Kapitel 127

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Kenjaku breitete Muris Arme links und rechts neben sich auf der Lehne der Bank aus und sah mich prüfend ab. Seine Gestalt wirkte im Licht der Kerzen, die im Tempel ein Stück hinter ihm flackerten trotz seiner geringen Größe beunruhigend bedrohlich. Das trocken werdende Gras unter meinen Sandalen knisterte, als ich einige Schritte zurückwich. „Weißt du, Elea. Ich schreie nicht gern," sagte er und betrachtete schon fast gelangweilt seine Fingernägel. „Du etwa? Oder warum stehst du so weit weg?" er setzte Muris fröhliches Lächeln auf und sah mich fragend an. Als ich mich nach wie vor nicht rührte, verzogen sich seine Lippen zu einem dünnen Lächeln und er schlug die Beine übereinander. „Sieh mich an." Er deutete an sich, an Muri, herunter. „Ich stecke in einem Kinderkörper ohne jedwede Fluchkraft." Ein angeekelter Gesichtsausdruck folgte. „Aber manchmal muss man Dinge tun, die einem nicht gefallen, solange sie nur der Sache dienen." Sein linker Zeigefinger malte einen Kreis in die Luft. „Ich könnte dir also nicht schaden, nicht mal, wenn ich es wollte." Sein Finger stoppte und deutete jetzt auf mich. „Oder warum sonst bist du mir gefolgt? Na, komm schon, gib es zu. Du hast gewusst, dass ich dir nicht schaden kann, gewusst, dass dir nichts geschehen wird." Anerkennung trat in seine, Muris, grüne Augen. „Deine Intuition ist beeindruckend, Kind. Genauso stell ich mir den Fortgang unserer Art vor. Starke Jujuzistinnen, die starke Jujuzisten auf die Welt bringen."

Misstrauisch bedachte ich ihn von oben bis unten, suchte nach etwas, dass ihn als Lügner entlarven würde. Aber ich fand nichts und an seinen Worten war durchaus was dran. Muri war ein völlig normales Kind gewesen ohne Verbindung zur Welt des Jujutsu. Das hieß also, dass Kenjaku jetzt gerade wirklich keinerlei Fluchtechniken neben seiner eigenen zur Verfügung standen. Und die war keine aktive, ebenso wenig wie meine. Zudem konnte er auch keine rohe Fluchkraft nutzen. Ich konnte auch weit und breit keine Flüche ausmachen, auch den Fluchkönig in Sukas Gestalt konnte ich weder spüren noch sehen. Also wagte ich drei Schritte nach vorn und blieb wieder stehen. „Wenn du mir nicht schaden willst, was willst du dann?"

Kenjaku faltete die Hände in seinem Schoß und sah mich lange an. „Wenn mächtige Jujuzisten mit Hass in ihrem Herzen sterben, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie als noch mächtigere Flüche zurückkommen. Ist dir das geläufig, Elea?" In meinem Hinterkopf begann es, zu klingeln. Satoru hatte mir davon erzählt, am Rande der großen Klippe hinter der Akademie, von der aus wir die Arena beobachtet hatten. Wie ich den weißhaarigen Spinner vermisste. Wenn alles gut ging, dann würde ich mir keine Sorgen mehr um ihn und all die machen, die ich verloren hatte. „Ja, das ist mir erklärt worden." Muris Körper vor mir machte es sich im Schneidersitz bequem und zupfte unsichtbare Staubflusen von dem Hemd, dass Yarana dem Jungen zum letzten Geburtstag selbst gewebt und bestickt hatte. „Bei deinen drei männlichen Freunden mache ich mir dahingehend keine Gedanken. Der Ryomenerbe ist mittlerweile schon mehr Fluch als Mensch, der Pöbeljunge zu stolz, um einen solchen Tod je zuzulassen und der junge Kaiser zu weichherzig, als das er je mit Wut im Herzen sterben könnte." Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten. „Sie haben Namen, alle drei! Also wag es nicht, sie derart zu degradieren! Sie sind alle samt weit mehr als nur das!" Kenjaku schmunzelte und hob beschwichtigend die Hände. „Ich wollte keinen Nerv treffen. Verzeih bitte." Der Umstand, dass er mich dafür in Muris Körper um Vergebung bat, war so ekelerregend, dass ich Gänsehaut bekam. „Sag mir endlich, was das hier soll. Was du verdammt nochmal von mir willst!" die Spaziergänger im Park drehten sich auf meine aufgebrachte Tonlage hin um, gingen aber schnell wieder weiter als sie erkannten, wer ich war.

Bis auf eine Ausnahme.

Blondes Haar wischte durch die Menge, ich erkannte Hitas Stimme sofort. „Elea!" dicht hinter meinem ältesten Freund sah ich Izumi durch die Menge laufen, seine Augen füllten sich mit kochendem Hass, als er Kenjaku bei mir stehen sah. „Der Tod ist dir bei Weitem nicht so geläufig wie mir, mein Kind und zwischen dem letzten Atemzug und dem Tod der Seele liegt nicht mal eine Sekunde. Doch dieser kurze Zeitraum ist sehr wertvoll, sofern man damit etwas anzufangen weiß. In ihm entscheidet sich, ob die Seele stirbt oder nicht. Alles, was danach zurückbleibt sind animalische Instinkte, die man, sofern man dieses Geschick beherrscht, steuern kann." Kenjaku zog etwas unter der Parkbank hervor und warf es mir zu. „In diesem Sinne, gib das hier doch bitte Cadis. Als Gegenleistung werde ich euch den Körper des Jungen zurückgeben." Er zwinkerte mir zu, das Grün in Muris Augen glitzerte unheilvoll.

„Nicht, dass er künftig sonderlich hilfreich gewesen wäre."

Als Hita und Izumi schnaufend neben mir stehenblieben, war Kenjaku schon lange im Dickicht des Parks verschwunden und hinterließ nichts außer einem unguten Gefühl und dem schweren wiederverschließbaren Eisenring, den ich jetzt in den Händen hielt. An einigen Stellen hatte er bereits etwas Rost angesetzt und auch der Verschluss schien nicht mehr richtig zu funktionieren. Sowohl Izumi und Hita zuckten mit den Schultern, als ich sie fragte, ob sie wüssten, was das sei. Sie waren auch weniger an dem großen Ring interessiert und mehr an meinem Allgemeinwohl. Aber ich bestätigte ihnen, dass es mir gut ging und lief mit ihnen zurück in Richtung Palast, in dem Cadis schnell gefunden war. Er saß mit Sukuna und Fuji in dessen Arbeitszimmer und verlor zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, die Fassung, als ich ihm den Ring reichen wollte. Kalkweiß wich er vor mir zurück wie ein verwundetes Tier und machte keinerlei Anstalten, ihn mir abzunehmen. Kolki krähte verängstigt und versteckte sich klappernd in Fujis Schreibtischschublade. Ich hatte mich noch nicht so richtig an Fujis neue Frisur gewöhnen können. Das graue Haar auf seiner rechten Seite sah aus wie immer. Doch die linke Seite, die der Fluchkönig mit seinem Feuer erwischt hatte, war restlos kahl gewesen. Suka hatte die Haut auf seinem Kopf zwar restlos wiederhergestellt, aber das Haar war dennoch verbrannt gewesen. Nur so langsam fing das Haar dort wieder an, zu wachsen und verschaffte meinem Freund ein recht randalemäßiges Aussehen mit dem ungewollten Undercut. Von den dicken Brandnarben auf seiner linken Brust und der dazugehörigen Schulter mal abgesehen.

Sukuna nahm mir den Ring ab und betrachtete ihn von allen Seiten, während er meiner Erzählung lauschte. „Er hat mir nicht gesagt, was das sein soll. Nur, dass wir ... das wir Muri zurückbekommen, wenn ich es Cadis gebe." Sukunas roter Blick wanderte vom Ring in seinen Händen zurück zu dem Nekromanten. „Was ist das, Cadis? Klär uns auf." Cadis setzte sich auf die kleine Bank am Fenster, so weit weg von dem Ring wie nur möglich. „Erinnert ihr euch daran, wie man in meiner Heimat mit Jujuzisten umgeht?" wir alle nickten und als ich die Furcht in Cadis' goldenen Augen flackern sah wusste ich, was er gleich sagen würde. „Sie legen einem diese Ringe um den Hals und wenn sie einmal verschlossen sind, gibt es kein Entkommen mehr. Keine Fluchkraft mehr. Man kann sie zwar öffnen, aber ich habe Meister Kenjaku nie gefragt, wie er das bewerkstelligt hat." Mit zitternden Fingern löste Cadis das breite Lederband, dass er immer um den Hals trug und enthüllte darunter eine wulstige, breite Narbe. „Der Ring in deiner Hand war meiner, Sukuna und als Meister Kenjaku ihn mir abgenommen hat, hat er das mit einem Versprochen verbunden." Cadis schloss die Augen und atmete einmal tief durch, als er sich das Lederband wieder umband.

„Das er mir wieder einen anlegen würde, sollte ich ihn je hintergehen. Und was habe ich getan? Genau das."


Ancient Love (Sukuna X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt