Kapitel 188

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Auch in der dritten Stunde war Tobio geistig so abwesend wie eh und je. In Gedanken versuchte er sich die Worte zurecht zu legen, mit denen er Kuroo zu erklären versuchen wollte, weshalb er seinen ehemaligen Teamkollegen vom Karasuno-Volleyballverein nicht geantwortet hatte und weshalb er so weit gegangen war, seinen Freund diesbezüglich sogar anzulügen.

Doch egal wie oft er die Sätze im Geiste auch umformulierte, sie schienen nie exakt das wiederzugeben, was sein Herz fühlte. Weshalb war es so schwer, die richtigen Worte zu finden? Gingen seine Inkompetenz und fehlende Bildung tatsächlich so weit, dass er sich noch nicht einmal vernünftig auszudrücken vermochte?

Sein unbedacht ausgestoßener Seufzer ging glücklicherweise in dem Läuten der Schulglocke unter. Nachdem auch der Lehrer die Stunde für beendet erklärt hatte, bettete er seine Stirn auf seine auf dem Tisch überkreuzten Armen. Wenn er weiter so viel nachgrübelte, würde er definitiv Kopfschmerzen bekommen. Er spürte bereits jetzt ein unangenehmes Ziehen.

„Kageyama?"

Tobio riss die Augen auf. Er stierte auf den Tisch hinab, während sein Herz immer schneller und schneller schlug. Ein dicker Kloß hatte sich in seinem Hals gebildet und er schluckte schwer. Sich geistig auf das Schlimmste vorbereitend, hob er den Kopf. Das Herz sackte ihm vor Schreck in die Hose, als er den Klassensprecher entdeckte, der sich vor seinem Tisch aufgebaut hatte. Hinter ihm versammelt waren sämtliche Schüler der Klasse. „W-Was ist?"

„Wegen gestern... Wir haben die Lehrerin gemeldet", sagte der Klassensprecher mit fester Stimme.

Es war der Moment, in welchem Tetsurou das Zimmer betrat. Nachdem er die Worte vernommen hatte, blickte er zu Tobio, der am ganzen Leib erstarrt war. Er blieb stehen und beobachtete die Situation aus sicherer Entfernung.

„W-Wie—?"

„Wieso?", nahm der Klassensprecher dem Schwarzhaarigen die Frage ab. „Weißt du, es ist nicht das erste Mal gewesen, dass Frau Shima zu solchen...", er machte undefinierte Handbewegungen, „...Methoden zurückgreift. Tatsächlich hat sie sogar einmal den kleinen Finger einer Schülerin mit dem Zeigestock erwischt. Das Mädchen musste operiert werden, weil der Finger mehrfach gebrochen war."

Tobio blinzelte. Er war vollauf damit beschäftigt, den Worten des Jungen zu lauschen und zu verstehen. Hatte er gerade wirklich gesagt, dass die Lehrerin einer Schülerin den kleinen Finger gebrochen hatte?

„Damals ist sie davongekommen, weil ihr Mann ein Verwandter des Direktors ist und sie ihre Beziehungen hat spielen lassen. Der Direktor hatte es sich jedoch nicht nehmen lassen, sie zu verwarnen und sie darauf hinzuweisen, dass, sollte das noch einmal passieren, er sie definitiv entlassen wird."

Die Gedanken rasten nur so durch Tobios Kopf! Heißt das, er würde vor dem Direktor wiederholen müssen, was gestern geschehen war? Und wenn er das tat, dann würde die Frau wegen ihm ihren Job verlieren? „Äh... Ich..."

„Weißt du, wir Schüler leiden schon lange unter ihr. Selbst nach ihrer Verwarnung hat sie nicht damit aufgehört, uns zu traktieren und das Schülerdasein zur Hölle zu machen. Gestern ist sie jedoch wieder einmal zu weit gegangen. Du bist neu in unserer Klasse und wir möchten, dass du dich hier wohl fühlst. Wir wollen Verantwortung übernehmen für das, was Frau Shima dir angetan hat", fuhr der Klassensprecher fort, als er das erschrockene Gesicht des Schwarzhaarigen sah. „Ich hoffe, du bist uns nicht böse, dass wir die Initiative ergriffen haben, um dich und uns alle von dieser Frau zu befreien?"

Tetsurou spürte ein Gefühl von Dankbarkeit durch sein Herz strömen. Gespannt, wie Tobio nun reagieren würde, blickte er zu ihm.

„M-Muss ich das vor dem D-Direktor wiederholen?", fragte Tobio verunsichert.

Rivalität mit Folgen [Teil 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt