Kapitel 172

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„Welches Thema willst du heute durchgehen?", fragte Tobio, während er durch den riesigen Stapel der Aufnahmeprüfungen blätterte.

„Überrasch mich", sagte Kuroo und setzte sich auf sein Bett. Er stellte das Kissen an die Lehne des Bettes und ließ sich mit dem Rücken hineinsinken. Mit Adleraugen beobachtete er nun, wie Tobio einige zusammengeheftete Blätter aus dem Papierberg nahm und anschließend auf ihn zukam. „Komm her", sagte er und griff nach Tobios Handgelenk, um ihn rittlings auf seinen Schoß zu ziehen. Sobald der Hintern des Jungen seine Oberschenkel berührte, strich er mit seinen Händen an Tobios Beinen auf und ab.

„Wenn du dich nicht konzentrierst, dann setze ich mich woanders hin", warnte Tobio seinen Freund.

Ein amüsiertes Grinsen umspielte Tetsurous Mundwinkel. „Immer wieder aufs Neue faszinierend, solche Worte aus deinem Mund zu hören."

Tobio seufzte und sah auf das Blatt mit den Fragen hinab. „Du weißt, dass das bei mir etwas anderes ist."

„Wie meinst du das?", fragte Kuroo, der dem Gedankengang des Setters nicht folgen konnte.

„Du... ähm... du bist klug. Du wirst auf eine Uni gehen und dann einen Job finden, der dir Spaß macht und bei dem du obendrein vermutlich gutes Geld verdienen wirst. Wer weiß, vielleicht wirst du irgendwann sogar dein eigenes Unternehmen leiten wie dein Großvater."

Tetsurou blinzelte verblüfft. Ja, er wusste, dass Tobio wusste, dass er schlau war, aber dass der Junge eine solche Zukunft für ihn vorhersagte, war ihm dann doch neu.

„Aber ich..." Tobio stockte. „Seien wir mal ehrlich: ich bin alles andere als klug. Ob ich im Unterricht aufpasse oder nicht, macht keinen Unterschied."

„Wie kommst du auf so eine absurde Idee?"

Verwirrt blickte Tobio auf. „Das ist keine absurde Idee. Das ist eine Tatsache. Ich habe die Zwischenprüfungen alle nur mit Mühe und Not bestanden. Bei einer bin ich sogar durchgefallen. Weißt du noch? Deswegen bin ich zu spät zum Trainingscamp gekommen."

Tetsurou konnte sich noch sehr lebhaft an den Tag erinnern. „Wie könnte ich diesen Tag vergessen? Ich war ziemlich angepisst, als ich gesehen habe, dass du nicht mit im Bus warst."

„Ach ja?"

„Ja. Ziemlich, ziemlich angepisst sogar. Aber das ist jetzt nicht das Thema."

Schade, dachte sich Tobio innerlich. Dabei hätte er gerne noch mehr über die Beweggründe für Kuroos damalige Verstimmtheit erfahren.

„Du bist nicht dumm, Tobio."

„Vielleicht solltest du mal einen Blick auf meine Zeugnisse werfen", entgegnete Tobio mit einem gequälten Lächeln.

Es machte Tetsurou traurig, dass der Junge glaubte, er wäre dumm. „Ich weiß, dass du nicht dumm bist. Und das werde ich dir beweisen."

„Und wie?"

„Das wirst du schon noch rechtzeitig erfahren."

Tobio sah seinen Freund eingehend an. Es war das erste Mal, dass er Kuroo für naiv hielt. Nie in seinem Leben würde er jemals die Noten bekommen, die er brauchte, um an eine Universität zu gehen, an der Volleyball gefördert wurde. Doch er brachte es nicht übers Herz, Kuroos Illusionen zu zerstören. „Können wir dann mit dem Lernen anfangen?", fragte er stattdessen und hielt anklagend die Zettel in die Luft.

Noch mehrere Sekunden lag tauchte Tetsurou in die wunderschön blauen Augen seines Freundes ein, ehe er auf dessen Frage antwortete. „Ja."

„O-Okay", sagte Tobio, dem bei der langen Musterung etwas unwohl geworden war, und schlug die erste Seite auf. „Welches ist der zweitlängste Gebirgszug der Erde? Anden, Rocky Mountains, Himalaya oder Ural?"

Rivalität mit Folgen [Teil 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt