Kapitel 124

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Der Weg zurück zur Villa wollte und wollte nicht kürzer werden. Mein Herz flatterte wild in meiner Brust und das Blut rauschte mir so laut in den Ohren, dass ich die empörten Rufe der Leute um mich herum kaum wahrnahm. Achtlos stieß ich sie alle aus dem Weg, ignorierte die wüsten Beschimpfungen und hechtete so gut ich konnte allein die lange Hauptstraße entlang, auf den Kaiserberg zu, der im hellen Morgenlicht schimmerte wie pures Gold. Einem echten Märchen entsprungen. Immer wieder dachte ich an das groteske Grinsen auf Muris Gesicht, daran, wie er samt der lachenden Kindermenge aus dem Park und in der Stadt verschwunden war. Es konnte gut sein, dass mir meine Fantasie nur einen Streich gespielt hatte. Ich hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, war grundsätzlich ausgelaugt und erschöpft und hatte mit den Nebenwirkungen der Schwangerschaft zu kämpfen, die mir jeden Tag mehr und mehr das Leben erschwerten. Womöglich war das alles wirklich nur meiner Müdigkeit geschuldet, die mich seit Wochen quälte. Erschöpfung ließ die Menschen nicht selten Dinge sehen, die nicht da waren. Oder vielleicht war es auch nur ein Sekundenschlaf gewesen wie man ihn im schlimmsten Fall bekam, wenn man müde Auto fuhr und eigentlich nicht mehr fahrtüchtig war.

Der Kaiserberg kam immer näher und mit jedem Meter ging mir langsam die Puste aus. Dicke Schweißtropfen liefen mir über mein vor Anstrengung gerötetes Gesicht und tropften auf das staubige Pflaster, das unter meinen Sandalen mehr und mehr Staub aufwirbelte. Die Wachen, die das Tor zum Kaiserberg bewachten, waren noch nicht mal am Tiefpunkt ihrer Verbeugungen angekommen, da hatte ich sie schon hinter mir gelassen und quälte mich den Berg hinauf, immer weiter in Richtung Villa.

„Muri! Muri!"

Hektisch rannte ich durch das Foyer, vorbei an Yarana in Richtung Treppe, die mir irritiert hinterher sah. „Muri ist schon draußen, Herzchen. Bei den Ahnen, es ist zu früh für derartiges Geschrei. Und wo sind die anderen? Das du hier bist lässt mich auf Erfolg schließen." Als ich mich auf der Treppe zu ihr umdrehte, lächelte sie. Doch als sie mein gerötetes Gesicht und die Hektik in meiner Mimik sah, legte sie die Wäsche ab. „Was ist passiert, Elea?" ich ließ ihre Frage unbeantwortet und rannte weiter die Treppen hinauf, hechtete den langen Gang entlang und rutschte schlitternd um die Kurve, die zu Muris Kinderzimmer führte.

Muri hatte es noch nicht geschafft, sein Vorhaben mit der Herbstwand ganz umzusetzen. Die Hälfte der Wand, in der das Fenster eingelassen war, war über und über mit Herbstblättern verziert, die Muri mit Kiyo überall in der Stadt eingesammelt hatte, nachdem die aus dem Garten noch nicht gereicht hatten. Sie hatten sich teilweise bei Nacht und Nebel aus dem Haus geschlichen, um im Licht des Sonnenaufgangs die Blätter zu finden, die am schönsten strahlten, wenn sich das Licht in ihnen fing. Die restliche Wand dagegen war noch erschreckend kahl und bildete einen krassen Kontrast zu dem Herbstland, das Muri auf der anderen Seite bereits mit den vielen Blättern gezaubert hatte. Er hatte mir jedes Einzelne gezeigt, seine grünen Augen hatten gestrahlt, als ich Muri angeboten hatte, ihm beim Pressen der Blätter zu helfen.

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„Boah! Das ist gut, Elea!" strahlend nahm Muri mir das dicke Buch über die politischen Verzweigungen der japanischen Neuzeit ab. Es war so schwer, dass seine Arme sofort das Zittern begannen, bevor er es auf den Boden legte und die Leiter festhielt, auf der ich stand, damit ich beim Abstieg nicht herunterfiel oder sie unter mir wegrutschte. „Da kann ich sicher eine Quadrillionen Blätter auf einmal drin pressen!" sagte er mit großen Augen und nieste laut, als er das Buch aufschlug und der Staub ihn in der Nase kitzelte. „Bei all dem Staub, der da drinnen ist, wird das Buch niemand so schnell brauchen, also kannst du es mit den Quadrillionen ruhig probieren." Er lachte, als ich ihm durch das dunkle Haar wuschelte und mich schwerfällig neben ihn auf den Boden setzte. Der wachsende Bauch ließ mich teils kreativ teils hilfsbedürftig werden und ich wusste, kaum das ich am Boden saß, schon, dass es nicht mehr so leicht werden würde, hochzukommen. „Die hier haben Kiyo und ich von der Pfirischplantage ausgeborgt." Muri malte mit den Fingern, ganz so, wie ich es ihm schelmischerweise beigebracht hatte, Gänsefüßchen in die Luft, als er „ausgeborgt" sagte und kicherte dann, als er mich zwinkern sah. „Aber das weißt du nicht, ja, Elea?" verschwörerisch grinsend legte er sich einen Finger an die Lippen und nickte zufrieden, als ich es ihm gleichtat. „Ich weiß von nichts, versprochen."

Ancient Love (Sukuna X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt