Kapitel 114

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Am dunklen Nachthimmel funkelte ein hell glitzerndes Meer abertausender Sterne, als wir den Kaiserberg hinunterliefen, auf die Stadt zu. Ich kam nicht drum herum, immer wieder meine Kapuze ein Stück zurückzuziehen und die Sterne über mir zu bewundern. Hier, um das Jahr 1000 konnte man sie sehen, so weit das Auge reichte, sogar die Sterne, die unter all den hellstrahlenden um sie herum kaum noch zu sehen waren. Warum sie so schwach strahlten, konnte mehrere Gründe haben.

Erstens; sie waren zu weit weg und ihr Licht ging auf dem langen Weg durch die endlose Galaxie bis zu uns verloren, verschwand in den endlosen schwarzen Weiten der unendlichen Leere und kam nie wieder zurück.

Oder zweitens; sie starben. Sterne sterben immer und ausnahmslos mit einem lauten Knall, einer Supernova, die alles an Energie freisetzt, was der Stern noch hatte und ihn vollständig von innen heraus verglühen lässt. Ein farbenfrohes Spektakel, ein letztes Aufbäumen des Sterns bevor der Tod seine eiserne Faust um ihn schließt und ihm sein Licht nimmt. Für immer. Doch sein Licht, sein Licht strahlt noch lange seinem Tod weiter, solange, wie seine letzten Strahlen brauchen, um bis zu uns auf die Erde zu gelangen.

Letztendlich waren tote Sterne nichts anderes als ein wunderschönes Echo des Todes, dass durch die Galaxie hallt.

Cadis' Notiz und die darauf notierte Adresse hatte zu Irritation geführt und führte uns jetzt quer durch das nächtliche Kyoto. Je weiter wir kamen, umso zwielichtiger wurde unsere Umgebung. Ich verspürte nur deshalb keinen Funken Angst, weil ich wusste, dass mir Sukuna und Fuji dicht auf den Fersen waren. Ihre großen Gestalten hatten sie in weite Umhänge gehüllt, um in diesem Viertel unerkannt zu bleiben und so wirkten sie dank der wallenden Gewänder in der lauen Abendluft weitaus gefährlicher als ohne. Izumi war der Einzige, der ohne Umhang unterwegs war und hatte alle Hände damit voll zu tun, all die leichten Mädchen abzuweisen, die sich ihm an jeder Ecke anboten und sich schon fast instinktiv von den beiden großen verhüllten Männern hinter mir fernhielten. Jetzt, wo alle Verletzungen geheilt waren und die Beiden nicht mehr humpelten, war die Zurückhaltung der Frauen mehr als verständlich.

Unser Weg führte uns schließlich durch das Freudenviertel hindurch, weiter durch das Viertel der Mittelklasse, an einem gehobenerem Viertel vorbei auf einen der größten Friedhöfe, den ich je gesehen hatte. Das der Nekromant uns hier treffen wollte war seltsam ironisch. Soweit das Auge in der Dunkelheit reichte, erstreckten sich kleine Tempel, in denen sich die Urnen der Verstorbenen befanden. Dünner Nebel lag auf dem weichen Gras, das jeden unserer Schritte schluckte und das Ambiente so nicht unbedingt weniger gruselig machte. Nicht weniger schuldlastig. Jedes Kind, das geboren wurde, bekam mit seiner Geburt automatisch in der japanischen Kultur das größte Geschenk, dass ein Mensch erhalten konnte. Das Leben. Diese Schuld gegenüber den Eltern nennt man Gimu und kann von den Kindern nur dadurch wieder gutgemacht werden, indem sie sich nach dem Tod der Eltern um sie kümmerten. Darum war auch jeder Tempel reichlich mit Opfergaben ausgestattet und penibel gepflegt.

Izumi zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen, je weiter wir kamen. Er war der Einzige gewesen, der Bedenken bei dieser Aktion gehabt hatte. Doch wir anderen, die in der Höhle gewesen waren, waren davon überzeugt, das Cadis das fehlende Puzzleteil in unserer Gruppe war. Er schien Dinge zu wissen, die sich uns nicht mal im Schlaf erschlossen hätten. Zudem hatte er in der Höhle die Möglichkeit gehabt, uns alle auszuradieren, ohne das es jemand mitbekommen, geschweige denn unsere Überreste gefunden hätte. Es wäre das perfekte Verbrechen gewesen. Aber er hatte die Chance nicht genutzt.

In der Dunkelheit huschte mit einem Mal etwas durch die Luft und ließ mein Herz stolpern. Doch als ich Kolki auf einem der Tempel sitzen sah und kurz darauf Cadis aus eben jenem Tempel kam, entspannte ich mich wieder. Sukuna neben mir dagegen spannte sich an, ebenso wie meine anderen beiden Begleiter. „Was tust du da drinnen?" Izumis Stimme und das aufgebrachte Glühen in seinen Augen schienen die Schatten der Nacht zu vertreiben, als er Cadis musterte. „Du hast hier nichts verloren!" Seine Knöchel knackten, als er seine Hände zu Fäusten ballte und als ich die Inschrift über dem Tempeleingang las, wusste ich auch, warum.

Dort stand Ryomen.

Cadis hob beschwichtigend die Hände, aber Sukuna kam dem Nekromanten zuvor. „Schon gut." Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als er die Stufen des Tempels hinaufstieg und im Inneren verschwand. Etwas ratlos stand ich mit den anderen im Kreis und hörte Izumi schließlich seufzen. „Na kommt," Sagte er und führte uns ebenfalls die Stufen hinauf, allerdings nicht, ohne Cadis einen giftigen Blick zuzuwerfen. Im Inneren brannte trotz der fortgeschrittenen Stunde ein Meer an Kerzen das mich an das Firmament erinnerte, das ich bis eben noch am Himmel bewundert hatte. Sie alle erleuchteten einige Inschriften und nicht zuletzt die vielen Urnen. Sukuna stand wie angewurzelt vor zwei wunderschönen Urnen aus Stein, die dicht nebeneinander auf einem Podest standen. Mika und Matsuma. Frisches Brot und noch dampfender Tee standen davor, zusammen mit Blumen und einer fein gedrehten Kerze. Ein Blick auf Cadis' weiches Lächeln und ich wusste, dass er die Sachen hier im Gedenken an Sukunas Eltern abgelegt hatte. Das schien auch Sukuna nicht entgangen zu sein, der jetzt lächelnd die Blumen neu um die Urnen herumarrangierte. Izumi wurde grün, als er das Brot roch, aber er schluckte sein Trauma runter und rückte nur ein Stück näher Richtung Türe, näher an Fuji heran, dem doch tatsächlich eine Träne über die Wange rollte. Von Sukuna ging in diesem Moment so viel Trauer aus, dass ich für den Bruchteil einer Sekunde nicht ihn dort vor den Urnen stehen sah.

Sondern sein fünfzehnjähriges Ich.

Einen Jungen, der schon so früh seinen Vater und damit sein noch verbliebenes Elternteil verloren hatte, kurz nach seinem Bruder, den er doch trotz allem irgendwie geliebt hatte.

Das Leben schrieb wahrhaft grausame Geschichten.

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(Natürlich schreib ich die wahrhaft grausamen Geschichten xD)

Eure Erin hier mit dem einen angekündigten Kapitel, dass uns noch gefehlt hat, bevor es losgeht. Ich hatte kurz überlegt, das doch alles in ein längeres Kapitel zu packen. Aber ich wollte, das hier der Fokus auf Sukunas Schmerz und seinem Verlust liegt, bevor es ans Eingemachte geht. Das war mir wichtig und darum gibt es hier einen letzten Cut vor dem Auftakt zum Finale.

Lasst mir gern eure Gedanken und Spekulationen in den Kommentaren da, ich bin gespannt, ob schon wer erraten hat, was sich all die Zeit hinter den Kulissen abgespielt hat. Lasst mich auch gern wissen, was ihr allgemein denkt. Ist die Geschichte mittlerweile zu lang oder genau richtig? Gibt es Anmerkungen, Dinge, die ich wissen sollte? (Nachdem das meine erste wirklich lange Geschichte ist bin ich da natürlich dankbar für Feedback xD).

Eure Erin xx

Ancient Love (Sukuna X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt