Kapitel 133

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Von den Dächern der brennenden Häuser aus konnte ich das Spektakel unter uns in den Straßen dank unserem ungewöhnlichen Reittier nur schlecht beobachten. Der Pferdefluch raste mit einem Affenzahn über die Dächer, überwand die Straßen mit einem einzigen Satz und rannte immer weiter und weiter auf das Ende der Stadt zu. Mir wurde jetzt erst klar, dass keiner von uns wusste, wohin Sukuna die beiden Flüche mit uns im Gepäck geschickt hatte. Aber offenbar hinaus aus der Stadt. Doch trotz der Schnelligkeit des Pferdefluches bekam ich genug mit, um zu wissen, dass Kyotos Existenz auf der Kippe stand.

Die ganze Stadt kam mir vor wie ein einziges großes Déjà-Vu. Die Häuser brannten, Flüche stapften durch die Straßen und zogen die Menschen, die sich vor Angst bibbernd auf den Straßen verborgen hielten, aus ihren Verstecken. Der Tod war nie leicht in Worte zu fassen gewesen, doch jetzt, wo jeder menschliche Sinn mit ihm geflutet wurde, wurde einem mit jeder Minute, die verstrich, schlechter und schlechter. Mir zumindest. Es roch nach Blut und Verwesung, ich spürte den kalten Hauch der Unendlichkeit im Nacken, die knöchernen Finger des Todes, der nach meiner Seele griff. Ich sah das Leid der Menschen, die bis jetzt nichts von der Existenz der Flüche gewusst hatten, nicht wussten, was das für Wesen waren, die ihnen nach den Leben trachteten.

Ob es manche als eine göttliche Strafe der Ahnen erachteten? Für all die Sünden, die sie in ihren irdischen Leben begangen hatten, für all ihre Fehler?

Ob sie es als Strafe dafür erachteten, schlichtweg menschlich zu sein?

Mittlerweile füllten sich die Straßen schneller und schneller mit Flüchen und als ich in einer der in der Ferne liegenden Palisaden große Löcher klaffen sah wusste ich, wo der Fluchkönig den Rest seiner Armee positioniert hatte. Rund um Kyoto herum. In mir schwand die Hoffnung mehr und mehr, dass Sukunas Plan, uns aus der Stadt zu schaffen, noch Aussicht auf Erfolg hatte. Mit einem Mal ging ein Ruck durch die Flüche unter uns auf den Straßen, als Sukunas Befehl auch endlich die Stadt am Fuße des Kaiserbergs erreichte und sich die Flüche gegeneinander wendeten. Das Haus, auf dessen Dach wir uns befanden, begann zu knacken, als sich ein großer Fluch aus dem Boden unter dem Haus schälte und den Teil des Hauses, der noch vor uns gelegen hatte, zum Einstürzen brachte. Trümmerteile, Holzbretter und Glassplitter flogen durch die Luft und ritzen mir das Gesicht auf, als der Pferdefluch unter uns den Halt verlor und zu straucheln begann. Das erste Mal war ich dankbar, dass das Vieh keine Hufe, sondern stattdessen Hände hatte, mit denen es sich an einem der noch stehenden Dachbalken festklammerte. Er schien abzuschätzen, ob die Dächer noch sicher waren, doch als um uns herum immer mehr Häuser unter dem hellen Feuer kollabierten, entschied er sich um. Mit einigen waghalsigen Sprüngen landeten wir, dicht gefolgt von Hita und Cadis, auf der blutnassen Straße, mitten in einer großen Pfütze, die uns alle bei der Landung mit Blut verzierte.

„Alles in Ordnung?" Izumis besorgte Stimme strich über mein Ohr, als er seine Hand ausstreckte und all die Flüche mit Fluchkraft auf Abstand hielt, die uns zu nahekommen wollten. „Ich ... ich weiß nicht ..." weiter kam ich gar nicht, als mit einem Mal meine Schenkel und alles um mich herum nass wurde und das Fruchtwasser vom Rücken des Pferdefluches tropfte. Fast sofort spürte ich einen mir unbekannten Schmerz, der mich dazu zwang, meine Finger in die Mähne des Fluches zu graben. Izumi, der das Platzen der Fruchtblase erst merkte, als das Bein seiner Hose nass wurde und er mein unterdrücktes Stöhnen hörte, stieß ein Geräusch aus, dass ich nicht deuten konnte. „Das ist der schlechteste Zeitpunkt, den sich das Kind hätte aussuchen können." er griff um mich herum, packte den Pferdefluch an der glibberigen Mähne und lenkte ihn abrupt in eine andere Richtung. „Wir kippen Sukunas Plan. Wir hätten es so oder so nicht mehr aus der Stadt geschafft." Er nahm mein Kinn und zwang mich, in den Himmel zu blicken. Ein riesiger schwarzer Schleier, der mich an die Arenen in meiner Zeit erinnerte, öffnete sich über der Stadt und würde binnen Sekunden alles und jeden in ihr versiegeln. Das war es also, was Kenjaku noch hatte erledigen müssen. „Und jetzt hätten wir es noch viel weniger geschafft. Du musst irgendwo hin, wo es sicher ist." Zumindest so sicher, wie es hier in Kyoto aktuell sein konnte. Ich sah die Sorge in Izumis Augen schimmern, als er den Schmerz und die Angst in meinem Gesicht sah. Er signalisierte Hita und Cadis, uns zu folgen. Die beiden holten auf ihrem Fluch schnell zu uns auf, brauchten auch keine Erklärung über das, was passiert war, als sie mich sahen. Seite an Seite galoppierten die beiden Flüche durch die überfüllten Straßen, kletterten teils erneut die Häuser hinauf, nur um an eingestürzten Häusern wieder auf die Straße gezwungen zu werden.

Der Pferdefluch unter mir stieß ein wütendes Fauchen aus, als sich ein großer Fluch mit drei Armen und mehr Mündern als ich zählen konnte aus der Menge löste und auf uns zu rannte. Izumi hinter mir zückte seine Dolche und war bereit, abzuspringen, als der Pferdefluch das Maul aufriss und eine gewaltige Zunge herausschoss, an deren Ende eine Hand mit zu vielen Fingern und langen Nägeln hing. Mit einem einzigen Schlag drang die Zunge in die Brust des Fluches ein und riss ihm so lange Innereien und Knochen aus dem Körper, bis er zu Boden sackte und der Pferdefluch seine Überreste platttrampelte, als wir den toten Fluch passierten. Mittlerweile hatte ich eine Ahnung, wohin Izumi uns brachte und als er Hita und Cadis zu uns heranwinkte und sie mit uns verschleiert den Park betraten, hatte ich Gewissheit.

Der Park war bei Weitem nicht so überfüllt wie die Stadt an sich, was mitunter sicher daran lag, dass hier nicht so viele Menschen waren wie auf den Straßen. Dennoch hatten sich einige Flüche hierher verirrt und nachdem man Sukunas Flüche optisch nicht von denen des Fluchkönigs unterscheiden konnte, ging Izumi kein Risiko ein und hielt uns verschleiert, bis wir in der Höhle hinter dem Wasserfall angekommen waren. Izumi hatte die Flüche ein ganzes Stück in die Höhle hineingetrieben, bevor er sie anhalten ließ. Von hier aus konnte man den Wasserfall noch glitzern sehen, allerdings war der Abstand lang genug, um eindringende Flüche rechtzeitig noch erkennen zu können. Sanft hob Izumi mich von dem Fluch herunter und ließ sich klaglos von mir die Hand quetschen, als ich von einer neuen Wehe überrollt wurde und mich an dem Fluch abstützte. Hita und Cadis zogen sich schnell ihre Kimonos aus, dicht begleitet von Izumi. Die drei verteilten ihre Kimonos auf dem kalten Steinboden und halfen mir, mich hinzusetzen, bevor Hita und Cadis mich etwas ratlos ansahen. Beide schienen von Geburten ungefähr so viel Ahnung wie ich selbst zu haben. Doch Izumi riss seine Trinkflasche von seinem Gürtel ab und wies Hita an, Wasser zu holen. „Soll noch wer sagen, meine Kindheit im Bordell sei nur schlecht gewesen." Murmelte er und ließ meine Hand nicht mehr los, auch nicht, um mir mit der anderen den Schweiß von der Stirn zu wischen. „In meiner Zeit dort sind so einige Kinder auf die Welt gekommen." Der Bernstein in seinen Augen begann, zu leuchten, als Hita ihm das Wasser reichte. „Bis jetzt sind keine Flüche vor der Höhle. Aber ich werde vorne warten." Er deutete über seine Schulter auf die beiden Flüche, die träge in der Ecke standen und durchschnauften. „Nur für den Fall, dass die beiden nicht ganz so aufmerksam sind." Sagte er und setzte sich nahe dem Wasserfall auf exakt jenen Stein, auf dem ich bei meinem ersten Besuch hier auch gesessen war.

In dieser verfluchten Nacht.

Tränen brannten mir in den Augen, als die nächste Wehe kam und ich erneut Izumis und Cadis' Hände zerquetschte. Dem Nekromanten stand die pure Überforderung ins Gesicht geschrieben und wenn man bedachte, dass der Tod sein ständiger Begleiter war, konnte ich es ihm noch nicht mal übelnehmen. Kolki hatte es sich auf Cadis' Schulter bequem gemacht und pikte immer wieder wütend gegen den dicken Eisenring, der Cadis' Narbe mittlerweile blutig aufgerieben hatte. „Ob ... ob Sukuna noch kommt?" meine leise Frage stieß auf Verständnis, entlockte aber keinem von Beiden eine Antwort. Weil sie wussten, dass ich die Antwort schon längst kannte. Izumi strich sich das dunkle Haar aus dem Gesicht und schien zu überlegen. „Im Bordell hat man immer Geschichten erzählt, bis es so weit war und das Kind auf die Welt kam. Das hat die Frauen abgelenkt." Und als ich erschöpft nickte, begann Izumi, zu erzählen.

Ancient Love (Sukuna X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt