Kapitel 100

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Es hatte keine Worte des Abschiedes gegeben in der Zelle des kleinen Mädchens. Stattdessen hatte das Knacken der brennenden Holzscheite die Stille erfüllt, bis es schließlich von der lieblichen Kinderstimme unterbrochen worden war. „Fluchprinz." Sukuna war wie erstarrt, ich hatte sehen können, wie er Gänsehaut bekam, als das Kind ihn ansprach. Die dunklen Male auf seiner Haut wirkten im Licht des Feuers noch dunkler, als er sich umdrehte und das Mädchen in seinem Schaukelstuhl ansah. Nach wie vor saß es mit dem Rücken zu uns und starrte mit seinen leeren Augenhöhlen in die züngelnden Flammen. „Der Kampf gegen seine Dämonen ist der einzige Kampf eines irdischen Lebens, der wirklich zählt. Besiegst du sie, besiegst du die Welt." Es hatte schon fast liebevoll über die schimmernden weißen Knochen der Katze gestrichen, als es etwas den Kopf hob und zu lächeln schien.

„Vergiss das nicht."

Wir hatten uns, kaum dass wir die Zelle verlassen hatten, sofort in Bewegung gesetzt, ohne auch nur einmal zurückzublicken. Doch weit kamen wir nicht, bis die liebliche Stimme des Mädchens durch den Gang hallte. „Fujiwara no Michinaga." Fuji blieb wie angewurzelt stehen, seine orangen Augen zuckten nervös von links nach rechts, als er sich umdrehte. „Du vergisst es doch nicht, nicht wahr? Du hast es mir versprochen." Der Kaiser schüttelte so heftig den Kopf, dass sein graues Haar mitwippte. „Nein, nein. Werde ich nicht." Das Mädchen nickte lächelnd. „Gut." Hastig lief Fuji weiter den anderen beiden hinterher und ignorierte meinen fragenden Blick. Gerade wollte ich ihm folgen, da zog es meinen Blick noch einmal wie magnetisch zurück zu der Türe, die sich langsam zu schließen begann. Das Mädchen war verschwunden, stattdessen stand im Türrahmen ein großgewachsener junger Mann mit pechschwarzen Haaren und rotglühenden Augen. Er legte den Kopf schief, ein rasiermesserscharfes Lächeln auf den Lippen, als er eine Hand hob und mir langsam zuwinkte. Gänsehaut rieselte mir den Rücken hinunter, verunsichert stolperte ich einige Schritte zurück und wartete mit angehaltenem Atem ab, was passierte. Doch nichts geschah und die Gänsehaut verschwand erst, als die Türe ganz geschlossen war und sich die Riegel wieder an ihren alten Platz bewegt hatten. Schnell wendete ich mich ab und eilte den langen Gang entlang.

Das Blut, dass uns allen ohne Pause aus den Haaren und aus der Kleidung tropfte, erreichte nie den Boden des langen Ganges, den wir jetzt schon seit geraumer Zeit in einvernehmlicher Stille entlangliefen. Stattdessen löste sich jeder rote Tropfen kurz über dem staubigen Boden in Luft auf, hinterließ keinen Beweis dafür, was hier unten geschehen war. Und auch unsere Anwesenheit in diesem Gefängnis würde keine Spuren hinterlassen. Der Staub, der den Boden zentimeterhoch bedeckte, verwischte nicht unter unseren Füßen, nicht ein Staubkorn wurde durch unsere Schritte aufgewirbelt, alles blieb genauso, wie es ist und wohl auch immer gewesen war.

Wie es immer sein würde.

Niemand hatte ein Wort gesagt, seit wir das blonde Mädchen verlassen hatten und auch, wenn viel passiert war, so hatte ich seltsamerweise trotzdem nicht das Gefühl, darüber sprechen zu müssen. Schlichtweg weil ich nicht wusste, wie ich das alles erneut in Worte fassen sollte. Und wenn ich mir die leeren Blicke von Fuji und Sukuna so ansah, bezweifelte ich, dass noch allzu viele Worte nach der heutigen Nacht nötig waren. Sie hatten gesehen, was passiert war, was Izumi und ich durchlitten hatten. Wie viele den Tod gefunden hatten aufgrund unserer Fehler. Wie zerbrechlich die Zukunft doch war, wie abhängig die Leben Einzelner von unseren Entscheidungen. Der Besuch hier unten war genauso hilfreich wie unheilvoll gewesen und ich konnte mir beim besten Willen nicht ausmalen, wie unsere Zukunft, die von jedem einzelnen von uns, aussehen würde. Seufzend wischte ich mir das Blut vom Kinn und beschleunigte meine Schritte. Ich wollte hier so schnell wie möglich raus, weg von diesem unheimlichen Ort, der wohl über Jahrhunderte, wenn nicht sogar Jahrtausende durch Leid und Schmerz verpestet worden war. So fühlte es sich zumindest an.

Sukuna fiel nach einer Weile zurück und bildete das Schlusslicht unserer kleinen Gruppe. Ihm schien aufgefallen zu sein, dass mir das leise Flüstern aus den Zellen Angst machte und nachdem es in seiner Gegenwart meist aufhörte, lief er jetzt stumm dicht hinter mir. Solange, bis ich ihn plötzlich nicht mehr hinter mir spüren konnte. Verwirrt drehte ich mich um, doch ich konnte ihn nirgends sehen. Dafür hörte ich, wie sich irgendwo ein Riegel löste.

„SUKUNA!"

Durch meinen Schrei aufgeschreckt rannten Izumi und Fuji hinter mir her, den Weg zurück, den wir gekommen waren. Durch die Stille echote das Geräusch eines zweiten Riegels, kurz darauf das des Dritten. Atemlos bog ich um eine der vielen Ecken und beinahe hätten die beiden Männer hinter mir mich über den Haufen gerannt. Wie vom Donner gerührt war ich stehengeblieben, starrte entsetzt die jetzt offene Türe an. Es war eben jene Türe, die Sukuna auf dem Weg hinein schon wie in Trance hatte öffnen wollen und es jetzt offensichtlich getan hatte. Von Sukuna selbst war keine Spur zu sehen. Wie hatten wir sie nur vergessen können, diese gottverdammte Türe?

„SUKUNA?"

Binnen Sekunden hatte ich die Türe erreicht, mein Herzschlag pulsierte schon fast schmerzhaft in meinen Ohren, als ich das gähnende schwarze Loch erreichte, dass sich hinter der Türe auftat. Eiseskälte strömte heraus, unterstrich die Dunkelheit, in der ich nur noch schemenhaft Sukunas weißen Kimono erkennen konnte, der immer weiter in das leere Nichts lief. „Elea! Bei den Ahnen, geh da nicht rein!" wäre Fuji eine Sekunde schneller gewesen, hätte er mich am Kragen zu packen bekommen. Aber er war zu langsam. Ohne nachzudenken, übertrat ich die Schwelle und rannte Sukuna hinterher. Womöglich konnte ich ihn holen, bevor was auch immer hier drin ihn erreichte. Bevor es ihn zu sich lockte. Hinter mir konnte ich Fuji und Izumi sich streiten hören, dicht gefolgt von zwei Paar Schritten, die zu mir aufholten. Das bisschen Licht, dass in unserem Rücken noch durch die Türe fiel, verschwand, als die Türe mit einem lauten Knall zufiel. Zähflüssig legte sich die Dunkelheit auf meine Haut, kroch mir in die Lunge und machte es schwer, zu atmen. Jeder Schritt wurde zur Qual und auch Fuji und Izumi schienen zu kämpfen zu haben, bis mit einem Mal ein gequälter Schrei die Schwärze zerriss.

Der Schrei einer Frau.

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Es ist soweit, wir haben die 100 Kapitel geknackt!

Vielen lieben Dank, dass ihr alle so weit gelesen habt und gespannt darauf seid, wie das alles hier enden wird!

Mucho Amore

Eure Erin xx

Ancient Love (Sukuna X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt