Kapitel 125

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Ich hatte Schwierigkeiten, mich aus meiner Starre zu lösen bei all den Eindrücken, die mich dazu einluden, noch etwas länger in dem tröstenden Schock zu verweilen der mir leise zuflüsterte, dass das alles nicht echt war. Aber das war es.

Echt.

Das viele Blut auf dem Boden und dem zertrümmerten Bett war echt. Sukuna, der stumm und ohne sich zu rühren auf das Bett starrte, war echt. Er hielt immer noch Teile der Matratze und des Bettgestells in den zitternden Händen. Yarana, die mit dem blutigen Laken in den kleinen Händen auf die Knie gesunken war und in Fujis Armen starr vor- und zurückwippte war echt. Kiyo, der, kaum das mit Akara das Zimmer betreten hatte, die junge Köchin auffing, als sie schreiend kollabierte, war echt. Hita, der nicht wusste was er tun sollte war echt. Izumi, der mit Tränen in den Augen über Muris Zeichnungen an der Wand strich war echt. Muri hatte sich und Izumi am Teich gemalt, auf dem sie immer ihre Boote hatten schwimmen lassen. Ich sah eine Zeichnung, die Muri und Sukuna beim Lesen einer Geschichte zeigte. Muri mit Kiyo auf der Pfirischplantage, die Hände voller Blätter. Ich konnte mich und die beiden Kater auf einem der Bilder erkennen und als mein Blick zusammen mit Izumi beim letzten Bild angekommen war, hörte ich meinen Freund leise schluchzen. Muri hatte uns alle auf ein großes Stück Papier gemalt, alle standen wir in einer Reihe im Garten nebeneinander und hielten uns an den Händen fest. Sogar die Katzen hatte Muri unter die große Überschrift gemalt. „Meine Familie" stand dort in seiner krakeligen Handschrift, die jetzt mit einigen kleinen Blutspritzern verziert war. Muri hatte es an dem Tag von unserem Gespräch gemalt und es uns allen stolz gezeigt, woraufhin Yarana ein Meer aus Tränen vergossen und Muri geholfen hatte, dass große Papierstück gerade an die Wand zu hängen.

Erneut ließ ich meinen verschleierten Blick über meine Freunde schweifen und schüttelte die Lügen, die der Schock mir zuflüsterte, langsam ab. Das Leid in diesem Zimmer war so echt wie etwas nur echt sein konnte und diese Erkenntnis trieb mich raus aus dem Zimmer, dass mir mit einem Mal zu klein vorkam, um all die Trauer und den Schmerz unterbringen zu können, geschweige denn richtig atmen zu können. Doch auch auf dem großen Gang neben dem großen hellen Fenster wurde es nicht besser und ich begann, zu hyperventilieren. Schwankend lief ich den Gang entlang, begleitet von kollektivem Schluchzen, dass in meinem Rücken langsam leiser wurde. Ich hatte mich schon oft in meinem Leben hilflos gefühlt, aber das hier? Das hier schien mich von innenheraus zu zerreißen und nichts zurückzulassen, dass ich je wieder würde zusammensetzen können.

Es war, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggerissen und ... nein. Nicht jemand. Ich hob den Kopf und hielt inne, spürte, wie die Wut in mir überkochte. Die Kommode, an der ich mich festklammerte, zerbrach mit einem lauten Krachen, als ich so viel Fluchkraft in sie pumpte, dass sie kurz nach dem Krachen zu Staub zerfiel.

Nicht jemand, nein.

Kenjaku.

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Die kommende Nacht war die Längste, die ich je erlebt hatte.

Der Tod hatte mich im vergangenen Jahr oft im Nacken gekitzelt, hatte mich immer wieder wissen lassen, dass er nie weit entfernt war und stillschweigend wartete, bis er am Zuge war. Ich hatte gewusst, dass er irgendwann wieder zuschlagen und das holen würde, was ihm zustand. So wie immer. Meine Oma hatte mir einmal erzählt, dass jeder Einzelne von uns einen Pakt mit dem Tod schließt, um leben zu dürfen. Und dass der Tod vom Moment unserer Geburt an immer wieder versuchen würde, zu betrügen. Zu leben war so schon schwer genug, gut zu leben noch schwerer und dem Tod zu entkommen am Ende trotzdem unmöglich. Und dennoch war es zu früh gewesen, viel zu früh.

Muri war noch ein Kind gewesen.

Niemand mehr verließ in den kommenden Stunden das Haus, nicht mal Akara, Izumi und Fuji, um nach Hause zu gehen. Die junge Köchin hatte mit zitternden Händen alle Kerzen zusammengesucht, die sie im Haus finden konnte und überall in Muris Zimmer aufgestellt. Fuji hatte ihr stillschweigend dabei geholfen und jede Kerze selbst angezündet, die Akara aufstellte. Zusammen waren sie durch das Zimmer gelaufen und Fuji hatte Akara immer wieder in den Arm genommen, wenn sie ungehemmt zu schluchzen anfing und sich kaum mehr auf den Füßen halten konnte. Ihre violetten Augen waren ganz gerötet und verquollen, als ihr Blick mich kurz streifte. Der helle Schimmer, der sie immer umgeben hatte, war tiefschwarzer Trauer gewichen, die Akaras Frohnatur im Keim erstickte.

Ancient Love (Sukuna X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt