Kapitel 99

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Izumi warf Fuji einen vernichtenden Blick zu, doch dieser zuckte nur mit den Schultern und hob abwehrend die Hände. „Schau mich nicht so an. Ich wusste nicht, dass das der Preis ist." Seine Augen verdüsterten sich, während er die Hände wieder sinken ließ und sich nicht sichtbare Fussel von seinem Kimono zupfte. „Das wusste bisher keiner." Izumi schnaubte bloß und biss die Zähne zusammen, als er in seiner Wut heraus auf Fuji zulaufen wollte und dabei seinen schlimmen Fuß belastete. Sofort verzerrte Schmerz sein Gesicht, als der Fuß unter ihm nachgab und er unsanft zu Boden fiel. Sukuna schien sich ein Herz zu fassen und wollte zu ihm eilen, doch das kleine Mädchen war schneller. Seine Konturen verwischten, als es sich durch den Raum bewegte und mit seiner kleinen Hand sanft Izumis Kinn anhob, ein warmes Lächeln auf dem Gesicht, als es seine schmalen Lippen auf Izumis Mund drückte.

Mit einem Mal roch es nach Feuer und Erde, die Gestalt des Mädchens begann, sich mehr und mehr zu verändern. Izumis zwecklose Versuche, sich von ihm zu lösen wurden weniger und weniger, mit Schock in den bernsteinfarbenen Augen sah er dem Schauspiel zu, dass sich vor ihm in unserer Mitte abspielte. Das Mädchen wurde größer, ihr blondes Haar zu feuerroten Locken. Über seine Wangen zogen sich kleine Sommersprossen und als es die sonst leeren Augenhöhlen öffnete und seine Lippen langsam von Izumis löste, lagen darin meerblaue, menschliche Augen. Unter ihrem linken Auge war die Haut durch Feuer verunstaltet worden, die Brandnarbe zog sich über ihre linke Wange, ihren Hals hinunter und verschwand unter dem Kragen ihres dunkelgrünen Kleides. Über die Dauer des Kusses hatten sich Izumis Wunden vollständig geschlossen und dennoch blieb er am Boden sitzen und starrte die junge Frau vor ihm fassungslos an. In ihren Augen lag nichts als Verständnis, als sie ihn ansah, in ihrem roten Haar schimmerte ein zierlicher goldener Haarreif mit dem Licht in ihren Augen um die Wette. Die Ärmel ihres Kleides rutschten ein Stück zurück, als sie die Arme ausstreckte und Izumis Gesicht vorsichtig lächelnd in ihre Hände nahm. Auch über ihren linken Arm zogen sich breitflächig große Brandnarben, die sich anscheinend ihren ganzen Arm hinaufschlängelten, sich über ihre linke Schulter ergossen und ihren Hals hinaufgekrochen waren und kurz unter ihrem linken Ohr zu enden schienen. „Du hast so viel Wut in dir, Izumi, so viele Ängste." Ihre zarten Finger strichen ihm das dunkle Haar aus der Stirn, fuhren über seine Wange zu seinen Lippen. „Aber das wird vergehen, hmm? Ich werde dir dabei helfen und dir den schönen unterirdischen See zeigen, in dem sich das Licht der Kristalle spiegelt."

„Wer bist du?"

Die geflüsterte Frage war mir schneller über die Lippen gekommen als ich sie hatte denken können und es schien, als würde sie uns alle zurück in die Gegenwart bringen. Die junge Frau ging zwei Schritte zurück und begann, sich aufzulösen. Izumi streckte noch zitternd seine Hand nach ihr aus, hatte aber statt dem grünen Kleid den weißen Stoff des Kleidchens zwischen den Fingern, dass das Mädchen jetzt wieder trug. Es legte daraufhin den Kopf schief, ich hatte fast den Eindruck, so etwas wie einen nachdenklichen Ausdruck in ihren leeren Augenhöhlen schimmern zu sehen, als es sich mir zuwendete, scheinbar unbeeindruckt von dem aufgewühlten Izumi, der sich in seinem Rücken von Fuji auf die Füße helfen ließ.

„Mein Name ist so alt wie die Welt selbst. Früher hat ihn der Wind gesungen, in Einheit mit den Vögeln und den Menschen. Doch man hat ihn vergessen und jetzt, wo auch ich schon so lange hier unten festsitze, habe auch ich ihn mittlerweile vergessen. Einsamkeit hat einen hohen Preis." Das Mädchen hob den Kopf und lächelte mich an. „Beantwortet das deine Frage, Elea?" stumm nickte ich bloß und verkniff mir weitere Fragen, deren Antworten ich vermutlich nicht erfahren wollte. Das Mädchen verschwand in einer dunklen Ecke und kam kurz darauf mit einer Schale und einem langen Dolch zurück.

„Wer ist der Erste?"

Fragte es, ein dunkles Lächeln auf den Lippen, als es uns der Reihe nach betrachtete. „Ich." Izumi, der sich mittlerweile wieder einigermaßen gefangen zu haben schien, war einen Schritt nach vorn getreten. „Hier rein." Es deutete auf die Schale und hob sie so weit es ging, hoch. Das Mädchen reichte Izumi gerade so bis zum Bauchnabel und trotzdem sah ich die Gänsehaut auf der Haut meines Freundes, als er ihm den Dolch aus der Hand nahm und schwer schluckte. „Wie ... wie viel muss es denn sein?" das Mädchen schien kurz zu überlegen, stellte dann die Schale auf einem Hocker ab und zog Izumis Arm mit einem Ruck zu sich herunter. Mit dem Dolch setzte es präzise einen Schnitt an seinem Handgelenk und kaum, dass das Blut in die Schale tropfte, füllten sich die Augen des Kindes mit dem Licht der Augen, die uns schon in der Dunkelheit begrüßt hatten. Jeder der Drei gab etwas Blut in die Schale und als ich dran war, sah mich das Mädchen beruhigend an. „Dem Kind wird das nicht schaden. Dafür gebe ich dir mein Wort." Also nickte ich und legte eine meiner Hände auf meinen Bauch, die andere dagegen reichte ich dem Mädchen. Ich schloss die Augen und wartete auf den Schmerz, doch er kam nicht. Stattdessen war die Wunde, wie bei den anderen, sofort wieder verschlossen worden.

Der ganze Raum roch nach Blut, als das Mädchen die Schale in die Luft hob und die Schale dort zu schweben begann. Das Feuer im Kamin begann, unruhig zu flackern, als das Mädchen einen Finger in die Schale tauchte und sich mit unserem Blut wirre Muster ins Gesicht malte. Dicke Tropfen liefen ihm über die Stirn, liefen in die leeren Augenhöhlen und wieder heraus, man hätte meinen können, das kleine Mädchen weinte Blut. Vier kleine Kugeln erhoben sich aus der Schale, flogen auf uns zu und kaum, dass sie unsere Stirn berührten, ergossen sich eben jene blutigen Muster über unsere Gesichter, die sich das Kind aufgemalt hatte. Fuji wurde wieder grün und würgte, als sich das Mädchen die Schale an die Lippen setzte und sie in einem Zug leerte.

Für einen Moment herrschte absolute Stille, sogar das stete Flüstern, dass hier untern herrschte, setzte für die Dauer eines Herzschlages aus, bis plötzlich das Chaos losbrach. Ein grauenvolles Heulen erfüllte die kleine Zelle, starker Wind frischte auf, als sich das Mädchen im 90 Grad Winkel nach hinten beugte, sich sein Kiefer ausrenkte und eine gewaltige Fontäne aus Blut aus seinem Mund brach. Binnen Sekunden war das ganze Zimmer in Blut gehüllt, klebrig warm setzte es sich in meinem Kimono fest, fraß sich hindurch und legte sich schmierig auf meine Haut. Es kroch durch meine Nase, meinen Mund und gerade, als ich fest davon überzeugt war, ersticken zu müssen, brach die Bilderflut los.

Das Ratstreffen. Suka und ich am See. Yarana, die tot in der Villa hängt. Izumi, der an den Baum genagelt worden war. Kyoto im Klammergriff der Flüche, das viele Blut, die vielen Leichen. Der Zeittunnel, das Krankenhaus, die Akademie, Yuji, Shoko, Yuta und all die anderen aus meiner Zeit. Satoru und Kurose, die lächelnd bei uns am Frühstückstisch saßen. Einfach jedes Detail wurde gezeigt, brannte sich erneut auf meiner Netzhaut fest und ließ mich schluchzen. Das alles erneut sehen zu müssen trieb mir die Tränen in die Augen, schnürte meine Brust so eng zu, dass ich den tiefen gequälten Schrei fast überhört hätte, als sich die Geschehnisse durch die Arena fraßen, durch die Kanalisation über Satorus Tod bis hin zu der Stelle, an der Suka Sukunas Leichnam grinsend an den Haaren festhielt. Zu Kenjaku, der sich grinsend neben Suka aufbaute. Der neue Zeittunnel, Kurose, wie er leblos in sich zusammensackt. Izumi und ich, verteilt im Garten und dem Foyer der Villa. Immer mehr Bilder rauschten an mir vorbei bis hinunter zu dem Gang des Gefängnisses, das wir erst noch betreten hatten. Wir rasten den Gang entlang, schneller und schneller bis am Ende des Ganges die Türe der Zelle aufschwang, in der wir uns alle befanden. Für einen Herzschlag sah ich uns alle von Kopf bis Fuß in Blut gehüllt im Kreis um das kleine Mädchen stehen, dessen weißes, unbeflecktes Kleid hell schimmerte.

Grinsend hob das Mädchen den blonden Kopf und sah mich direkt an. In seinen leeren Augen tobten tausende und abertausende Höllenfeuer, ich sah Tod, Qualen und Verzweiflung, als es den Mund aufriss und mehrere Reihen messerscharfer Zähne entblößte, die mich in Fetzen rissen.

Schreiend riss ich die Augen auf und wurde panisch, als ich vor lauter Blut nichts sehen konnte. Hektisch wischte ich mir das heiße Blut aus den Augen und rappelte mich auf die Füße, nur um das Mädchen unbefleckt in der Mitte des Raumes stehen zu sehen. „Taschentuch?" fragte es im Plauderton und reichte mir einen kleinen Fetzen Stoff, mit dem ich mir atemlos das Gesicht sauber machte. Fuji und Sukuna saßen schon fast realitätsfern dreinblickend auf dem blutverschmierten Boden und rührten sich nicht, wischten sich noch nicht mal das viele Blut aus dem Gesicht. Izumi dagegen hatte sich so wie ich schnell wieder gefangen und stand wankend auf. Immerhin hatten wir beide das alles nicht zum ersten Mal gesehen und trotzdem hatte es den Anblick nicht leichter gemacht. Izumi lief eine einzelne Träne über das Gesicht, die eine helle Spur durch das Blut auf seiner Wange malte. Seine Arme schlangen sich schützend um mich. „Alles gut?" auf seine Frage hin nickte ich bloß und sah an ihm vorbei zu Sukuna. Er blinzelte einige Male und genauso wie Fuji schien er sich langsam zu fangen.

„Ihr solltet jetzt gehen."

Das blonde Mädchen saß in einem Schaukelstuhl vor dem Kamin mit dem Rücken zu uns und schien etwas auf seinem Schoß zu streicheln. Ein leises Klappern ertönte, als das Etwas von seinem Schoß auf den Boden sprang. Es war das blanke Skelett einer Katze, dass sich leise durch den Raum bewegte und einer lebendigen Ratte nachjagte. Kichernd hob das Mädchen eine Hand, ein einzelner Blutstropfen fiel von seinem Zeigefinger in seinen Mund und schimmerte während des Falls im Licht des Feuers wie ein kleiner Rubin.

„Eure Zeit ist abgelaufen."

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Heute mal wieder ein etwas längeres Kapitel. Ich hoffe, dass ihr alle Spaß beim Lesen hattet und wir uns bei Kapitel 100! wiedersehen werden!

Bis dahin, machts gut!

Eure Erin xx

Ancient Love (Sukuna X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt