Kapitel 73

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Seit diesem Tag im November, dem vorletzten Tag des Trainingscamps in Tokio, waren bereits zwei Wochen vergangen.

Die erste Woche in Miyagi, zurück in dem großen, leeren und kalten Haus, hunderte von Kilometern von Kuroo entfernt, war für Kageyama grauenvoll. Tetsurou hatte das Versprechen wahr gemacht und sie hatten nach ihrem abendlichen Viedeochat am Mittwoch, den Tag, an dem Tobio vom Trainingscamp zurück in Miyagi war, den Laptop angelassen. Tobio hatte das Parfüm auf Kuroos Shirt erneuert. Doch auch zusammen mit dem sich aufwärmenden Dakimakura konnte es die Alpträume nicht aufhalten. Nachdem er das dritte Mal schweißgebadet aus dem Schlaf hochgeschreckt oder von Kuroos Rufen wachgeworden war, hatten sie beschlossen, den Rest der Nacht aufzubleiben. Erst am Wochenende begannen seine Nächte ruhiger zu werden und Anfang der darauffolgenden Woche konnte er sogar wieder durchschlafen. Den Videochat ließen sie dennoch offen.

Doch trotz dieser Art der Liebesbekundung von Kuroo gab es etwas, dass Tobio sehr beschäftigte und sein Herz schwer werden ließ. Sie näherten sich mit großen Schritten dem Ende des Jahres und damit auch den Weihnachtsferien. Er hatte so sehr gehofft, dass Kuroo ihn nach Tokio einladen würde, um mit ihm und seinen Großeltern das Weihnachtsfest zu verbringen. Aber bisher hatte Kuroo es mit keiner Silbe erwähnt. Nicht mal die kleinste Andeutung war herauszuhören gewesen. Jeden Tag sehnte er sich mehr und mehr nach der Einladung und er musste alle Kraft zusammennehmen, um sich nichts anmerken zu lassen.

Er zerbrach sich pausenlos den Kopf darüber, warum Kuroo ihn nicht einlud. War es für den Kapitän etwa selbstverständlich, dass er nach Tokio kommen würde? Oder war Kuroo insgeheim doch noch sauer, weil er bei dem Zwischenfall mit Atsumu an Kuroos ehrlichen Absichten mit ihm gezweifelt hatte? Wollte der Kapitän einfach seine Ruhe vor ihm haben und das Weihnachtsfest lieber mit seiner wirklichen Familie verbringen? Allein? Oder wartete Kuroo wohlmöglich darauf, dass er fragte, ob er nach Tokio kommen durfte? Aber er wollte sich Kuroo und dessen Großeltern nicht aufdrängen, also schwieg er. Tobio hatte keine Ahnung, doch all diese Fragen und noch viele mehr brachten sein Hirn zum Kochen.

Lediglich die Trainingseinheiten in der Woche und am Wochenende vermochten es, seine Gedanken ab und zu von diesem heiklen Thema abzulenken, doch sobald er die Halle verließ, prasselten alle Fragen ungebremst auf ihn ein. Es war zum verrückt werden.

Ab und zu versagten jedoch seine schauspielerischen Fähigkeiten und Kuroo fragte ihn dann immer, ob alles in Ordnung sei, er wirke bedrückt. Tobio ließ sich dann immer irgendetwas neues einfallen. Stress mit Tsukishima, ein bevorstehender Test, Essen, dass ihm nicht gelungen war. Etwas in dieser Art. Zu seiner Überraschung schien Tetsurou ihm jedes Mal zu glauben. Das kam ihm merkwürdig vor, da sein Freund doch meistens dazu in der Lage war, zu sehen, wann er log. Doch er sprach diese Abweichung in Kuroos Wahrnehmung dem fehlenden persönlichen Kontakt zu und der Tatsache, dass Videochats die Realität etwas undeutlicher wiedergaben.

So vergingen die Tage im Dezember und ehe er sich versah, war schon der letzte Schultag vor den Ferien gekommen. Er hatte gehofft, die Lehrer würden sich barmherzig zeigen, doch sie waren eisern und gaben ihnen einen Berg Hausaufgaben auf. Wieso auch nicht? Kaum vorstellbar, dass es in den Weihnachtsferien Dinge gab, mit denen man sich lieber beschäftigte.

Es war Samstagmorgen, als Tobio sich um 4:45 Uhr aus dem Bett quälte und zu seiner Joggingrunde aufbrach. In der Nacht zuvor hatte es geschneit und eine weiße Decke hatte sich über die Landschaft gelegt, als wollte sie sie zur Ruhe betten. Seine Füße hinterließen deutliche Abdrücke in der zarten Schneeschicht und erzeugten ein angenehmes Knirschen, welches sich unter sein leises Keuchen mischte. Die kalte Dezemberluft ließ seine Lungen schreien, während er durch den menschenleeren Park lief. Seine Gedanken kreisten um Kuroo und die freien Tage, die er offenbar allein verbringen musste. Er hatte noch immer keine zufriedenstellende Antwort auf die Frage gefunden, warum Kuroo ihn nicht nach Tokio einlud. Vielleicht verlangte er zu viel? Vielleicht waren seine Anforderungen zu hoch? Vielleicht hatte er falsche Vorstellungen davon, was es hieß, in einer festen Beziehung zu sein? Doch egal wie viel er darüber noch grübelte, er musste sich damit abfinden, dass er die letzten Tage des Jahres nicht bei Kuroo sein würde.

Rivalität mit Folgen [Teil 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt