Kapitel 8

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Der dicke Wasserdampf in der Luft machte es mir schwer, zu atmen. Mal ganz zu Schweigen von den vielen Duftaromen. Nie wieder mehr würde ich Lavendel riechen und mich dabei gut fühlen können. Meine Gedanken würden jedes Mal an diesen Ort voller Leid und Macht zurückgeführt werden. Eine Türe zu einem der „Arbeitszimmer" öffnete sich und ein Mann kam heraus. Sein Kimono war schlampig gebunden und seine Augen hatten einen unheilvollen Schimmer, der mir Gänsehaut bescherte. Schnell zog ich mich hinter eines der dicken Tücher zurück, die den Raum säumten. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als er an mir vorbeilief und als ich sah, dass er das Haus verließ, atmete ich erleichtert auf und verließ mein Versteck. Mein Blick wanderte auf die nach wie vor offene Türe, ich wollte sehen, welche Frau herauskam. Doch niemand kam, stattdessen hörte ich jemanden weinen.

Schnell raffte ich das bisschen Stoff zusammen, dass ich trug und huschte durch das Zimmer, an den anderen Frauen und Männern vorbei auf das offene Zimmer zu. Darin stank es, die Luft war stickig. Ich hätte gern gelüftet, aber das war angesichts der sehr kleinen Fenster kaum möglich. Auf dem Bett kauerte ein junges Mädchen. Sie war sicher nicht älter als 18. Dicke Tränen kullerten ihr über die Wangen, immer wieder hustete sie. An ihrem Hals konnte ich bereits die Würgemale aufblühen sehen. Eilig schloss ich die Türe und nahm die Wasserschale von der kleinen Kommode, bevor ich einen Stuhl heranzog. „Hier, setz dich." Die Laken waren feucht von allerlei Körperflüssigkeiten, ich meinte, auch Blut zu sehen. Schnell schlug ich die Decke darüber, um uns den Anblick zu ersparen. Ich wühlte mich durch die Schränke, bis ich schließlich eine Decke fand und sie dem Mädchen reichte. Dankbar bedeckte sie sich damit. Einen der Lappen, die ich ebenfalls im Schrank gefunden hatte, machte ich in der Wasserschale nass und wischte ihr damit Schweiß und Tränen aus dem Gesicht. Ich sah den Schmerz in ihren Augen, als sie mein Gesicht studierte.

„Du bist neu." Ihre Stimme klang, angesichts ihres Zustandes, überraschend kräftig. Nickend rückte ich die Decke an ihrem Schultern zurecht. „Ja. Ein Grund zum Feiern, was?" ich sah ihre Mundwinkel zucken, dann schüttelte sie den Kopf. „Du hättest nicht herkommen dürfen." Ich wusch den Lappen in der Schale aus. „Ich bin genauso wenig freiwillig hier, wie du es bist." Ihr Blick verlor sich in der Ferne, als ich ihre Stirn abtupfte und ihr das helle Haar kämmte. „Manchmal stellte ich mir vor, von einem der Männer einfach umgebracht zu werden. Und ich empfinde Freude bei der Vorstellung." Sie deutete vielsagend auf ihren Hals, ohne mich anzusehen. „Aber dann würde er meine kleine Schwester holen." Erneut liefen ihr die Tränen über das Gesicht, aber sie zuckte nicht mal mehr, ihr Gesicht wurde leer. „Mein Vater hat Schulden. Ich bezahle sie hier ab und wenn meine Ahnen es wollen, werde ich irgendwann wieder frei sein. Dann kann ich meine Schwester wieder sehen."

Sie räusperte sich und sah dann zu mir auf, ein Lächeln zierte ihr sommersprossiges Gesicht. „Wie heißt du? Ich bin Taria." Sanft drückte ich ihre Schulter und erwiderte ihr Lächeln. „Elea." Taria nickte, stand dann auf und verbeugte sich vor mir. „Danke, dass du nach mir gesehen hast. Man braucht Freunde hier drinnen. Womöglich können wir welche sein?" die Würgemale an ihrem dünnen Hals wurden immer dunkler, genau wie der Himmel vor dem Haus. Die Nacht brach herein. Hauptgeschäftszeit. „Das würde mir gefallen." Auf meine Antwort hin trat ein strahlendes Lächeln auf Tarias Gesicht, als sie sich mir um den Hals warf. Vorsichtig schlang ich meine Arme um sie. Sie war so dünn, dass ich Sorge hatte, sie würde unter meiner Umarmung zerbrechen wie ein trockenes Blatt. Doch das passierte nicht.

Drei Wochen zogen ins Land. Nachdem der Besitzer des Bordells verwundert festgestellt hatte, dass ich Lesen und Schreiben konnte, teilte er mich zu meiner großen Erleichterung mit Horaka an der Bar ein. Mit ekelhaften Kommentaren und begrabscht werden kam ich weit besser zurecht. Abends, sobald der Besitzer sich in sein Büro zurückzog, gelang es mir, Taria an meiner Seite zu haben und sie davor zu bewahren, erneut mit einem der Männer mitgehen zu müssen. Wenn sie es tagsüber schon musste, konnte ich das abends nicht zulassen und tat alles, was ich konnte, um sie bei mir zu behalten. Sie stellte sich als eifrige Lernerin heraus, als ich versuchte, ihr Katakana und Hiragana beizubringen. Einige Zeichen kannte sie auch schon und so stand sie jeden Abend bei mir an der Bar und malte die Zeichen nach, die ich ihr aufgezeichnet hatte. Auch Horaka hatte sich unserer Lerneinheit schnell angeschlossen und als mich einige der anderen Frauen fragten, ob ich nicht auch ihren Kindern das Lesen und Schreiben beibringen könnte, sagte ich bereitwillig ja. Das alles gestaltete sich nur deshalb so einfach, weil es Kurito, dem Inhaber, egal war, was wir trieben, solange die Einnahmen stimmten.

„Schau mal, Elea!" Taria hielt mir lachend die kleine Tafel unter die Nase, auf die sie etwas wackelig den Satz wiederholt hatte, den ich ihr diktiert hatte. „Na siehst du, du wirst viel besser." lächelnd wischte ich den Satz weg und schrieb einen neuen Satz auf die Tafel. „Probier den mal nachzuschreiben." Als sie mir nicht antwortete, drehte ich mich zu ihr um. Ihre blauen Augen waren schreckgeweitet, ihre Unterlippe zitterte. Horaka tippte mir stumm auf die Schulter und nickte dann in Richtung Eingang. Eine größere Gruppe Männer war hereingekommen und in ihrer Mitte erkannte ich ein Gesicht wieder. Es gehörte dem Arschloch, dass Taria vor einigen Wochen so übel zugerichtet hatte. Noch heute träumte sie jede Nacht schlecht und schlief deshalb bei mir. Ohne nachzudenken, packte ich Taria an den Schultern und drückte sie unter die Theke, wo sie sich zitternd vor Angst zusammenkauerte. Horaka nickte mir stumm zu. Sie würde mir helfen.

Als ich den Kopf hob, stand der Dreckssack direkt vor mir und meiner Freundin. „Ich suche diese kleine blauäugige Frau." Er zeigte mir Tarias Größe und leckte sich die Lippen. „Wo?" ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Sie ist verhindert." Der Mann nickte, neues Interesse funkelte in seinen Augen, als er mich betrachtete. „Dann nehm ich dich. Na komm schon." Seine Finger schlangen sich um mein Handgelenk, mit aller Kraft hielt ich dagegen. „Nimm deine Finger weg. Ich gehöre nicht zum Angebot." Der Mann lachte. „Wenn der Preis stimmt, tut das jeder hier, Herzchen." Horaka trat einen Schritt nach vorn, ihre grünen Augen funkelten ungehalten. „Du kennst die Regeln in unserem Etablissement, Daro. Verzieh dich. Oder soll ich unseren werten Herren rufen lassen und ihm mitteilen, dass du dich seinen Regeln widersetzen willst?" Ich wusste nicht, wie lange Horaka hier schon arbeitete oder was sie alles durchgemacht hatte. Aber unter ihrem glühenden Blick sackte Daro in sich zusammen und verzog sich fluchend in eine der Sitzgelegenheiten des Raumes.

Taria verblieb den restlichen Abend unter der Theke, zusammen mit einer Kerze und übte weiter das Schreiben. Horaka und ich achteten penibel darauf, dass Daro sie nicht zu Gesicht bekam und tatsächlich, wir hatten Glück. Er verließ das Bordell um Mitternacht. An seiner Stelle betrat nun eine Gruppe junger Männer das Bordell. Ich wollte meinen Augen kaum trauen, als ich unter ihnen Izumi entdeckte. Horaka ging um die Theke herum, um die Männer zu begrüßen. „Willkommen." Sie verbeugte sich tief. „Wie können wir dienen?" Taria nutzte die Gelegenheit und huschte in Richtung unserer Zimmer. Als sie die Türe erreichte, winkte sie mir kurz zu. Ja, mir war es lieber, wenn sie nicht mehr hier war. Zu meinem Glück stand Izumi mit dem Rücken zu mir, so konnte ich in aller Ruhe seine drei Begleiter beobachten, die mittlerweile die einzigen Kunden waren. Außer ihnen, mir und Horaka war niemand mehr da. Mittlerweile wusste ich auch, wo ich war. In Kyoto. Izumi und seine damalige Truppe hatten mich hierher verschleppt und aus den Staturen seiner neuen Freunde schloss ich, dass sie alle vier Jäger waren. Zitternd ballten sich meine Hände auf dem Tresen zu Fäusten. Allesamt Abschaum! Die anderen beiden konnte ich dank der gedimmten Lichter nicht gut erkennen und bekam stattdessen nur mit, wie sie sich in eine der Sitznischen setzten.

Horaka kam zu mir zurück und reichte mir die Getränkeliste. „Jäger." Zischte ich wütend, was Horaka nur nicken ließ. "Du musst sie dennoch bewirten. Der werte Herr hat mich zu sich bestellt." Sie legte mir eine Hand auf den Arm und lächelte. „Ich bin nicht lange weg." Mit diesen Worten ließ sie mich zurück und ich rührte die Getränke zusammen.

Bastarde. Dieses Wort lief Amok in meinem Kopf, als ich mich dem Tisch näherte. Ich würgte meine Angst herunter und ging weiter auf den Tisch zu, spürte das Messer in meiner Hand, dass ich unter dem Tablett verborgen hatte. Als ich mich dem Tisch näherte, zückte ich heimlich das Messer, bereit, es dem Erstbesten der vier in den Hals zu rammen. Das helle Haar des Mannes, der mit dem Rücken zu mir saß, schimmerte im gedimmten Licht der Kerzen. Gerade, als ich mit dem Messer hinter seinem Rücken ausholte, trennte ein sauberer Schnitt die Klinge vom Griff, sodass ich nur noch den Holzgriff in der Hand hielt. Mit einem lauten Knall fiel die Klinge zu Boden, der Mann hatte sich noch nicht einmal umgedreht, geschweige denn eine Waffe benutzt. Wie hatte er das gemacht? Langsam stand er auf, der locker gebundene weiße Kimono umhüllte seine muskulöse Gestalt und als sein roter Blick mich traf, schlotterten mir unweigerlich die Knie. Wütend biss ich mir auf die Zunge, um nicht in Tränen auszubrechen. Prüfend sah er auf mich herab, er überragte mich sicher um eineinhalb Köpfe. Sein kühler Blick wanderte zwischen dem Holzgriff in meiner Hand und meinen Augen hin und her, als er mein Handgelenk packte und mir den Griff abnahm.

"Wie ist dein Name?"

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Uff, ich hoffe das jetzt alle etwas glücklicher sind :D

Eure Erin xx

Ancient Love (Sukuna X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt