltest dich hinsetzen. Du siehst müde aus. Und durstig! Wie gut, dass ich an alles gedacht habe." Muri packte strahlend den Jutebeutel aus, den er schon seit Beginn unseres Gartenspazierganges mit sich mitschleppte. Er schien die halbe Küche in den Beutel gestopft zu haben, lauter zerknautschte Kuchenstückchen, Pastetenteilchen und ein Krug Wasser wurden neben mir auf der Bank aufgereiht. „Hier!" Muri drückte mir den Krug und ein Stück Pastete in die Hand und sah dabei zu, wie ich abbiss. „Weiß Yarana, dass du die Küche geplündert hast?" auf mein Grinsen hin schüttelte er den Kopf. „Nein. Aber sie würde es verstehen! Ist doch für das Baby." Sagte er und biss ebenfalls in ein Stück Pastete. „Es muss doch groß und stark werden, so wie ich!" lächelnd strich ich ihm das schwarze Haar aus der Stirn. „Das kann es ja nur werden, wenn du so auf mich Acht gibst." Muris Brust schwoll vor lauter Stolz an, seine Augen folgten meinem Finger, als ich quer durch den Garten auf Kiyo zeigte, der in einem der Bäume saß und ihn mit einer Säge stutzte. „Wie wärs, wenn du Kiyo auch etwas zu Essen bringst? Die Ahnen wissen, ich schaffe das nicht alles und Kiyo sitzt schon den ganzen Vormittag im Baum. Du würdest ihm sicher eine Freude machen." Muri sah wieder mich an und zog tadelnd die Augenbrauen zusammen. „Aber ich kann dich doch nicht allein lassen!"
„Ich weiß zu schätzen, dass du dir Sorgen machst. Ich werde auch nur ins Bett gehen und mich ausruhen. Seit Neustem bin ich immer schnell müde." Muri schien einige Momente lang abzuwägen, ob er mir das durchgehen lassen konnte oder nicht. Letztendlich entschied er sich dafür, stopfte alles wieder in den Beutel und wanderte, dicht gefolgt von den beiden Katern, in Richtung Kiyo. „Na gut. Aber ich schau später nach dir!" Lächelnd erwiderte ich sein aufgeregtes Winken und lief durch den blumenduftgetränkten Garten zurück in Richtung Haus. Bis zur Treppe hoch zu den Schlafzimmern schaffte ich es gar nicht, Bewegung im Innenhof erregte meine Aufmerksamkeit. Als ich die große Schiebetüre öffnete, sah ich Izumi vor dem großen Kirschbaum stehen. Seine Hand strich über die dicke Rinde des Baumes, genau an den Stellen, an denen damals die Nägel gesteckt hatten. Doch davon war nichts mehr zu sehen, die Rinde war glatt und unversehrt. Das er denselben Gedanken hatte verriet mir sein Blick, den er jetzt seinen vernarbten Händen schenkte. „Izumi? Ist alles gut bei dir?" er drehte sich auf meine Worte hin noch nicht mal um, sondern nickte bloß. Das Holz der Verandastufen knarrte unter meinen Sandalen, als ich hinunterstieg und neben ihm stehen blieb. „Du hast es mir nie durchgehen lassen, meinen Schmerz einfach runterzuschlucken, weißt du. Du wolltest immer, dass ich darüber mit dir spreche." Ich hob den Kopf und sah ihn an, sah die Muskeln in seinem Kiefer zucken. „Und das verlange ich jetzt auch von dir. Und wenn es dauert, dann dauert es. Ich muss heute nirgends mehr hin und kann mich ganz dir und deinen Sorgen widmen."
Das Holz der kleinen Bank war erfreulich kühl, als ich mich darauf niederließ. Dank der weiten Äste des Kirschbaumes kam die Sonne nie ganz bis an den Stamm und so war es hier zu jeder Tages- und Nachtzeit angenehm kühl. „Ich ..." Izumi unterbrach sich selbst und schluckte, ich konnte seinen Adamsapfel hüpfen sehen. „Es ist irgendwie alles weg, Elea. Ich trage die Beweise für mein Leid auf meiner Haut, aber hier ... hier ist alles weg, was daran erinnern könnte. Was beweist, dass es echt ist. Echt war. Fast so, als hätte man diesen Teil unserer Geschichte aus dem Buch gerissen und an eine willkürliche Stelle gesetzt, die außer uns keiner erreichen kann." Er hob den Blick, der Bernstein in seinen Augen glühte hell.
„Manchmal habe ich das Gefühl, der Rest sei fest davon überzeugt, mich zurück in ein normales Leben bemitleiden zu können."
Mir war das Gefühl, dass Izumi quälte, mehr als vertraut. Auch mich verfolgte es seit dem ersten Tag hier, klebte an mir wie ein zweiter Schatten. Dieses Gefühl, irgendwie fremd zu sein, anders als der Rest. Das wir zwei die einzigen waren, die die letzten zwei Monate erlebt hatten, hatte uns eng zusammenschweißt. Aber so wie es aussah, hatte es uns auch ein Stück von den anderen entfernt. Und diese Kluft galt es zu überwinden. Natürlich wussten sie alle, was passiert war. Aber Erzählungen konnten all dem Schmerz und Leid nicht gerecht werden. Sie alle konnten nicht nachfühlen, was vorgefallen war, wussten nicht, wie es war, seine Liebsten sterben zu sehen.
Ich lehnte meinen Kopf an den Stamm und sah dabei zu, wie die Sonnenstrahlen durch die hellen Blüten tanzten. „Ich glaube, dass uns das unser Leben lang von den anderen unterscheiden wird. Wir haben einen Teil von ihnen sterben sehen, aber sie? Sie hatten uns immer um sich herum, keiner von ihnen hatte Sorge, dich oder mich an den Tod zu verlieren." Endlich sah Izumi mich an. „Ich glaube, dass es für sie auch schwer ist." Sagte ich leise und sammelte die Blüten auf, die auf die Bank gefallen waren. „Aber eine andere Art von schwer. Sie leiden auch, jeder einzelne, aber eben anders als wir. Wir leiden unter dem, was wir erlebt haben. Und sie leiden, weil wir leiden. Und weil sie nicht wissen, wie sie mit uns umgehen sollen. Man kann Schmerz nicht heilen, den man nicht kennt."
Izumi sah mich lange an und vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Wann bist du so weise geworden, Kleines?" schmunzelnd stand ich auf und nahm ihn in die Arme. „Halt die Klappe und lass zu, dass ich für dich da bin. Ich möchte da nicht allein durch und auch dir tut es gut, wenn du das nicht musst. Also hol mich bitte das nächste Mal, wenn du das Gefühl hast, das dich das alles erdrückt." Izumi nickte und strich mir lächelnd eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Das werde ich. Danke."
„Elea. Du solltest dich wirklich hinlegen." Sukuna stand auf der Veranda und sah zwischen mir und Izumi hin und her. Sein darauffolgendes Lächeln kam bei mir recht erzwungen an. „Ruh dich aus, bitte. Du hast es nötig." Ich warf Izumi einen letzten, aufmunternden Blick zu, bevor ich mich aus unserer Umarmung löste und neben Sukuna stehen blieb. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und drückte dem Rotäugigen einen Kuss auf die Wange. „Eine gute Idee, dass hatte ich sowieso vor. Aber Izumi hat mich aufgehalten." Ich kicherte leise und strich Sukuna über die Brust. „Das sehe ich." Antwortete er und öffnete mir die Türe.
„Wir sehen uns später."
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Abends zu veröffentlichen scheint mein neues Ding zu werden xD
Aber ich empfinde das als schönen Ausklang des Tages, für euch ein neues Kapitel zu schreiben und euch damit im besten Fall den Abend zu versüßen :D
Eure Erin xx
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Ancient Love (Sukuna X MC)/FanFiction
Fanfiction18+ Holt die Vergangenheit dich ein? Oder kommst du ihr zuvor? Elea war schon immer eine Weltenbummlerin. Nie hatte sie etwas lange an einem Ort gehalten. Immer hatte es sie weitergezogen, von Land zu Land, von Stadt zu Stadt. Bis ihr Weg sie schli...