Kapitel 108

259 21 6
                                    

Tobio hatte in dieser Nacht kein Auge zugetan. Kuroo offenbar auch nicht, so viele Nachrichten, wie dieser ihm geschickt hatte. Doch Tobio hatte auf keine einzige geantwortet. Warum? Es war eine Mischung aus mehreren Gründen.

1. Er schämte sich, dass er den Chat so ruppig beendet hatte.

2. Er war sauer auf Kuroo, dass dieser ihm nicht zutraute, die Sache selbst endgültig zu klären.

3. Er selbst bezweifelte das auch. Zu gerne hätte er Kuroo um Rat gefragt, wie er es dem Mädchen verdeutlichen konnte, dass es für sie keine gemeinsame Zukunft gab. Jetzt nicht und auch später nicht. Doch Kuroo war wie von Sinnen und er selbst war auch nicht besser gewesen. Das Thema hatte sich viel zu schnell erhitzt und war in einem Streit ausgeartet.

4. Er hatte Angst, dass die Tatsache, dass er mit einem Jungen zusammen war, die Runde machen würde. Denn das würde unweigerlich passieren, wenn Kuroo Sana klar machte, dass sie ‚die Pfoten von ihm lassen' sollte. Nicht jeder auf seiner Schule würde angesichts der Tatsache, dass jemand in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung war, so gelassen reagieren wie seine Teammitglieder bei dem Outing von Hinata.

Ein tiefer Seufzer quälte sich aus seinem Inneren, als er sich müden Schrittes zur Schule schleppte. Er fühlte sich furchtbar. Wie es Kuroo wohl ging? Vermutlich nicht viel besser. Sicherlich war der Kapitän stinksauer, weil er ihn einfach ignorierte. Vielleicht sollte er ihm zumindest kurz antworten? Gerade wollte er nach seinem Handy greifen, als Hinatas schrille Stimme durch die Luft schnitt.

„Bakageyama! Wer als erstes bei der Umkleide ist!", brüllte Hinata und fegte wie ein Wahnsinniger auf seinem Fahrrad an dem verdutzten Setter vorbei.

Tobio blinzelte völlig verdattert, blickte dem Orangehaarigen hinterher, der schon am Schultor angekommen war und gerade zu den Fahrradständern fuhr. „D-Das ist doch Beschiss!", rief er schließlich verärgert, als er sich der Situation und den damit einhergehenden Umständen bewusstwurde.

„Nein, ist es nicht! Du bist einfach zu langsam!", schrie Hinata und stürmte Richtung Sporthalle.

Erst jetzt erwachte Tobio aus seiner Starre. „Scheiße", fluchte er und rannte los. Den Knirps würde er jedoch nie im Leben mehr einholen. Dachte er.

„Wuuuuuaaaaaaah!", kreischte Hinata auf, als er über seine eigenen Füße stolperte und der Länge nach hinfiel.

Tobio brach in lautes Gelächter aus. „Geschieht dir recht", rief er amüsiert, als er an dem am Boden kauernden Mittelblocker vorbeieilte.

„Das werde ich dir heimzahlen!" Mühsam rappelte sich Hinata auf und hetzte dem Schwarzhaarigen hinterher. Doch es war zu spät. Der Setter begrüßte ihn mit einem breiten Grinsen an der Tür zum Clubraum. „Bakageyama", nuschelte er angesäuert und folgte dem zufriedenen Kageyama in das Innere der Umkleide.

Das Training verlief ausgesprochen ruhig. Wenn man einmal von der persönlichen Unruhe des schwarzhaarigen Setters absah, der aufgrund der unliebsamen Störung durch den Orangehaarigen nicht mehr dazu gekommen war, Kuroo zu schreiben. Er nahm sich vor, das gleich nach dem Training zu tun.

Doch was wären Vorsätze, wenn sie sich so leicht wie gedacht in die Tat umsetzen ließen? Gerade verließ er zusammen mit Hinata den Clubraum und steuerte den Klassenraum an, in welchem sie als nächstes Biologie hatten.

„Geh schon mal rein, ich komme gleich nach", wies Tobio den Orangehaarigen an.

„Okay, aber beeil dich, die Stunde fängt gleich an", warnte Hinata und ging in den Raum.

„Ist gut", sagte Tobio und zog sein Handy aus der Tasche. Seine Augen wurden groß. Er hatte 15 ungelesene Nachrichten – alle von Kuroo. Sein Finger schwebte über dem Chat, als ein lautes Poltern ihn innehalten ließ. Er blickte den Flur hinunter und fand dort die Biologielehrerin vor, die einen riesigen Stapel Bücher mit sich herumtrug, von dem gerade ein paar heruntergefallen waren. Schnell verstaute er sein Handy in der Tasche und eilte der jungen Frau entgegen.

Rivalität mit Folgen [Teil 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt